"Arcimboldo. 1526-1593"
Ausstellungskatalog zur Ausstellung im Kunsthistorischen Museum Wien
Der
Maler des Grotesken: ein strahlender Stern des Manierismus
Wer kennt dieses Porträt nicht? Aus dem Kragen aus
geflochtenem Stroh ragen einige Ähren, im Knopfloch des
Kornkleides steckt eine Artischocke. Das Ohr bildet ein kurzer
gedrehter Maiskolben, um den sich ein Flaschenkürbis windet.
Die Wange ist ein reifer Pfirsich, zwischen den Kirschenlippen zeigt
sich die Zähnreihe als leicht aufgesprungene Erbsenschote. Das
Haupt schmücken Kirsch- und Zwetschkenzweige, Weinranken und
ein
Kürbis.
Erstellte man eine Rangliste, die den Wiedererkennungswert einzelner
Kunstwerke beschreibt, hätten Giuseppe Arcimboldos
Kompositköpfe, die aus Obst, Gemüse, Fisch, aus
Allegorien und Symbolen zusammengesetzten Gesichter, wohl gute Chancen,
recht bald nach dem vermuteten Siegerbild
Mona Lisa aufzuscheinen.
Was aber macht Arcimboldo so einzigartig, so unverkennbar? Von seinem
Leben (1526-1593) ist bis heute vieles unbekannt; nach seinem Tod wurde
der Hofmaler der Habsburger Kaiser Maximilian II. und
Rudolf II. rasch
vergessen, um erst im frühen 20. Jahrhundert als ein
Wegbereiter der Moderne wieder entdeckt zu werden. Von 1678 bis ins 19.
Jahrhundert wurde sein Name nicht ein einziges Mal genannt ...
Der Katalog zur Ausstellung in Wien, wo Arcimboldo während des
Großteils seiner Zeit als "Rom: Kay: Mt:
conterfeter", als Porträtist am Hofe, arbeitete,
versucht ausführlichst und wissenschaftlich präzise,
die Geheimnisse dieses so einzigartigen Künstlers zu
enthüllen und das Wissen um Leben und Kunst des Manieristen
auch über die Ausstellung - die erste seit mehr als zwanzig
Jahren! - hinaus zu bewahren.
Im hochinformativen Kunstbuch fallen natürlich sofort die
zahlreichen ausgezeichneten Bilder von Kunstwerken der Ausstellung auf.
Zwischen den Fachartikeln, die jeweils einzelne Aspekte von Arcimboldos
künstlerischem Spiel mit der Natur betreffen, findet sich der
Katalog zu den entsprechenden Exponaten. Die Inhalte der Texte von
führenden Kunsthistorikern umfassen auch das
künstlerische Umfeld, beschreiben Naturstudien, den Wiener und
Prager Hof kurz vor der Gegenreformation und auch maltechnische
Analysen. Faszinierende Details lassen erkennen - oder zumindest
vermuten -, was Arcimboldos Kunst so attraktiv und einzigartig macht:
62 Fische und andere Wassertiere bilden den Wasser-Kopf; 80
Blüten verschiedener Gewächse formen den Kopf des
"Frühlings". Viele der Tiere und Pflanzen, auch exotische,
konnte der Künstler am Wiener Hof sehen, studieren und
aquarellieren; auch die Raritäten in den kaiserlichen
Kunstkammern, diese schau- und begehbaren Enzyklopädien des
irdischen Seins mit Skulpturen, fremden Münzen,
präparierten Tieren, Früchten und Samen, darunter
Straußeneier, riesige, als Trinkgefäße
gefasste Muscheln, Schildpattflaschen und andere Kuriosa,
hinterließen so wie seine Tätigkeit als Ausstatter
und Gestalter von höfischen Festumzügen Spuren in
Arcimboldos Werk.
Was den kulturgeschichtlich und historisch weniger gebildeten Lesern
fehlen dürfte, sind Orientierungshilfen, zum Beispiel
Zeitleisten, Landkarten mit Arcimboldos Reisen, Stammbäume und
andere Hintergrundinformationen, die als Einführung in die
Welt und Kunst des 16. Jahrhunderts dienen könnten, und auch
vor oder während eines Ausstellungsbesuchs in die einzigartige
Kunst des vergnüglichen Täuschens, der befremdenden
Paradoxa und der erstaunlichen Groteske Arcimboldos einführen
könnten.
(Wolfgang Moser; 04/2008)
"Arcimboldo
1526-1593"
Hrsg. Sylvia Ferino-Pagden, Text von Andreas Beyer, Görel
Cavalli-Björkman,
Thomas DaCosta Kaufmann, Sylvia Ferino-Pagden, Franz Kirchweger,
Silvio Leydi, Philippe Morel, Karl Schütz, Manfred Staudinger
u.a.
Hatje Cantz Verlag, 2008. 320 Seiten, ca. 180 Abbildungen, davon ca.
140 farbig.
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