Christoph W. Bauer: "Graubart Boulevard"
Eine ganz hervorragend recherchierte und literarisch auf höchstem Niveau erzählte Geschichte von Opfern und Tätern des Nazi-Terrors
Wohl jahrelang dauerte die Suche, auf die sich der Innsbrucker Autor Christoph W. Bauer gemacht hatte, die Suche nach den Hintergründen des Mordes an einem Juden aus seiner Heimatstadt im November 1938. Der Autor hat Originaldokumente gesichtet, Briefe gelesen, mit überlebenden Familienangehörigen und vor allen Dingen mit deren Nachkommen gesprochen und sich damit auf eine Spurensuche begeben, deren Ergebnisse nicht nur den Lebens- und Leidensweg der Familie Graubart eindrücklich, sensibel und bewegend beschreiben, sondern die auch ein Stück Zeitgeschichtsschreibung seiner Heimatstadt Innsbruck darstellen, wo er bei seinen Recherchen nicht immer auf Gegenliebe gestoßen ist.
Indem er sich nicht nur auf die Spur der Familie Graubart setzte, sondern auch jener der Täter nachging, schrieb Bauer ein eindrückliches Kapitel der jüngeren Geschichte Österreichs.
Immer wieder stellt Bauer in seinem wie ein Dokumentarroman abgefassten Buch die parallel laufenden Geschichten der Opfer und der Täter gegenüber. Auf der einen Seite die Familie jenes jüdischen Kaufmanns Richard Graubart, der am 9. November, jenem Tag, an dem die Synagogen brannten und Tausende von Juden getötet und noch viel mehr ihres ganzes Eigentums beraubt wurden, von einem Rollkommando der SS in seiner Wohnung getötet wurde. Danach wird seine Familie, so wie viele andere Innsbrucker Juden,
nach Wien ausgewiesen. Einigen von ihnen, darunter der in der zionistischen Bewegung sehr aktive Bruder Siegfried, gelingt von dort aus die Flucht in ein rettendes Gastland. Die Tagebücher und Aufzeichnungen Siegfrieds, die Bauer von seinem Enkel in den Vereinigten Staaten von Amerika bekommen hat, werden dem Autor im Lauf des Buches noch wertvolle Hinweise geben. Immer wieder wird daraus zitiert.
Auf der anderen Seite die Täter, zunächst jener Skilehrer Aichinger, der der Tat verdächtigt wird, sie wohl auch begangen hat. Er ist der Sohn von
Innsbrucker Hoteliers, Mitglied einer angesehenen Familie. Als er nach dem Ende des Krieges wegen dieser Tat vor Gericht gestellt wird, was Bauer akribisch
recherchiert nacherzählt und berichtet, flieht er ins Ausland. Nach Österreich zurückgekehrt, wird er erneut verurteilt und nach zwei Jahren aus dem Gefängnis entlassen.
Christoph W. Bauer lässt keinen Zweifel an seiner Abscheu vor all dem, was da schon lange vor 1938, denn auch diese Zeit wird ausführlich beleuchtet, in seiner Heimatstadt Innsbruck abgelaufen ist. Der Leser gewinnt bei der Lektüre auch den durchaus gewollten Eindruck, dass all dieses antisemitische Denken nach 1945 nicht einfach verschwunden ist. Obwohl der Autor keinen direkten Bezug darauf nimmt, ist für den Rezensenten doch deutlich, dass gerade dort, mehr noch als im übrigen Österreich, rechtspopulistische Traditionen und Denkweisen schon seit Langem fröhliche Urständ' feiern.
(Winfried Stanzick; 12/2008)
Christoph W.
Bauer: "Graubart Boulevard"
Haymon Verlag, 2008. 295 Seiten.
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Weitere Bücher des Autors (Auswahl):
"Der Buchdrucker der
Medici. Eine Hommage an Michael Wagner"
Inmitten der Wirren des Dreißigjährigen
Krieges lässt sich der Buchdruckergeselle Michael Wagner in Innsbruck nieder.
