Christoph Then: "Dolly ist tot"

Biotechnologie am Wendepunkt


Gerade scheint in den letzten Jahren der Zeitpunkt erreicht zu sein, dass die Gefahren und die Risiken der Biotechnologie in das Bewusstsein nicht nur der Politiker, sondern - populär übersetzt - auch weiter Teile der Bevölkerung gelangt sind, da wird schon wieder Halali geblasen.

Der Kampf ist eigentlich vorbei, weil die mit Milliarden geförderte Suche nach den einfachen Strukturen in den Lebewesen, die in der Hoffnung unternommen wurde, Leben zu kontrollieren und - natürlich mit Gewinn - zu (re)produzieren, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in den letzten Jahren also, zu einem für alle Forscher überraschenden Ergebnis geführt hat.
Die erfolgreich durchgeführte Analyse auch des menschlichen Genoms hat gezeigt, dass sich Lebensprozesse nicht auf einzelnen Bestandteile reduzieren lassen. Christoph Then beschreibt einen regelrechten Paradigmenwechsel, der innerhalb nur weniger Jahre stattgefunden hat:
"Innerhalb der Life Sciences gibt es eine immer breiter werdende Strömung, die nach Ansätzen sucht, um die aktuellen Erkenntnisse der Grundlagenforschung in einen neuen umfassenden theoretischen Kontext einzubetten. Ähnlich wie die Quantenphysik zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer völlig neuen Vorstellung dessen führte, was die Welt im Innersten zusammenhält, führen die jüngsten Erkenntnisse der Biotechnologie zu einer weitgehenden Entgrenzung dessen, was bisher unter Vererbung verstanden wurde: Der Reduktionismus, der zur Idee der isolierbaren Genbausteine geführt hatte, kommt dort an seine Grenzen, wo Molekulargenetik und Biologie auf Phänomene von nichtreduzierbarer Komplexität treffen.
Das alte Paradigma kippt: Bisher konnte man von der Annahme ausgehen, dass es mit steigendem Wissen über die 'Natur des Lebens' immer einfacher werden würde, Prozesse wie Wachstum und Fortpflanzung der Lebewesen zu kontrollieren. Lebensprozesse wurden als komplizierte Mechanismen angesehen, deren Funktion man durch Analyse ihrer einzelnen Bestandteile analysieren konnte. Doch kann inzwischen nicht mehr erwartet werden, dass durch die Forschung ganz automatisch auch das Wissen über technisch determinierbare Prozesse zunehmen wird. Im Gegenteil, durch das Bekanntwerden immer neuer Details nimmt die Komplexität der beobachteten Phänomene so sehr zu, dass inzwischen klar ist, dass die bisherigen Modelle zu ihrer Erklärung nicht ausreichen. Die Phänomene des 'Lebens' und der 'Evolution' folgen nichtlinearen, hochkomplexen Regeln, die sich einer Vorhersagbarkeit und Beherrschbarkeit weitgehend entziehen. Der reduktionistische Ansatz, der in den letzten hundert Jahren der Biologie weit im Vordergrund stand, führt seine eigenen Erfolge ad absurdum: Auch wer alle Gene kennt, weiß nicht, was 'Leben' ausmacht. Aus einer komplizierten Maschine wird eine komplexes System, dessen einzelne Teile keinen Rückschluss auf die Funktion des Ganzen erlauben."


Then zeigt auf, dass die Biotechnologie bisher von völlig falschen Voraussetzungen ausging, denn eine Technologie, die darauf setzt, dass Lebensformen in Bezug auf die Zukunft kontrollierbar sind, ignoriert die eigenen Lebensgrundlagen. Manche Wissenschaftstheoretiker sprechen mittlerweile von einer regelrechten "Kultur des Nichtwissens", in der man jederzeit mit dem Unerwarteten rechnen müsse.

Nachdem er sehr aufschlussreich und verständlich die Geschichte der Biologie und Biotechnologie der letzten Jahrzehnte beschrieben hat, kommt Then auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen. Es sei nötig, die neuen Erkenntnisse, insbesondere die Entdeckung der "biologischen Unschärferelation" umzusetzen.
Das soll geschehen durch ein gut begründbares Verbot der Freisetzung genmanipulierter oder künstlich konstruierter Organismen. Weiterhin sei nötig, sich dem Druck kommerzieller Verwertung zu entziehen. Eine Neudefinition der Rolle der Wissenschaft als unabhängige Wächterin und kritische Kontrolleurin steht an. Und: " Die Vorstellung von patentierbaren Genen und Organismen beruhen auf falschen wissenschaftlichen Vorstellungen, sind ethisch bedenklich und wirtschaftlich kontraproduktiv."

