Lee Child: "Sniper"
Ein Jack-Reacher-Roman
"Ein Schuss, ein Toter" -
so lautet das Credo der Scharfschützen in aller Welt. Diesem "Glaubensbekenntnis"
verpflichtet, steigt ein unbekannter Mann auf den Rohbau eines Parkhauses und
schießt auf eine Gruppe von Menschen, die gerade durch einen Engpass von der
Arbeit zu ihren Autos unterwegs sind. Von sechs
Schüssen platziert der
Heckenschütze fünf sauber in den Köpfen seiner Ziele, bevor er sich aus dem
Staub macht. Doch dabei hinterlässt er am Tatort genügend Spuren, um ein
Kriminalmuseum zu füllen.
Nur wenige Stunden später ermittelt die Polizei in einer Wohnung, in der
sich die Kleidung, die Waffe, die Patronenhülsen, weitere Munition und ein
Golfkriegsveteran befinden, der offensichtlich Schwierigkeiten beim Einschlafen
gehabt und deswegen eine große Dosis Schlaftabletten genommen hatte. Der Mann war als
Scharfschütze im Golfkrieg, und seine Fingerabdrücke passen zu den am Tatort
gefundenen.
Also scheint alles glasklar zu sein, und die ermittelnden Beamten sowie der
Staatsanwalt sind überglücklich, bald einen Bösewicht auf den Weg in die
ewigen Jagdgründe schicken zu können. Dass der Tatverdächtige James Barr zunächst
gar nichts aussagt, kommt den Behörden sehr entgegen.
Selbst seinem Anwalt gegenüber erklärt der Mann nur, die Polizei hätte den Falschen
erwischt, und verlangt, dass man Jack Reacher herbeischafft, ohne näher
darauf einzugehen, wer das sein könnte, und warum er ihn braucht.
So wird der Beschuldigte zunächst in Untersuchungshaft genommen, wo er Probleme
mit einer Insassentruppe bekommt und komatös auf der Intensivstation landet. Zu
diesem Zeitpunkt hat Jack Reacher das Gesicht des Mannes bereits in den
Nachrichten gesehen und befindet sich auf dem Weg zu ihm, nicht wissend, dass
man ihn am anderen Ende seines Weges bereits verzweifelt sucht.
Und sobald er in dem kleinen Ort ankommt, wird aus dem zunächst glasklar
aussehenden Fall eine zunehmend undurchsichtige Nebelbrühe ...
In typischer lakonischer Sprache erzählt Lee Child
eine komplexe aber immer gut nachvollziehbare Geschichte, die trotz ihres
langsamen Tempos durchgehend ebenso spannend wie interessant bleibt und sich
problemlos in einem Rutsch durchlesen lässt, so man die Zeit dazu findet.
Warum für den deutschsprachigen Buchmarkt kein deutschsprachiger
Buchtitel gewählt wurde, bleibt wohl im Dunkel vermarktungstaktischer
Überlegungen verborgen. Leser der "Jack-Reacher"-Reihe werden an diesem Buch ihre helle Freude
haben, und Neueinsteigern wird ein Roman geboten, der sich gut dazu eignet,
diese Figur - und damit Lee Childs Romanreihe an sich - kennenzulernen.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 03/2008)
Lee Child: "Sniper"
(Originaltitel "One Shot")
Übersetzt von Wulf Bergner.
Blanvalet, 2008. 480 Seiten.
Buch
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