Andrea Camilleri: "Die Pension Eva"
Im
März 2008 erschien dieser
Roman von Andrea Camilleri in deutscher Sprache. Dieses Mal handelt es
sich
nicht um einen Krimi des für dieses Genre bekannten Autors,
sondern laut
Camilleri um eine authentische, aber mit fiktiven Personen und
Handlungssträngen
angereicherte Geschichte aus dem faschistischen Sizilien zu
Kriegszeiten.
Nenè erlebt die ersten intimen Augenblicke seines Lebens mit
seiner älteren
Cousine. Von da an ist sein sexuelles Interesse am anderen Geschlecht
geweckt,
doch die Cousine zieht weg, und Nenè bleibt allein
zurück. In der Umgebung fällt
Nenè jedoch immer wieder eine Villa auf, und auf seine
Nachfragen erklärt der
Vater, dass man dort Frauen mieten könne. Es dauert lange, bis
Nenè die
Bedeutung dieser Antwort versteht: Die "Pension Eva" ist ein Bordell.
Voller Neugierde auf weibliche Körper und mit seinem ganzen,
frisch erwachten
sexuellen Interesse wünscht sich Nenè
inbrünstig, diese Pension einmal von
innen sehen zu dürfen. Tatsächlich eröffnet
sich auch bald schon genau diese
Möglichkeit, denn der Vater eines Freundes von ihm kauft das
Bordell und
erlaubt den Jungen, das Bordell heimlich montags zu besuchen. Montags
ist
Ruhetag, die Frauen haben ihren freien Tag, aber die Jungen
dürfen mit ihnen zu
Abend essen, mit ihnen plaudern und, wenn die Frauen selbst daran
interessiert
sein sollten, dann besteht auch die Möglichkeit auf mehr ...
Nenè genießt die Montage in der Pension sehr,
schon sehr bald ist es aber
weniger das körperliche
Verlangen,
das ihn dorthin treibt,
sondern vielmehr die
Atmosphäre, das lockere Reden, das zwanglose Kennenlernen, das
Hören von
Geschichten.
Alle diese Begegnungen werden jedoch überschattet
vom Krieg, von Bombenalarm und Angst ...
Gleich die ersten Seiten sind so freizügig geschrieben, dass
der
zartbesaitetere Leser leicht rote Ohren bekommt, und
irrtümlich glaubt man sich
schnell in einem erotischen Roman. Im weiteren Verlauf, wenn
Nenès Interesse
weg vom Körperlichen und hin zum allgemein Menschlichen
wechselt, erkennt
jedoch auch der Leser, dass Erotik in diesem Titel keineswegs die
Hauptrolle
spielt. Es ist die Geschichte des Erwachsenwerdens, des
veränderten Erlebens,
aber auch eine Geschichte über das Zwischenmenschliche
inmitten des Krieges.
Auch wenn Camilleri als großer Schriftsteller von vielen
Seiten gefeiert wird,
weist dieses Buch doch einige Unzulänglichkeiten auf. Etwa in
der Mitte des
Buches erfolgt ein Bruch, ab dem Nenè nur noch am Rande
auftaucht und die
Handlung um sein Erwach(s)en von lose zusammenhängenden
Anekdoten rund um die
Pension und den Krieg abgelöst wird. Allen Personen gemeinsam
ist, dass Nenè
sie kennt, dass sie mit der Pension zusammenhängen, aber davon
abgesehen könnte
man die Geschichten fast schon als separate Kurzgeschichten handeln.
Dieser Bruch im Verlauf ist so immens, dass er den Lesefluss und auch
das
Interesse an der Lektüre deutlich trübt. Man wartet
auf etwas, das alle
Geschichten umspannt, abgesehen von Nenè und dem Krieg, man
hofft auf noch
etwas Anderes, auf einen besonderen Clou, eine bestimmte Moral,
doch
vergebens.
Um für sich allein zu stehen, für sich allein
auszusagen, enthält der Roman
jedoch leider zu wenig. Der Erzählstil ist abgesehen vom
detailliert Erotischen
eher lakonisch und verhindert somit eine besondere emotionale
Auseinandersetzung
mit Figuren und Geschichten.
Alles in allem ist "Die Pension Eva" ein Roman mit interessantem
Ansatz und ebensolchem Hintergrund, weiß aber als Ganzes
nicht wirklich zu überzeugen
und wirkt eher unfertig und bruchstückhaft, wodurch sich die
Emotionen auch
beim Leser in Grenzen halten und der Roman nach der Lektüre
letztlich eher
rasch wieder vergessen wird.
(Tanja Thome; 03/2008)
Andrea
Camilleri: "Die Pension Eva"
(Originaltitel "La pensione Eva")
Deutsch von Moshe Kahn.
Kindler, 2008. 192 Seiten.
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Hörbuch:
Argon, 2008.
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