Frank Sieren: "Der China-Schock"
Wie Peking sich die Welt gefügig macht
Chinas
geschickte Aktivitäten in Afrika und Asien
Von der mitteleuropäischen Öffentlichkeit
zunächst fast unbemerkt hat sich China innerhalb weniger Jahre
als Wirtschaftsmacht ganz nach vorne gearbeitet. Mittlerweile kann man
das bevölkerungsreichste Land der Erde in seiner Funktion als
globaler Machtfaktor jedoch nicht mehr übersehen. Aufgrund des
gewaltigen chinesischen Bedarfs ziehen die Ölpreise gewaltig
an, und der deutsche Verbraucher erfuhr 2007 zu seinem Erstaunen, dass
seine Milch erheblich teurer geworden sei, weil die Chinesen sie ihm
wegtränken.
Der seit 1994 in China lebende Journalist Frank Sieren zeigt in seinem
Buch auf, dass Chinas Rolle wesentlich komplexer ist. Denn das
postkommunistische China, so die zentrale Aussage seines Werks, zieht
nicht nur westliche Investoren an und überschwemmt im Gegenzug
westliche Märkte mit seinen billigen Produkten, sondern es
umwirbt mit viel Erfolg Entwicklungs- und Schwellenländer vor
allem in Afrika und Asien, die es exklusiv mit Rohstoffen versorgen,
dafür attraktive Gegenleistungen erhalten und sich in diesem
Zuge vom Westen abkoppeln.
Die Chinesen haben viel von den Europäern gelernt und
übernommen und dies optimal mit den Vorzügen ihrer
eigenen Kultur verquickt. Anhand zahlreicher Beispiele vollzieht der
Autor Chinas Weg zu einem einflussreichen Partner für viele
arme, aber mit Rohstoffen gesegnete Staaten nach, darunter Nordkorea
und die Mongolei, vor allem aber afrikanische Länder: Angola,
Nigeria und der Sudan. Sieren hat sich mit zahlreichen Vertretern aus
Politik und Wirtschaft getroffen, die aus diesen Ländern
stammen oder dort aktiv sind.
Es kristallisiert sich heraus, dass China einen für seine
Partner sehr einladenden Kurs fährt. Die Chinesen verpflichten
sich, eine bestimmte Menge eines Rohstoffs abzunehmen, oder sie kaufen
sich direkt in die Firmen des Anbieterlandes ein. Im Gegenzug bieten
sie extrem umfangreiche und dabei sehr günstige Kredite, bauen
im Handumdrehen und nach dem heimischen Vorbild eine effektive
Infrastruktur auf und begegnen ihren Partnern, was besonders wichtig
ist, auf Augenhöhe. Menschenrechtsverletzungen in den anderen
Ländern nehmen sie scheinbar nicht zur Kenntnis, vor allem
aber erheben sie nicht wie die Europäer und Amerikaner den
Zeigefinger oder drohen gar. Auf diese Weise verliert der
moralisierende Westen einen potenziellen Partnerstaat nach dem anderen.
Das letzte Kapitel ist dem
Iran
gewidmet, einem Spezialfall
bezüglich der Zusammenarbeit mit China. Denn eigentlich
scheinen Mullahs und weichgespülte Kommunisten nur eine
geringe Schnittmenge aufzuweisen. Die Wirklichkeit sieht angesichts
gemeinsamer Interessen und des westlichen Feindbildes ganz anders aus.
China wird in diesem Buch nicht verteufelt. Vielmehr möchte
der Autor darstellen, wie geschickt sich das noch vor Kurzem bitterarme
Land die Strategien der Marktwirtschaft zunutze gemacht und diese an
die Bedürfnisse von Ländern gekoppelt hat, denen der
Westen entweder Hilfe versagt hat oder mit Arroganz begegnet ist, oft
auch in der falschen Sicherheit, den früheren Kolonien Europas
eigene Vorstellungen von Ethik aufzwingen zu können. Da der
Autor bei der Arbeit an seinem Buch auch viele afrikanische und
asiatische Politiker aus Chinas Partnerstaaten interviewt hat, kann
sich der Leser ein unmittelbares Bild davon machen, wie die
europäisch-amerikanische Haltung dort aufgenommen wird. Die
Politiker können sehr genau die Fehler vor allem der
Europäer benennen und begründen nachvollziehbar,
warum China für sie attraktiver ist trotz der
natürlich ebenfalls entstehenden Abhängigkeit. Ab und
zu hätte man allerdings den Text ein wenig kürzen
können.
Dem Leser wird - im Gegensatz zu den meisten westlichen Politikern -
rasch bewusst, dass eine rein eurozentrische Haltung im Zeitalter der
Globalisierung
nicht nur überheblich ist, sondern auch China
in die Hände spielt.
Sieren macht sich nicht zum Fürsprecher totalitärer,
menschenrechtsverletzender Länder, diskutiert aber die nicht
ganz politisch korrekte Frage, ob den Menschen in einem armen Land
durch zunehmenden Wohlstand unter einem zunächst nicht
demokratischen System nicht mehr geholfen ist als mit Sanktionen durch
besserwisserische Europäer und US-Amerikaner, die sich mit
dieser "idealistischen" Haltung außerdem noch wirtschaftlich
ins Aus manövrieren.
