Michael Stahl: "Botschaften des Schönen"

Kulturgeschichte der Antike


Die Geschichte meldet sich zu Wort

Michael Stahl ist Professor für Alte Geschichte an der TU Darmstadt. Neben der Antike selbst beschäftigt er sich noch mit der Rezeption der Antike.

Das folgende Zitat beschreibt recht anschaulich, was den Autor wohl motiviert, für eine neue oder besser erneute Rezeption der Geschichte einzutreten: "Beim Blick auf Homer und die Antike entdecken viele Zeitgenossen nicht mehr blühendes Leben, Geist von unserem Geist, sondern eine ferngerückte, rätselhaft gewordene Materie, die ihre fremdartigen Strukturen nur noch im kalten Röntgenlicht unbeteiligter Beobachtung und Analyse preiszugeben scheint. Die Wissenschaft hat die Alten wieder in ihre Gräber geschickt - dorthin, wo sie aus dem Blickwinkel der Moderne scheinbar hingehören." Da muss man ihm bei Licht betrachtet wohl zustimmen und in sein Bedauern einfallen.

Wie geht er nun vor, den Leser von der Notwendigkeit zu überzeugen, der Antike einen neuen Blick zuzuwerfen. Im ersten Kapitel präsentiert er einige Gedanken zur Historiografie, auf die noch einzugehen sein wird. Die Kapitel zwei bis fünf zeigen anhand der Themen Stadt, Staat, Gesellschaft und Wohnung jeweils einen griechischen und einen römischen Fokus, teils exemplarischer, teils grundsätzlicher Natur. Im letzten Kapitel präsentiert Michael Stahl die Entwicklung des Körpers in der griechischen Kunst und der Gesellschaft. Gerahmt werden diese sechs Kapitel von einem Prolog zu Winckelmann, dem Geburtshelfer der deutschen Klassik, und einem Epilog zu dem großen deutschen Baumeister und Jünger der Klassik Schinkel. 77 schwarz-weiße Abbildungen ergänzen den Text.

Das Buch schrieb der Autor für jene, die in ihrem Bedürfnis nach Geschichte ernstgenommen werden wollen in dem Interesse, die antike Vergangenheit in die Perspektive der Gegenwart gerückt zu sehen. So sieht er uns moderne Europäer nicht im Lichte eines diffusen Universalismus, sondern in der konkreten Tradition unserer Geschichte, zu der wir uns auch bekennen müssen. Zurückgehend auf Winckelmann steht die Moderne in einem ständigen generativen Dialog mit ihren antiken Wurzeln, aus dem auch gelegentlich "gegenwarts- und modernitätskritische Funken schlagen". Und so zeigt sich die Aktualität des einleitenden Schiller-Zitats: "Und die Sonne Homers, siehe! sie lächelt auch uns."

Eine Reihe ernst gemeinter und weniger ernst gemeinter öffentlicher Kommentare beschäftigt sich mit Wohl und Wehe der Geschichtsschreibung, insbesondere in jüngster Zeit. Denn ähnlich der Religion vermag Geschichte letztlich jedes Bild zu vermitteln, das von ihr erwartet wird. Es entsteht Geschichte, so der Autor, in dem Moment, in dem sie formuliert wird, indem also eine Auswahl historischer Augenblicke unter der Hand des Erzählenden, des Historikers zu Sätzen werden, die auf eine Zielgruppe hin erzeugt werden. Es klingt die literarische Nähe der Geschichtsschreibung an, die im zweiten Kapitel wieder aufgenommen wird, diesmal mit Sebastian Haffner als Kronzeugen, demzufolge es die Geschichte nur als Sprache gibt, und sie daher ein "Zweig der Literatur" sei. Über Mommsen und Churchill stellt sich die lange erwartetet These ein, dass es letztlich nicht von Bedeutung sei, ob ein geschichtlicher Zusammenhang fiktional oder non-fiktional präsentiert werde, wenn nur - etwas überspitzt formuliert - die Botschaft stimme. Hier wird der eine oder andere Historiker seine Zustimmung sicherlich verweigern.

Die praktischen Kapitel der griechischen und römischen Antike enthalten Bekanntes und weniger Bekanntes, doch insgesamt durchaus spannende Einblicke in die jeweiligen Aspekte. Man liest von streng geometrischer Städteplanung mit getrennten öffentlichen Räumen und Reihenhaussiedlungen im 5. vorchristlichen Jahrhundert, die stark zu der mittelalterlichen Unordnung 1500 Jahre später kontrastieren. Dem Buchtitel folgend nimmt auch die Ästhetik einen großen Raum ein, sei es nun darin, dass bereits Sokrates das sittlich Gute mit dem Schönen gleichsetzte, oder in einer Ästhetik der Proportionen in Architektur und Skulptur. Trotz der zukunftsweisenden Städtearchitektur des Hippodamos von Milet ist die Frage natürlich gestattet, ob nicht ein gewachsenes mittelalterliches Stadtbild von größerem ästhetischem Wert sein kann als eine streng geometrische Aufmachung.

