C. W. Ceram: "Götter, Gräber und Gelehrte"
Roman der Archäologie
Die
Kunst der Deutung
C. W. Ceram kompiliert die Erkundungszüge in die Vergangenheit
zu einem
erregenden Abenteuer von Geist und Tat - ein Streifzug durch 5000 Jahre
menschliche Geschichte, ein ungeheuer faszinierender Tatsachenroman.
"Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel
streichen und
brennen! und nahmen Ziegel zu Stein und Erdharz zu Kalk und sprachen:
Wohlauf,
lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, des Spitze bis an den Himmel
reiche,
dass wir uns einen Namen machen! Denn wir werden sonst zerstreut in
alle Länder."
(Erstes Buch Moses, Kapitel 11, Verse 3 und 4). Diese Worte aus dem
meistgelesenen Buch der Welt - der Bibel - berichten über den
Turmbau von Babel
sowie die Geschehnisse von der Erschaffung der Welt bis zum Wirken der
Söhne
Jakobs in Ägypten. Jeder Nichtchrist wird ihren Wahrheitswert
anzweifeln und
sie als verklärende Religionsinhalte abtun. Aber vieles hat
sich tatsächlich
in ähnlicher Form ereignet.
Die Beweisführung unterlag einem Wissenschaftszweig, der gern
als trocken und
langweilig abgetan wird - der Archäologie oder Altertumskunde.
Man gräbt
irgendwo auf der Welt herum, so die allgemeine Meinung, in der
Hoffnung, etwas
Ruhmreiches zu finden. Meistens entpuppt sich das Ruhmreiche dann als
Tonscherbe, die keiner gebrauchen kann. Einzig ein Mann, der
berühmteste Archäologe
der Welt - mit Namen "Indiana Jones" -, der zurzeit
wieder die
Kinos stürmt, lässt eine pedantische und anstrengende
Wissenschaft aufregend
erscheinen.
Doch halt! Zwar ist das vorliegende Buch nicht so spektakulär
wie die
Kinoversion, doch Kurt W. Marek (1915-1972), der Journalist und
Cheflektor im
"Rowohlt Verlag" war und unter dem Pseudonym C. W. Ceram (das von
hinten gelesene Anagramm offenbart seinen korrekten Namen) mehrere
erfolgreiche
Sachbücher veröffentlichte, erzählt beinahe
genauso aufregend, mystisch und
abenteuerlich wie Stephen Spielbergs Version. Ein entscheidender
Vorteil gegenüber
der filmischen Umsetzung: hier haben wir es mit wahrheitsgetreuer
Wissensvermittlung zu tun. Ceram oder Marek versucht nichts weniger als
die
Verknüpfung der Geschichte früher menschlicher
Hochkulturen mit der Geschichte
ihrer Erforschung durch die Archäologie und andere
Wissenschaften.
Der "große Dilettant" Heinrich Schliemann
"Götter, Gräber und Gelehrte" ist ein
Phänomen: Bereits 1949
geschrieben, erreichte dieses Buch bis heute eine deutschsprachige
Auflage von
über 1,8 Millionen Exemplaren. Es wurde in 25 Sprachen
übersetzt und gehört
damit zu den erfolgreichsten Büchern der westdeutschen
Nachkriegszeit. Bis
heute hat es nichts von seiner Frische und Spannung verloren.
Tauchen Sie ein in 5000 Jahre menschliche Geschichte und lassen Sie
sich nicht
von den ersten Worten Cerams "abschrecken", der da meint: "Ich
rate dem Leser, das Buch nicht auf der ersten Seite zu beginnen. Ich
tue das
deshalb, weil ich weiß, wie wenig die überzeugendste
Versicherung des Autors
verfängt, dass er einen außerordentlich
interessanten Stoff vorzutragen habe (...)
Ich empfehle, auf Seite 81 anzufangen und das Kapitel über
Ägypten, das 'Buch
der Pyramiden', zuerst zu lesen. Dann habe ich die Hoffnung, dass auch
der
misstrauischste Leser unserem Thema wohlwollender
gegenübertritt und sich
entschließt, gewisse Voreingenommenheiten übers
Bücherbord zu werfen."
