Diane Broeckhoven: "Herrn Sylvains verschlungener Weg zum Glück"


Am großen Glück verhoben

Dieser Roman von Diane Broeckhoven kann nicht an ihre alten Erfolgstitel anknüpfen. Eine zu konstruiert wirkende Geschichte mit einem allzu schönen glücklichen Ende bringt die feinen Zwischentöne der belgischen Autorin nicht zum Schwingen.

Diane Broeckhovens Name war der literarischen Welt lange Zeit eher unbekannt. Die 1946 in Belgien geborene Autorin lebte viele Jahre in den Niederlanden, bevor sie schließlich wieder in ihre Heimatstadt Antwerpen zurückkehrte. Ihr Repertoire umfasste ungefähr zwanzig Jugendbücher, für die sie auch einige Auszeichnungen erhielt, bevor sie sich mit rund sechzig Jahren den Erwachsenen "widmete" und Romane zu schreiben begann. Vor allem ihr zweites Buch "Ein Tag mit Herrn Jules" (2005) und dessen Fortsetzungsgeschichte "Eine Reise mit Alice" (2007) katapultierten sie auf die deutschen Verkaufsbestenlisten.

All ihre Bücher zeichnen sich durch einen leichten, schlichten, jedoch durchaus subtilen, einfach zu lesenden Stil sowie einen behutsamen Umgang mit einem schwierigen Thema aus. Sie erzählen von Wärme und Geborgenheit, von Ängsten und Abhängigkeiten, vom Loslassen und Abschiednehmen, vom Älter- und Altwerden und von der Liebe, der unspektakulären, kleinen und alltäglichen. Ist in ihrem ersten Buch ("Einmal Kind, immer Kind") vor allem Elternliebe das zentrale Thema, so betrachten und analysieren die beiden nachfolgenden Romane die partnerschaftliche Liebe.
Diane Broeckhovens vierter Roman "Herrn Sylvains verschlungener Weg zum Glück" - über eine gute Wahl des Titels mag man geteilter Meinung sein - vereint all diese Themen.

Sylvain, einen 35-jährigen Mann, der immer noch bei seiner Mutter Julienne lebt, belastet deren erdrückende, ja dominante Liebe mehr und mehr. Die verbitterte Frau - sie wurde in jungen Jahren von ihrem Mann verlassen und zog vier Kinder allein groß (drei Töchter wohnen mittlerweile nicht mehr im Haus) - lässt ihm kaum noch Luft zum Atmen. "In ihren Sohn investierte Julienne all ihre Gefühle, die sie verloren glaubte. Er war der einzige Mann, den sie (...) in ihrer Nähe ertrug. Ihr Abgott." Sie regelt seinen gesamten Tagesablauf und gibt einer potenziellen Schwiegertochter - bisher tangierte ohnehin nur eine die Umlaufbahn des schüchternen Mannes - keine Chance.

Als ein "Ausbruchversuch" Sylvains - er will mit einem Freund einen Hilfsgüterkonvoi nach Rumänien begleiten - durch einen absichtlich (?) herbeigeführten Unfall Juliennes vereitelt wird ("Bei Lichte betrachtet hatte sie ihn gerettet, indem sie im richtigen Moment zusammengebrochen war"), scheint die symbiotische Abhängigkeit von Mutter und Sohn ernstlich gestört. Juliennes Wiedergutmachungsversuch - sie schenkt ihm zum Geburtstag eine Tagesbusreise - gibt der Mutter-Sohn-Beziehung allerdings einen neuen Impuls. Sylvain kommt zwar nicht nach Rumänien, aber zufälligerweise sitzen im Bus zwei junge rumänische Schwestern auf den Plätzen neben ihm ...

Aus wechselnden Sichtweisen und in vielen Rückblenden rollt Diane Broeckhoven das Leben und die Vergangenheit ihrer Protagonisten vor dem Leser aus und deckt auf, wie es zu der wachsenden Unstimmigkeit zwischen Mutter und Sohn kommen konnte. Große dramatische Auseinandersetzungen flicht sie nicht ein. Die Autorin arbeitet eher mit subtilen Anspielungen und kleinen, liebenswerten Skurrilitäten. Doch "Herrn Sylvains Weg zum Glück" ist gar nicht so verschlungen, sondern ziemlich voraussehbar und kaum überraschend.

Stilistisch merkt man der Autorin ihre Jugendbuchkarriere deutlich an. Der vorliegende Roman - wie auch ihre vorangegangen Werke - liest sich locker und ist leicht verständlich. Die Wortwahl ist ebenso schlicht wie einfach. Broeckhoven verzichtet weitestgehend auf den Einsatz von Metaphern oder komplizierten Wortketten. Ihre Stärke sind die leisen Zwischentöne, die zu Beginn durchaus wahrnehmbar sind. Doch die Autorin kann sie eigentlich nicht zum Klingen bringen. Sie werden vor allem von der plumpen Charakteristik Juliennes und ihrer allzu extremen Wandlung von der verbitterten, vom Leben und den Männern enttäuschten Frau, zur liebevollen Schwiegermutter sowie der zu geradlinig und einfach konstruierten Geschichte übertönt. Das große finale, allzu voraussehbare, ja kitschige Glück aller Protagonisten überstimmt sie endgültig und lässt sie durch ein allzu schönes glückliches Ende spannungslos verebben.

Fazit:
Von einem literarischen Kammerspiel, einer Elegie für Erwachsene, sprach das Feuilleton über "Ein Tag mit Herrn Jules". "Herrn Sylvains verschlungener Weg zum Glück" kann jedoch nicht an den Erfolg der vorangegangen Bücher anknüpfen.
Diane Broeckhovens feinherber Biss, ihre nur angedeuteten Gesten, ihr beiläufiger, heiterer Ton, der ständig zwischen Nähe und Distanz pendelt, und die feine Ironie, die zu Beginn des Romans durchaus wahrnehmbar sind, verpuppen sich jedoch mit fortschreitendem Handlungsverlauf in einer müden Kolportage.

(Heike Geilen; 08/2008)


Diane Broeckhoven: "Herrn Sylvains verschlungener Weg zum Glück"
(Originaltitel "Mise en bouteille")
Aus dem Niederländischen von Jörg Pinnow.
C.H. Beck, 2008. 159 Seiten.
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Ein weiteres Buch der Autorin:

"Kreuzweg"

Eine Frau blickt zurück auf die dramatischen Ereignisse ihrer Kindheit und Jugend, die den Rest ihres Lebens überschattet haben. Als sechzehnjähriges Mädchen geht sie - mehr oder weniger freiwillig - auf ein Französisches Internat, weit weg von zu Hause. Sie träumt von einem Studium an der Sorbonne, will ein normales Leben führen. Doch als seine Mutter tödlich verunglückt, bleibt das Mädchen allein mit dem Vater zurück. Dem Vater, einer Einkaufsliste und anderen unsäglichen Details. Er ignoriert das Schloss an ihrer Tür.
Der Roman "Kreuzweg" zeigt, wie unscheinbare Kleinigkeiten der Entdeckung eines unerträglichen Geheimnisses im Weg stehen können, ja, es geradezu zu verbergen helfen. Im Vergessen liegt Schutz. Die präzise und lakonische Sprache von Diane Broeckhoven führt diese Geschichte zu einem erschütternden und auch überraschenden Höhepunkt - der fünfzehnten Station dieser Geschichte von Leid und Einsamkeit. (C.H. Beck)
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