Hans Christoph Buch: "Tod in Habana"
Erzählung
Anspruchsvolle
Lektüre der eher seltenen Art
Hans Christoph Buch, einst selbst ein Weltreisender in Sachen
Revolution und ausgewiesener Dokumentar sozialer Bewegungen im In- und
Ausland, (erinnert sei an sein damals bei März erschienenes
"Gorlebener Tagebuch"), hat mit "Tod in Habana" ein Buch geschrieben,
in dem er es nicht mehr nötig hat, sich um irgendwelche
Erwartungen
- (seitens der Kritiker, der Leser, der Kollegen) - zu
kümmern, falls er das jemals nötig gehabt
hätte.
Er verlegt in seiner Novelle Thomas Manns "Tod in Venedig" nach Habana
in
Kuba,
scheut sich auch nicht davor, seinen Protagonisten Gustav von Achenbach
zu nennen.
Dieser, ein Experte für postkoloniale Architektur, reist Ende
2006 noch einmal nach Habana. Schon längst haben sich die
Träume von einst als Illusionen entpuppt, und er steht vor dem
baulichen, politischen und sozialen Trümmerhaufen eines wegen
seiner Errungenschaften einst in bestimmten Kreisen der Intellektuellen
(u.a.
H.
M.
Enzensberger) hochgelobten und -gehandelten sozialistischen
Experiments.
Gustav von Achenbach ist von diesem Verfall fasziniert, er beschreibt
besonders seine moralischen Seiten minutiös und lässt
sich selbst quasi in ihm und durch ihn hindurch treiben. Dabei ist er
auf der Suche nach einem mysteriösen jungen Mann; eine sehr
verzweifelte Suche, die ihn auf viele Irrwege führt, zuletzt
aber in die ersehnte tödliche Umarmung.
Mit seiner Mischung aus Travestie und Burleske, dabei immer eine klare
Sprache benutzend, ist Buch ein Werk geklungen, das nicht nur von den
verlorenen Träumen einer Generation erzählt und
insofern eine wichtige Ergänzung zu den unzähligen
"1968er"-Büchern darstellt, sondern gleichzeitig ebenso
Liebeserklärung an Kuba ist wie beißende Kritik am
linken Revolutionstourismus.
(Winfried Stanzick; 09/2008)
Hans
Christoph Buch: "Tod in Habana"
Frankfurter Verlagsanstalt, 2007. 126 Seiten.
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Hans
Christoph Buch, Erzähler, Essayist und Reporter, geboren 1944
in Wetzlar, nimmt bereits kurz nach dem Abitur an Treffen der "Gruppe
47" teil und wird Stipendiat am "Literarischen Colloquium
Berlin". Das Studium der Germanistik und Slawistik an der TU Berlin
mündet 1972 in einer Promotion zur "Beschreibungsliteratur und
ihren Kritikern" bei Walter Höllerer. Darauf folgen zahlreiche
Lehr- und Schreibaufträge an den Universitäten
Deutschlands und der Welt. Buch wird 1984 vom französischen
Kulturminister zum "Officier de l'Ordre de l’Art et des
Lettres" ernannt, hält 1990 die Poetikvorlesung an der
Goethe-Universität in Frankfurt zur "Poetik des kolonialen
Blicks" und erhält 2004 den "Preis der Frankfurter Anthologie".
Weitere Buchtipps:
Antonio José Ponte: "Der Ruinenwächter von Havanna"
Havanna ist Pontes Heldin. Hier wohnt der Protagonist dieses Buchs,
obwohl es in Havanna nicht gut läuft für ihn: Die
Behörden halten ihn für einen Agenten, für
die Kollegen im europäischen Exil ist er ein Idiot, weil er
von seinen Reisen in den Westen immer wieder heimkehrt. Er aber bleibt
- als Ruinenwächter und Chronist des
äußeren und inneren Zerfalls. "Buena Vista Social
Club", Sartre,
die "Beatles",
Graham
Greene, Europa, Berlin und immer wieder Havanna - wer wissen
will, wie das zusammengeht,
sollte dieses Buch lesen - sicher das Ungewöhnlichste, was die
kubanische Literatur in den letzten Jahren hervorgebracht hat. (Verlag
Antje Kunstmann)
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Pedro
Juan Gutiérrez: "Kein
bisschen Liebe"
Ein Tanz am Rande des Abgrunds.
