Gianrico Carofiglio: "Das Gesetz der Ehre"
Gianrico
Carofiglio, Jahrgang 1961, arbeitet seit vielen Jahren in seiner Heimatstadt Bari, wo auch alle
drei bislang erschienenen Kriminalromane spielen, als Staatsanwalt gegen die
Mafia. Viele dieser dubiosen Verbrecher und ihre Handlanger in den
Verwaltungen des Staatsapparates, der Industrie und den Verbänden der
Gesellschaft hat er seitdem schon hinter Gitter gebracht und sich damit sicherlich nicht
nur Freunde gemacht.
Doch offenbar genügte ihm das nicht, und so erfand er vor
einigen Jahren die Figur des Avvocato Guido Guerrieri, der vor etlichen Jahren geschieden
wurde und nun in einem Haus mit seiner Lebensgefährtin Margherita lebt;
allerdings haben sie beide nach dem Kennenlernen im Treppenhaus ihre jeweiligen
Wohnungen behalten. Der Liebe und der Leidenschaft tut das aber keinen Abbruch.
Avvocato Guerrieri wird in den Büchern von seinem
Schöpfer immer wieder mit außergewöhnlichen
Fällen konfrontiert; Fällen, die seine Kollegen
längst abgelehnt haben, weil
diese sie wohl nicht auf der juristischen und gesellschaftlichen Treppe
nach oben weiterbringen würden. Doch Guerrieri hat das Herz am
richtigen Fleck und fürchtet
sich eigentlich vor nichts, außer davor, dass er sich eines
Tages gemein mache mit denen, die er doch verurteilt und gesellschaftlich
geächtet sehen will; übrigens genauso wie sein literarischer Schöpfer.
Diese außergewöhnlichen Aufträge, die er
seinem doch sehr aus der Reihe
fallenden Serienhelden gibt, ermöglichen Carofiglio,
Fälle von aktueller Brisanz in der italienischen Gesellschaft aufzuzeigen. Es ist sehr
wahrscheinlich, dass er seinen Stoff direkt aus der zum Teil bitteren
Realität seiner Heimatstadt Bari holt und sie dann verfremdet dem Lesepublikum
präsentiert. Geht es etwa Donna Leons Guido Brunetti in Venedig vornehmlich um Stil,
Kultur und Philosophie in seinem geregelten Leben in der oberen Mittelschicht,
und muss er meistens vor der Macht der Reichen und der Politiker kuschen, geht
es dem Kollegen in Bari um Aufklärung, Gerechtigkeit und auch um die
Anklage von Zuständen, wie sie einer demokratischen Gesellschaft nicht würdig sind.
Dass er dabei nicht verbittert, seine Lebenslust und die Freude am Genießen
nicht verliert, macht ihn sympathisch.
In "Das Gesetz der Ehre" wird Guido Guerrieri in seine Vergangenheit
zurückgeführt. Als er von einem gewissen Fabio
Paolicelli gebeten wird, seine
anwaltliche Vertretung zu übernehmen, weil er des
Drogenschmuggels verdächtigt
wird, erinnert sich Guerrieri. Genau dieser Mann war es, mit dem er vor
langer Zeit eine denkwürdige Begegnung hatte:
"Ich war vierzehn Jahre alt und trug immer einen
grünen Parka, auf den
ich sehr stolz war. Eines Nachmittags ging ich mit zwei Freunden, die
wie ich
fast noch Kinder waren, im Stadtzentrum spazieren, als wir
plötzlich umringt
wurden. Von Jungs, die sechzehn oder siebzehn waren, aber aussahen wie
Männer.
Ein kleiner, vierschrötiger Kerl mit gebrochenem Schneidezahn
trat auf mich zu
und nannte mich einen roten Bastard. Ich solle sofort diesen
Scheißparka
ausziehen, oder sie würden mir das Rizinusöl
verabreichen, das ich verdient
hatte. Obwohl ich vor Angst wie gelähmt war, fragte ich mich
noch, was er wohl
mit diesem Satz meinte. Ich hatte bis dahin noch nie etwas
von Rizinusöl,
faschistischen Säuberungsaktionen und Ähnlichem
gehört."
Das sollte sich ändern, und Guerrieri hat es nicht vergessen.
Er erinnert sich daran, wie er damals Rache schwor, und gerät bei der Frage, ob
er dieses Mandat übernehmen soll, in ernste Probleme. Voller Rachefantasien, es
diesem faschistischen Schläger endlich heimzuzahlen, müsste
er nach seinem Berufsethos eigentlich die Übernahme der Verteidigung
ablehnen. Doch die schöne Ehefrau des angeklagten ehemaligen
Faschisten übt auf den
Avvocato eine derartige erotische Anziehung aus, dass er zum ersten Mal in seiner
Karriere versucht ist, seine Prinzipien zu verraten.