Eben weil die Gene sich nicht so verhalten, wie sie sollen. Jüngste Forschungsergebnisse zeigen mehr denn je, dass der Mensch das Produkt genetischer Prozesse ist. Aber auch, dass diese Prozesse mit vielen Freiheitsgraden ausgestaltet sind. Sie bilden ein offenes System, in dem keineswegs alles vorbestimmt ist.
Ganz im Gegenteil: Forscher sprechen davon, dass der Mensch ein Mosaik sei, seine Identität und Gesundheit ein instabiler Zustand, in dem die Egoismen der Mosaiksteine der DNS in Schach gehalten werden. Angesichts einer wahren Flut von noch weithin mysteriösen Befunden, z.B. über die chaotische Kreativität des sogenannten Gen-Mülls, ergeht es den Genforschern ganz ähnlich wie den Kosmologen, die seit einigen Jahren nach der geheimnisvollen "dunklen Materie" im Universum forschen. Auch die Biowissenschaftler rätseln nun über die dunkle Materie des Erbgutes.

Angesichts der Komplexität und Unbestimmbarkeit der genetischen Prozesse entlarven sich nun viele Visionen vom optimierten Designmenschen, aber auch manche Warnungen vor den Gefahren der Genforschung als arg vereinfachter Vulgärbiologismus. Das Basteln am Genom erweist sich als wesentlich komplizierter als gedacht. Und die Fantasie, man könne durch Klonen begnadete Künstler, geniale Forscher oder einfach nur einen geliebten Menschen in idealer Form wiederauferstehen lassen, wird wohl auf ewig Wunschdenken bleiben.

Es ist das große Verdienst des vorliegenden Buches, dies sachkundig und verständlich aufgezeigt zu haben. Der sich selbst als Christ definierende Rezensent schmunzelt als Theologe innerlich darüber und denkt daran, dass das alles auch für die Rede von Gott als dem Schöpfer gilt. Vielleicht wäre einfach mehr glaubende Ehrfurcht vor diesem "unglaublichen" Wunder angebracht?

(Winfried Stanzick; 06/2008)


Christoph Then: "Dolly ist tot. Biotechnologie am Wendepunkt"
Rotpunktverlag, 2008. 287 Seiten.
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Christoph Then, geboren 1962, studierte Tiermedizin und ist seit Jahren im Umfeld von Gen- und Biotechnologie aktiv. Er begründete in Deutschland die Initiative "Kein Patent auf Leben!" und arbeitete für die "Grünen" und für "Greenpeace". 2008 startete sein neues Projekt "scouting-biotechnology", mit dem unter anderem unabhängige Risikoforschung unterstützt werden soll. Mitarbeit bei "foodwatch", beim "Gen-ethischen Netzwerk" und bei der "Gesellschaft für ökologische Forschung".

Noch ein Buchtipp:

Hanswerner Dellweg: "Biotechnologie verständlich"

Hanswerner Dellweg ist einer der Pioniere in der Biotechnologie mit langer Lehr- und Forschungserfahrung. Er erklärt in lexikalischer Form die wichtigsten Begriffe und Zusammenhänge der Biologie und der Anwendung von Organismen, Zellen und Zellbausteinen. Sein Buch wendet sich an den interessierten Zeitungsleser, der sich unter Begriffen wie "TNF", "Genmanipulation", "Enzymtechnologie" wenig Konkretes vorstellen kann, der aber wissen möchte, weshalb und zu welchem Zweck Biotechnologie betrieben wird und warum die Forschungsförderung einen so hohen Stellenwert hat. Über 500 Stichworte zu den Gebieten Mikroorganismen, Biochemie, Stoffwechsel, Produktionsprozesse, Lebensmittelerzeugung, Biotransformation, Antibiotika, Enzyme, Bioverfahrenstechnik, Zellkultur, Biosensorik, Genetik, Fotosynthese, Schadstoffabbau, Klonierung, Rekombination, Genbank, Immunologie, monoklonale Antikörper sowie Ethik und Gefahren der Veränderung von Erbgut geben einen Überblick über das weite Gebiet, das als "Biotechnologie" bezeichnet wird. (Springer)
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