Die Rezensentin hat sich der Aufforderung des Autors nicht "gebeugt",
beginnt doch Ceram mit den ersten Anfängen der
"Spatenforschung", in
den Ruinen versunkener Stätten wie Pompeji und Herculaneum,
betrieben von Männern,
denen jene Mischung aus Abenteuerlust, Wissensdurst und Goldgier zu
Eigen war,
von der die moderne Unterhaltungskultur von eben jenem "Indiana
Jones"
bis "Lara Croft" noch heute zehrt.
Noch einmal soll Ceram zu Wort kommen, der die Beschaffenheit dieses
Werkes
treffend beschreibt: "Unser Buch ist ohne wissenschaftliche
Ambitionen
geschrieben. Vielmehr wurde nur versucht, eine bestimmte Wissenschaft
derart zum
Gegenstand der Betrachtungen zu machen, dass die Arbeit der Forscher
und
Gelehrten vor allem in ihrer inneren Spannung, ihrer dramatischen
Verknüpfung,
ihrem menschlichen Gebundensein sichtbar wurde." Wie Ceram am
Mythos
des "großen Dilettanten" Heinrich
Schliemann weiterstrickt,
der mit Homers "llias" in der Hand Troja findet, wie er Howard Carters
Entdeckung des
Grabs
von Tutenchamun im Tal der Könige
dramatisiert, wie er die
Entzifferung der
Hieroglyphen durch einen jungen Franzosen (fast im
Alleingang)
oder die Erkundung eines dunklen Brunnens auf Yucatan, in dem einst
Jungfrauen
geopfert und nun Tausende von Obsidianklingen und
türkisbesetzte Schmuckstücke
geborgen wurden, beschreibt, ist unübertroffen. Er
schöpft meist aus den
Memoiren der Beteiligten und fügte nur die Stimmung hinzu,
aber das unerhört
gekonnt.
Keine Peitsche schwingenden Helden, aber spannende Geschichte
Das Buch führt uns nicht chronologisch durch die Epochen,
sondern räumlich,
und ist in vier große Kapitel gegliedert. Der Roman beginnt
bei den Griechen
und Römern ("Das Buch der Statuen"),
erzählt von so großen
Funden wie Troja und dem vermeintlichen Grab des Agamemnon.
Das faszinierendste Kapitel ist sicherlich "Das Buch der
Pyramiden".
Hier läuft Ceram zur Höchstform auf und
überzeugt gewiss die letzten
Zweifler. Der Leser betritt Grabkammern und staunt
über
Kostbarkeiten und
Mumien, die sie enthalten, wenn sie nicht schon vorher - wie meistens
geschehen
- von Grabräubern geplündert wurden. Das ist
Archäologie, wie sie sich
bestimmt die meisten erträumen: die großen
Entdeckungen von Schätzen einer längst
vergangenen Zeit.
Im dritten Kapitel - "Das Buch der Türme"
- geht es
nach
Mesopotamien, ins Zweistromland nach Babylon oder Ninive, auf den
Spuren der
Bibel. Dort existierte offensichtlich die älteste Kultur, die
wir kennen, der
wir wahrscheinlich unsere Schrift verdanken und die schon vor 4000
Jahren
Astronomie und Mathematik kannte - die Sumerer.
Zuletzt reist Ceram schließlich nach Mittelamerika. "Das
Buch der
Treppen" zeichnet das wechselvolle Schicksal der mittel- und
südamerikanischen
Azteken- und
Maya-Reiche nach, die durch zwielichtige Eroberer wie
Cortez ihr
Ende fanden; dies allerdings so gründlich, dass wir
über Menschen, die vor
kaum fünf Jahrhunderten gelebt haben, weniger wissen als
über die Ägypter vor
5000 Jahren.
Zahlreiche, zum Teil farbige Abbildungen und ein Anhang mit
chronologischen
Zeittafeln, Literaturhinweisen, Karten und ein Personen- und
Sachregister ergänzen
dieses wunderbare Werk, das in einer neuen Auflage umfassend
modernisiert wurde.