Auch wenn der Autor die Entwicklungen sehr genau verfolgt hat und sie
gut nachvollziehbar darstellt, greift er manchmal, vor allem auf die
Europäer und US-Amerikaner bezogen, auf letztlich keineswegs
immer zutreffende Pauschalurteile zurück. Die westlichen
Kulturen in jeder Hinsicht als verschlafene Ewiggestrige abzutun wie
den als Analogon angeführten Adel im deutschsprachigen Raum
des frühen 20. Jahrhunderts, entspricht dann sicherlich doch
nicht völlig den Tatsachen.
Insgesamt aber vermittelt das Buch einen hervorragenden Eindruck vom
Zusammenspiel Chinas mit seinen afrikanischen und asiatischen Partnern
einschließlich der Möglichkeiten, die diese
Zusammenarbeit für alle Betroffenen eröffnet - und
der verpassten Chancen für die de facto ausgesperrten
Europäer und Amerikaner.
(Regina Károlyi; 03/2008)
Frank
Sieren: "Der China-Schock. Wie
Peking sich die Welt gefügig macht"
Econ, 2008. 429 Seiten.
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Weitere
Buchtipps:
Frank Sieren: "Der China-Code. Wie das boomende Reich der Mitte Deutschland verändert"
Chinas Aufstieg – bedeutet er Deutschlands Abstieg? Immer klarer zeigt sich: Die
Zukunft unseres Landes entscheidet sich im Reich der Mitte. Denn trotz seiner
gewaltigen sozialen Probleme erweist sich China als Motor der Globalisierung und
ist auf die neuen Herausforderungen der Weltwirtschaft weitaus besser
eingestellt als die Bundesrepublik. Eine umfassend recherchierte, provokante
Lektüre für alle, die wissen wollen, wie sich die Welt wandelt.
Ullstein Tb 2006
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Christian Y. Schmidt: "Allein
unter 1,3 Milliarden. Eine chinesische
Reise von Shanghai bis Kathmandu"
Um China und die Chinesen zu verstehen, begibt sich Christian
Y. Schmidt auf eine ungewöhnliche Reise. Er folgt
der Nationalstraße 318, auch "Windknochen Chinas"
genannt, die das Riesenreich auf einer Länge von 5386
Kilometern vom Gelben Meer im Osten bis zu den westlichen
Rändern des Himalaya durchquert. Es ist eine Zeitreise
vom glitzernden 21. Jahrhundert Shanghais bis
nach
Tibet, wo Yak züchtende Nomaden und Bauern noch
immer halb im Mittelalter leben. Eine besondere
Sehenswürdigkeit reiht
sich hier an die andere: die malerische Wasserstadt
Xitang, der gewaltigste Staudamm aller Zeiten,
die mit 30 Millionen Einwohnern weltgrößte Stadt
Chongqing, zahllose Tempel, Klöster und heilige Berge,
Punkschuppen und Discos, das Woleng-Panda-Reservat
und ganz zuletzt der Mount Everest.
Christian Y. Schmidt war drei Monate
unterwegs und hat Massagen chinesischer
Ringerinnen, Reifenpannen und Erdrutsche
überlebt, mit Kakerlaken Freundschaft geschlossen,
Chinesinnen beim Einkaufen begleitet und sich
mit Soldaten Tortenschlachten geliefert. Ob er dabei das
Wesen der Chinesen ergründet hat, kann man in seinem
spektakulären,
witzig und pointiert erzählten Reisebericht
erfahren. (Rowohlt Berlin)
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Thomas
Höllmann: "Das alte China"
Das kaiserliche China - Alltag, Kultur und Kunst.
Einer der besten Kenner des alten China bringt archäologische
Fundstücke zum Sprechen: Für die Zeit von der
Gründung des Kaiserreichs 221 v.u.Z. bis zur Unterwerfung
durch die Mongolen 1279 wird das breite Spektrum einer faszinierenden
Kultur ausgeleuchtet.
Vor allem die Archäologie bietet heute die
Möglichkeit, das Leben im alten China zu rekonstruieren, und
Aufsehen erregende Fundstücke illustrieren die
unterschiedlichsten Aspekte einer beeindruckenden Kultur. In Verbindung
mit eigens dafür übersetzten
Literaturauszügen veranschaulichen sie in diesem Buch unter
anderem die Machtfülle des Kaisers, die
Unterwürfigkeit der Beamten und die Beziehungen zwischen den
Geschlechtern; sie berichten von der Begeisterung für
Fußball, vom Wandel der Schönheitsideale und von der
Vorliebe für Seide, die schon vor mehr als 2000 Jahren ein
Exportschlager war. Ausgehend von 60 ausgewählten Objekten,
die in großformatigen Farbabbildungen präsentiert
werden, entwirft Thomas O. Höllmann ein facettenreiches
Gesamtbild der chinesischen Kultur. Welchen Stellenwert hatte die
Schrift? Wann wurde gefeiert? Wie ging man mit dem Tod um? Auf diese
und zahllose weitere Fragen gibt der Band konkrete Antworten; er
berührt dabei eine enorme Vielfalt von Themenkomplexen, die
von Ernährung bis Erziehung, von Musik bis Medizin, von Recht
bis Religion und von Wirtschaft bis Wissenschaft reicht. Wer versuchen
will, das heutige China in seinen
Zusammenhängen
zu verstehen,
wird ohne den Rückgriff auf die historischen Wurzeln
scheitern. Dieses Buch bietet einen lebendigen Einblick in Kultur und
Alltag im alten China. (C.H. Beck)
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