Ob er das auch getan hätte, wäre seine Freundin
Margherita nicht vor einigen Monaten ohne große Kommentare und Begründungen
für einen langen beruflichen Aufenthalt ins Ausland gegangen? Jedenfalls gerät der Avvocato
in schweres Fahrwasser. Mit Hilfe seines Freundes Tancredi kommt er an die Daten,
die er benötigt, um wieder einmal einen vorher völlig aussichtslosen Fall zu
lösen.
Wie Carofiglios Protagonist dabei mit seinen Rachegefühlen
umgeht, ob er seine
Berufsehre wahren kann oder sie verrät, und auch, ob er dem
erotischen Charme
der Frau des Angeklagten erliegt, lesen Sie selbst in einem tollen
Kriminalroman
eines absoluten Könners.
Wie in den anderen beiden Büchern zuvor sind die Schilderungen
der Dialoge und
Plädoyers in der abschließenden Hauptverhandlung die
sprachliche und ästhetische
Krönung des sehr empfehlenswerten Buchs.
(Winfried Stanzick; 02/2008)
Gianrico
Carofiglio: "Das Gesetz der Ehre"
(Originaltitel "Ragionevoli dubbi")
Aus dem Italienischen von Claudia Schmitt.
Gebundene Ausgabe:
Goldmann, 2007. 272 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
Goldmann, 2009.
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Weitere Bücher des Autors
(Auswahl):
"In ihrer dunkelsten Stunde"
Eine ungewöhnliche Aufgabe für Avvocato Guido Guerrieri: Manuela, eine Studentin
aus Rom, ist spurlos verschwunden, und der Polizei fehlt jeglicher Hinweis. Nun
soll die Akte geschlossen werden - doch die verzweifelten Eltern bitten
Guerrieri, dies zu verhindern. Schnell wird klar, dass er hier weniger
juristisch nach einem Formfehler zu suchen hat, als vielmehr nach einer
Möglichkeit, das unerklärte Verschwinden der jungen Frau doch noch aufzuklären
und seinen Auftraggebern Gewissheit über das Schicksal ihrer Tochter zu
verschaffen.
Und je mehr Guerrieri nachforscht, desto deutlicher wird, dass all jene, die
Manuela gut kannten, mehr wissen, als sie sagen - und mit allen Mitteln
versuchen, die grausame Wahrheit zu verbergen. (Goldmann)
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"Die Vergangenheit ist ein gefährliches Land"
Giorgio ist in jeder Hinsicht perfekt: er ist ein mustergültiger Sohn und ein
strebsamer Jura-Student, er hat eine nette Freundin und ganz konkrete
Vorstellungen davon, wie sein Leben einmal aussehen soll. Als er eines
Abends jedoch auf den charismatischen Francesco trifft, einen ebenso
undurchschaubaren wie charmanten Nichtstuer, fällt er gleichsam aus
seiner kleinen Welt. Denn Francesco übt eine fatale Faszination auf
Giorgio aus, der seinerseits alles dafür tun würde, damit etwas von
Francescos Glanz auf ihn fällt. Und so gerät der unerfahrene Giorgio
immer tiefer in den Sog der zwielichtigen Welt seines neuen Freundes:
Bei konspirativen nächtlichen Treffen lernt er nicht nur das illegale
Glücksspiel kennen und lieben, sondern auch alle Tricks der
Falschspieler. Ohne lange nachzudenken wirft Giorgio all seine Pläne
und Vorhaben über Bord, um in Francescos Welt Karriere zu machen. (Goldmann)
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"Eine Nacht in Bari"
Nach zwanzig Jahren alte Freunde wiederzutreffen, ist ein merkwürdig
beklemmendes, aber auch ein sehr schönes Ereignis. Nachts ist es immer ein ganz
besonderes, vor allem in Bari. Da verwandelt sich die Provinzhauptstadt Apuliens
in ein unwirkliches Kino des Gedächtnisses, in dem Gegenwart und Vergangenheit,
Erinnerungen und Einbildung sich vermischen - und aus dem Mann, der sich keiner
Illusion mehr hingeben will, wird wieder der drängende Student, der meint, dass
im Leben alles möglich ist.
Eine wunderschöne Beschreibung Süditaliens: Wenn sich der Geruch des Meeres
mit dem von frisch gebackener Focaccia vermischt ... (Goldmann)
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