Wenige Jahre später hält Wagner einen Brief der Tiroler Landesfürstin Claudia
de Medici in Händen,
in dem sie ihn zum Hofdrucker ernennt - der Grundstein für ein Verlags- und
Buchhandelsimperium ist gelegt.
Welche Zukunft liegt vor der Wagner’schen Hofdruckerei und Buchhandlung?
Welche Bücher werden dort 100, 200, 300 Jahre später in den Regalen stehen,
welche Menschen in den Geschäftsräumen ein und aus gehen?
Christoph W. Bauer schickt Michael Wagner selbst auf die Reise. Er lässt ihn,
den tüchtigen Geschäftsmann des 17. Jahrhunderts, durch die Jahrzehnte und
Jahrhunderte bis in unsere Gegenwart streifen, voller Neugier, Erstaunen und
auch Befremden über die Umbrüche, denen er begegnet. Seine Chronik eines
Unternehmens, das er vor 370 Jahren begonnen hat, wird so zugleich zu einem
unterhaltsamen, leichtfüßigen Streifzug durch mehr als drei Jahrhunderte der
Geschichte des Buches und des Büchermachens, der Literatur und der
Bibliophilie. (Haymon Verlag)
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"Im
Alphabet der Häuser. Roman einer Stadt"
"Ein Haus bekam ich vor die Nase gesetzt, ein Haus ums andere, bis mein
Blick zugemauert war und ich eine Geschichte erfand, um wieder sehen zu können"
- so beginnt ein langer Dialog, hingelehnt an eine Bartheke, ein Gespräch, das
an den Häusern einer Stadt seinen Ausgang nimmt, sprachlich Mauern niederreißt,
die den Blick versperren. Dass einer der beiden Gesprächspartner dabei im
Dunkel bleibt, wird zur Metapher einer Blindheit, die um sich greift und nicht
erkennen lässt, was Häuser mitzuteilen haben. Sie sind nicht nur die
steinernen Zeugen einer Zeit, sie sind auch diese Zeit selbst, berichten von
Schicksalen und Persönlichkeiten, von großen Ereignissen der
Weltgeschichte
und den kleinen eines unscheinbaren Lebens, nicht zuletzt erzählen sie aber
auch von der Endlichkeit ihrer Bewohner. Häuser sind Bücher, in denen das
Ferne nahe rückt, in ihnen zu blättern heißt auch, sich selbst zu begegnen.
Die Häuser, die Stadt - sind sie beliebig gewählt? Ja, denn Häuser gibt es überall,
wie einer der beiden Gesprächspartner sagt, auch die Entwicklung der Städte
steht in einem mitteleuropäischen Kontext - und doch ist dieses Buch das
Bekenntnis eines Autors zur Stadt seiner Wahl. (Haymon Verlag)
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"Aufstummen"
"Beider Blicke rasselten übern Esstisch, an der Tischkante das Messer,
kreuzten auf dessen Klinge sich." Zwei der Hauptfiguren des Romans
scheint nur mehr die Flucht in Traumwelten zu verbinden, Sprachlosigkeit stellt
sich ein, und dennoch: Keiner kann ohne den Anderen in diesen Szenen einer Ehe,
über der latent das Damoklesschwert schwebt. Mit filmischen Kunstgriffen macht
der Ich-Erzähler den Leser zum Kinobesucher - und nähert sich immer mehr
seiner eigenen Geschichte. So entsteht, einem Mosaik gleich, ein Familienroman,
der über Tirol hinaus nach Island und Paris, nach Mexiko und Australien führt
und seinen Bogen von der Mitte des 20. Jahrhunderts bis heute spannt.
Dieses "Aufstummen" - Teile daraus wurden 2002 mit dem "Publikumspreis"
beim "Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb" ausgezeichnet - wird durch den
Rhythmus einer Sprache getragen, die vom ersten Satz an zu fließen beginnt,
und, verzahnt wie ein Uhrwerk, bis zum Schluss nicht mehr zum Stillstand kommt.
Auf Dantes "Göttliche Komödie" wird man da stoßen, aber nicht, um
im Paradies anzukommen, sondern um vor einer überraschenden Wendung zu stehen.
(Haymon Verlag)
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