Zugegeben, ein Peitsche schwingender Held, der schöne Frauen
aus höchster
Gefahr rettet, befindet sich wohl kaum unter den wirklichen
Archäologen. Ebenso
wenig werden wir unter den Ägyptologen Abenteurern begegnen,
die alte Mumien
durch Beschwörungsformeln zum Leben erwecken, damit sie die
Welt vernichten.
Aber aufregend bleibt diese Sparte der Wissenschaft dennoch. Es gibt
genug
Entdeckungen und Geschichten, die uns fesseln können und eben
diese Geschichten
erzählt "Götter, Gräber und Gelehrte" und
endet mit den weisen
Worten des Autors: "Es wird weitergegraben in aller Welt.
Denn wir
brauchen die letzten 5000 Jahre, um die nächsten 100 mit
einiger Gelassenheit
ertragen zu können."
Fazit:
"Götter, Gräber und Gelehrte" ist ein "Roman der
Antike",
der trockene Wissenschaft höchst interessant und spannend
verpackt. Geschichten
über die Geschichte, deren Entdecker und die Bedeutung
für unsere Zeit.
"Wenn wir als Menschen Bescheidenheit lernen wollen, so ist es
nicht nötig,
unseren Blick auf den bestirnten Himmel zu richten, Es genügt
der Blick auf die
Kulturwelten, die Tausende von Jahren vor uns da waren, vor uns
groß waren und
vor uns vergingen." (C. W. Ceram)
(Heike Geilen; 06/2008)
C. W.
Ceram: "Götter, Gräber und
Gelehrte. Roman der Archäologie"
Mit umfangreichem Tafelteil. Neuausgabe.
Rowohlt, 2008. 466 Seiten.
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Kurt
W. Marek veröffentlichte mehrere
erfolgreiche Sachbücher, zuerst 1949 "Götter,
Gräber und Gelehrte". 1954 wanderte er
in die USA aus. Mit "Der erste Amerikaner"
gelang ihm 1972 ein weiteres internationales
Erfolgsbuch:
"Der erste Amerikaner. Die Entdeckung der indianischen
Kulturen in Nordamerika"
Götter, Gräber und Indianer: Cerams zweites Hauptwerk
führt in die
Vergangenheit der Neuen Welt, in die Geschichte der
prähistorischen
Indianerkulturen
Nordamerikas. Es folgt den Entdeckungsreisen
berühmter
Archäologen und erzählt entlang ihrer Funde die
Geschichte der indianischen
Kulturen, so wie sie die Forscher rekonstruiert haben. Für
diese Ausgabe wurde
der packend geschriebene Klassiker nach den neuesten
Forschungsergebnissen
überarbeitet, erweitert und reich bebildert. (Rowohlt)
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Noch ein Buchtipp:
Raoul Schrott: "Homers Heimat. Der Kampf um Troia und seine realen
Hintergründe"
Wer war Homer wirklich? Raoul Schrott ist bei der Arbeit an seiner
Ilias-Übersetzung
auf eine Sensation gestoßen: Der Schauplatz der Ilias ist
nicht Troia, sondern
Kilikien. Diese These legt er in seiner großen Studie "Homers
Heimat"
mit einer Fülle von Daten, Fakten, Belegen und Indizien vor -
und das erste Mal
seit über 2500 Jahren wird nicht nur der
zeitgenössische Hintergrund der Ilias
rekonstruiert, sondern auch die Person Homer und ihre Herkunft
erkennbar
gemacht. Schrott hat die kilikischen Hintergründe für
die Götter und
Heldenfiguren der Ilias erforscht; die kilikische Landschaft bereist;
die
Realgeschichte wiedergefunden, die Homer in den
alten Troiastoff
projiziert, und
die historischen Vorbilder für unsterbliche Figuren wie Paris,
Helena, Hektor,
Achilleus und Priamos. (Hanser)
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