Thráinn Bertelsson: "Walküren"

Ein Island-Krimi


Mord an einer feministischen Autorin

In einem ruhigen Tal nicht weit von der isländischen Hauptstadt wird die Leiche einer Selbstmörderin gefunden. Sie hat die Abgase ihres Autos in das Wageninnere geleitet. Schnell findet die Polizei heraus, dass es sich um Freyja Hilmarsdóttir handelt, eine feministische Politikerin, die gerade an einem Enthüllungsbuch über zwei bedeutende Männer Islands, den Besitzer einer Supermarktkette und einen Botschafter, gearbeitet hat. Beide haben ihre Ehefrauen für jüngere Frauen verlassen. Freyja machte sich zur Anwältin der verlassenen, betrogenen Ehefrauen.

Das Manuskript ist verschwunden, und schon bald tauchen Indizien auf, die darauf hinweisen, dass es sich keineswegs um Selbstmord gehandelt hat. Offensichtlich wurde die Autorin mit einer Droge willenlos gemacht und in ihr Auto geführt. Zudem erhalten die beiden Männer, denen das Enthüllungsbuch gefährlich werden kann, erpresserische E-Mails.
Die Ermittlungsarbeiten werden dadurch erschwert, dass nicht nur die Kriminalpolizei Reykjavik mit dem Fall beschäftigt ist, sondern sich auch die übergeordnete isländische Reichspolizei eingeschaltet hat, was auf eine erhöhte Brisanz hinweist.

Es kommt zu verblüffenden Intermezzi: Wie ist der Brandanschlag eines bislang unauffälligen Konditors auf das Haus des Verlags zu bewerten? Spielt gar der Ministerpräsident eine entscheidende Rolle in dem Fall?

Wie es sich für einen guten Krimi gehört, kommt am Ende alles ganz anders als erwartet, auch wenn die Polizei schließlich auf die richtige Fährte geraten ist: Gelegentlich tappen auch gewiefte Mörder in eine Grube, die sie selbst gegraben haben.

Die Handlung dieses Romans speist sich aus den bewährten Quellen Sex, Sozialkritik und Politik, die ein starkes Spannungsfeld erzeugen. Ein zentrales Thema bildet die Frauendiskriminierung sowohl im privaten Bereich, wie es die Frauen der von Freyja kritisierten beiden großen Männer erfahren haben, als auch im beruflichen - dies können die Polizistinnen, die dem Leser begegnen, arbeitstäglich bestätigen.

Der Krimi ist relativ komplex aufgebaut und wartet mit vielen Personen auf, von denen die meisten eine durchaus relevante Rolle im Geschehen spielen. Trotzdem fällt es manchmal schwer, beim Lesen den Überblick zu behalten; am besten liest man den Roman am Stück und legt keine mehrtägige Pause ein.

Zusätzlich zu dem Fall um die Ermordung von Freyja Hilmarsdóttir hat die Kripo noch einen weiteren Frauenmord aufzuklären, der damit nicht im Zusammenhang steht, jedoch ebenfalls recht ausführlich behandelt wird. Ob dieser "Nebenfall" dazu dient, das Buch ein wenig aufzublähen, oder ob das Thema Frauendiskriminierung, das auch in diesem Fall eine bedeutende Rolle spielt, weiter ausgedehnt werden soll, ist unklar.

Es gibt immer wieder hochkarätige Passagen mit atemloser Spannung, einen erheblichen Teil des Romans nehmen allerdings Nebenschauplätze ein, vor allem das Privatleben etlicher der ermittelnden Polizisten. Da die Figuren vorzüglich konstruiert wurden und sehr authentisch auftreten, kann der Leser ihre Beweggründe und ihre Probleme nachvollziehen und fühlt mit ihnen, doch wirkt die Handlung wegen solcher Einschübe oft arg zerstückelt, und dies hat nichts mit den in Kriminalromanen bewährten Wechseln von Szenen und Erzählperspektiven zu tun.

"Walküren" ist ein guter Kriminalroman mit ein paar Schwächen. Dem mitteleuropäischen Leser erschließt sich durch die Lektüre Island mit seinem ungewöhnlichen Rechtssystem und dem wohl in allen Staaten verbreiteten Geflecht politischer Beziehungen und Feindschaften, er erhält Denkanstöße zu einigen sozialen Themen, und nicht zuletzt kann er die Aufklärung zweier brutaler Morde verfolgen.

(Regina Károlyi; 02/2008)


Thráinn Bertelsson: "Walküren. Ein Island-Krimi"
(Originaltitel "Valkyrjur")
Aus dem Isländischen von Tina Flecken.
dtv, 2008. 367 Seiten.
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Thráinn Bertelsson, 1944 in Reykjavík geboren, erlangte in seinem Heimatland als Schriftsteller, Regisseur, Maler und Kolumnist große Erfolge. Außerhalb Islands wurde er vor allem durch seinen Film "Magnus" und seine Autobiografie "My Self & I" bekannt.