Fazit:
Das Buch will nicht belehren: Es will anregen, gelegentlich unterschwellig auch ein wenig provozieren. Wer einer angenehmen und gelehrten Plauderei über die Antike und ihre Rezeption folgen möchte, ist mit diesem Buch bestens bedient. Auch die Thematisierung Winckelmanns und Schinkels kann man aufnehmen, sich mit einem oder beiden (vielleicht auch wieder einmal) auseinanderzusetzen: Denn was wäre das deutsche literarische 18. Jahrhundert ohne Winckelmann und Berlin ohne Schinkel?

Ausgesprochen gefallen hat das Kapitel "Zum Weiterlesen", das die Absicht des Anregens dieses Buches noch einmal betonte. Nicht nur in Listenform kommt die Literatur daher, denn der Autor erklärt und bewertet sie auch. Dass die angegebene Literatur in Teilen derzeit nur antiquarisch erhältlich ist, muss eher positiv bewertet werden. Denn so kann man selbst entscheiden, ob man sich der Mühe der Beschaffung unterzieht oder nicht.

Vermisst wurde die Renaissance, die ja neben Literatur und Philosophie auch eine Wiederentdeckung antiker Kunst und Architektur brachte. Insbesondere der rechte Winkel begann seinen städteplanerischen Siegeszug in dieser Zeit des Aufbruchs. Vielleicht weil man sich eines Hippodamos bediente?

(Klaus Prinz; 10/2008)


Michael Stahl: "Botschaften des Schönen. Kulturgeschichte der Antike"
Klett-Cotta, 2008. 304 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Michael Stahl, geboren 1948, ist seit 1991 Professor für Alte Geschichte an der TU Darmstadt nach Promotion 1975 und Habilitation 1984 an der TU Berlin und einer Professur in Göttingen von 1986 bis 1991. Seine historischen Schwerpunkte sind: Imperiale Herrschaft und provinziale Stadt, Strukturprobleme der römischen Reichsorganisation im 1. bis 3. Jahrhundert der Kaiserzeit, Aristokraten und Tyrannen im archaischen Athen. Beiträge zur Entstehung des Staates. Zahlreiche Beiträge in Sammelbänden.

Weitere Buchtipps:

Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hrsg.): "Zeit der Helden. Die 'dunklen Jahrhunderte' Griechenlands 1200-700 v. Chr."

Griechenland um 1200 v. Chr.: Das ganze Land wird von einer Welle ungeklärter Katastrophen überzogen, die zum Untergang der mykenischen Paläste führen. Die prachtvolle Hochkultur der Mykener versinkt in Schutt und Asche - die Führungselite wird ausgelöscht und mit ihr die politische und wirtschaftliche Ordnung. Es folgt eine lange, rätselhafte Periode ohne Schrift und Monumentalarchitektur, die sogenannten "dunklen Jahrhunderte" Griechenlands.
Vor dem Hintergrund dieser Zeit lässt Homer seine Helden der Ilias und Odyssee agieren. Der Ausstellungskatalog entführt den Leser in das spannende Leben jener Helden: Wie lebte ein Fürst wie Odysseus? Mit welchen Waffen kämpften Krieger wie Agamemnon? Und welchen Schmuck schenkten sie ihren Frauen und Töchtern?
Außerdem zeigen kostbare Exponate aus Zypern, dass die wohlhabende Kupferinsel die Krisenjahre schnell überwand und Luxusgüter für die griechischen Helden produzierte. (Primus Verlag)
Buch bei amazon.de bestellen

Kelly DeVries u.A.: "Die großen Schlachten der Antike"
Die zwanzig bedeutendsten Schlachten der Antike in einem großen Bildband.
Hannibal stand nach seinem Sieg bei Cannae mit seinen Kriegselefanten vor den Toren Roms, Alexander der Große dehnte sein Reich nach dem Triumph über den Perserkönig Dareius bis nach Indien aus, und Caesar unterwarf nach der Schlacht von Alesia ganz Gallien: Schlachten entschieden in der Antike nicht nur über Leben und Tod Tausender Soldaten, sondern auch über das Schicksal ganzer Völker, über Entstehung und Zerfall mächtiger Imperien. Die Autoren beleuchten in diesem Prachtband die dramatischen Kampfhandlungen der zwanzig wichtigsten Schlachten des Altertums. Sie erläutern die historischen Hintergründe, die Vorgeschichte und die Folgen eines jeden Konflikts und betrachten detailliert Bewaffnung und Technik, Strategie und Taktik sowie Führung und Organisation der beteiligten Verbände. (Theiss-Verlag)
Buch bei amazon.de bestellen