Die Welt ist ein erbarmungsloser Ort: Alkoholexzesse, sexuelle
Obsessionen,
gesellschaftliches Chaos und - kein bisschen Liebe. Zu diesem Fazit
kommt der
Protagonist, der sich an einen kleinen Küstenort auf Kuba
zurückzieht, um sein
inneres Gleichgewicht wiederzufinden.
"Ich fühlte in mir eine abstoßende Mischung
aus Gewalttätigkeit, Lüsternheit,
Sadismus, Verlangen nach Alkohol. Aber ich fühlte auch, dass
mein Herz härter
wurde. Jeden Tag, immer mehr. Das war es, was ich haben wollte: ein
Herz aus
Stein."
In diesem letzten Titel des Havanna-Zyklus scheint der lebenshungrige,
ständig
nach neuen Abenteuern gierende Held abgeklärter denn je. Er
ist auf der Flucht
vor dem alltäglichen Wahnsinn und auf der Suche nach
Einsamkeit, Ruhe und
innerem Gleichgewicht. Aber wie soll er dergleichen finden, wenn das
Leben um
ihn herum tobt wie ein unerbittlicher Hurrikan? "Kein bisschen Liebe"
ist der glänzende Abschluss von Gutiérrez'
fünfbändigem Zyklus, der mit
seinem internationalen Erfolg "Schmutzige
Havanna Trilogie" begann. (Hoffmann und Campe)
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Miguel
Barnet: "Der
Cimarrón. Die Lebensgeschichte eines entflohenen
Negersklaven aus Cuba, von ihm
selbst erzählt"
Miguel Barnet und eine Gruppe von Ethnologen besuchten den
hundertdreijährigen
Esteban Montejo. Sie begegneten einem hochintelligenten, eigensinnigen
Mann
voller Erinnerungen an längst Vergessenes, Erinnerungen aus
dem Leben der
Negersklaven, aus der Zeit der Abschaffung der
Sklaverei
auf Cuba und des Befreiungskrieges gegen die spanischen Kolonialisten.
Montejo ist ein Cimarrón, ein entlaufener Sklave, der lange
Jahre in absoluter
Einsamkeit in den Bergen gelebt hat. Später schloss er sich
den Aufständischen
an, die gegen die Invasion Cubas durch die Amerikaner kämpften.
"Der Cimarrón" entstand nach Tonbandaufnahmen von
Gesprächen, die
Miguel Barnet über Wochen und Monate mit Esteban Montejo
geführt hat. Das Überraschendste
daran ist die bilderreiche Sprache dieses ehemaligen Sklaven. Vor des
Lesers
Augen vollzieht sich die lebendige Vermischung
von
afrikanischen Mythen mit dem Katholizismus zu einer der
afro-cubanischen
Religionen, wie sie Barnet in seinem Buch "Cultos afro-cubanos"
beschreibt. Esteban Montejo schildert alles von seinem
persönlichen Standpunkt
aus: das Leben als Sklave auf der Zuckerrohrplantage, das Leben in den
Bergen,
den Krieg, die Zeit, als die Spanier wohl vertrieben, aber durch die
Nordamerikaner ersetzt waren.
"Dieses Buch", schrieb Lévi-Strauss, "eröffnet
eine völlig
neue Gattung der ethnologischen Literatur. Ihr Kennzeichen: eine
Vertrautheit
mit der Wirklichkeit der untersuchten Ethnie, die weit über
alles früher
Versuchte hinausgeht". Die Lebensgeschichte von Esteban
Montejo wurde
1971 unter dem Titel "El Cimarrón" von Hans Werner Henze
vertont. (Suhrkamp)
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