Christian Mann: "Antike. Einführung in die Altertumswissenschaften"
Problemorientierte Einführung in die Kulturwissenschaft der Antike. Gezielte Verbindung historischer, philologischer und archäologischer Themen und Perspektiven. Entwicklung beispielhafter kulturwissenschaftlicher Fragestellungen an die Antike in enger argumentativer Verbindung von Text und Bild. Exemplarische Aspekte der griechischen und römischen Geschichte: von der Welt des homerischen Adels bis zur hellenistischen Polis, von der römischen Republik bis zur Sakralisierung des Kaisertums. (Akademie Verlag)
Buch bei amazon.de bestellen

Lorenz Winkler-Horaček: "Monster in der frühgriechischen Kunst"
Bildfriese mit aneinander gereihten Monstern und Wildtieren sind ein Leitmotiv in der frühen Bilderwelt der Griechen (etwa 700 bis 550 v.Chr.). In dem Buch geht es um die Aneignung der Monster-Ikonografie aus dem Orient sowie ihre spezifische Ausformung in der damals führenden Luxuskeramik von Korinth. Lorenz Winkler-Horaček entdeckt das von den Vasenmalern erfundene Regelsystem, nach dem die Monster und Wildtiere geordnet sind. Damit eröffnet er eine neue anthropologisch-historische Perspektive: die Monster symbolisieren das Unheimliche der Wildnis jenseits der Zivilisation der griechischen Polis. Mit dieser Rationalisierung des Irrealen entwickelte Korinth eine Ikonografie, die in der Phase der Konsolidierung der griechischen Polis Maßstäbe setzte: sie war im gesamten Mittelmeerraum ebenso konkurrenzlos wie begehrt - und damit ein Wahrzeichen der Macht und der Selbstdarstellung von Korinth. (Walter de Gruyter)
Buch bei amazon.de bestellen

Christian Oesterheld: "Göttliche Botschaften für zweifelnde Menschen. Pragmatik und Orientierungsleistung der Apollon-Orakel von Klaros und Didyma in hellenistisch-römischer Zeit"
In der antiken Polis sind die Götter Mächte der Vergewisserung: Die Bürger erlangen ihre Botschaften in Orakeln - die zu deuten und umzusetzen sind.
Wie sah die soziale Wirklichkeit der Befragung von Orakeln im hellenistischen und kaiserzeitlichen Griechenland aus? Wichtige Hinweise geben als Steininschriften erhaltene Antworten des Apollon auf Fragen, die Gesandtschaften kleinasiatischer Städte in den Heiligtümern von Klaros und Didyma in Ionien gestellt haben. Anlass sind etwa akute Krisensituationen wie Epidemien und Naturkatastrophen oder Fragen aus dem Grenzbereich von Religion und Politik, wie Regeln zur Besetzung von Priesterämtern. So wird der Umgang mit dem religiösen Angebot der Divination deutlich: in welchen Situationen man den Rat der Götter sucht, welchen Regeln die Kommunikation zwischen ihnen und den Menschen folgt, welche Muster zur Deutung der Wirklichkeit die Götter anbieten, welche Arbeit der Interpretation die Empfänger leisten, schließlich, wie sie mit der erhaltenen Botschaft umgehen und auftretenden Schwierigkeiten zu begegnen versuchen. Die göttlichen Worte weisen ihnen den Weg. (Vandenhoeck & Ruprecht)
Buch bei amazon.de bestellen

Martin Harbsmeier, Naomi Kubota und Sebastian Möckel (Hrsg.): "Pathos, Affekt, Emotion"
Glück oder Trauer, Furcht oder Mitleid, Zorn oder Liebe: Die Kultur der Antike bietet zahlreiche Zeugnisse für die Macht der Emotionen. Sie liefert zugleich die Muster und Ausdrucksformen, die bis heute unsere Wahrnehmung und Deutung von Emotionen prägen. Die Spuren, die diese in der nachantiken Welt hinterlassen haben, sind Gegenstand dieses Buches. Es diskutiert den geschichtlichen Wandel von Begriffen und Auffassungen großer Gefühle im allgemeinen und anhand einzelner Emotionen sowie aus der Perspektive so unterschiedlicher Disziplinen wie Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte, Theologie, Musik-, Theater- und Kulturwissenschaft.
Mit Beiträgen u. a. von Hartmut Böhme, Klaus Herding, David Konstan, Hilge Landweer, Ernst Osterkamp, Christoph Rapp und Christiane Voss. (Suhrkamp)
Buch bei amazon.de bestellen