Érik Orsenna und Isabelle Autissier: "Großer Süden"

Eine Reise in die Welt der Antarktis


Wie das Ende der Welt: Ein Segeltörn in die Antarktis

Mit dem Segelboot in die Antarktis? Zum kältesten, windigsten und unwirtlichsten Kontinent der Erde? Fasziniert hat die Lebensfeindlichkeit dieser Landschaft die Menschen seit Jahrhunderten. Lange vor der Entdeckung der Antarktis im Jahr 1820 gab es Theorien über einen unbekannten und geheimnisvollen Südkontinent namens "Terra australis", wo paradiesische Zustände herrschen sollten. Mit der Erforschung wurde diese Vorstellung jedoch durch eine eisige und unwirtliche Realität ersetzt, die sich lebensfeindlicher und unbequemer als alle bislang bekannten Regionen der Welt präsentierte. Von der Faszination, die einst die Entdecker ins Ungewisse lockte, hat der Kontinent des ewigen Eises bis heute aber nichts verloren. Noch immer bestechen Schönheit und Vielfalt dieses extremen Lebensraumes, noch immer sind die gewaltigen Eisberge und Packeisfelder eine gefährliche Herausforderung. Jede Reise wird zur Expedition, die Körper und Geist an ihre Grenzen bringen kann. Eine französische Crew aus sechs Personen, genauer gesagt vier Männern und zwei Frauen, wagt das Abenteuer: Es sind erfahrene Hochseesegler, ein Ornithologe, ein Filmemacher und ein Schriftsteller. Skipper ist die Seglerin Isabelle Autissier, die über die Seglerwelt hinaus berühmt wurde, als sie als erste Frau in einer Regatta die Welt alleine umsegelte. Gemeinsam mit Érik Orsenna, Schriftsteller, Segler und Mitinitiator des Projekts, entsteht ein sehr persönlicher Bericht über ihre Reise an ein Ende der Welt, den Großen Süden, wo sowohl das ewige Eis als auch die Schönheit absolut sind.

Im Jänner 2006 machen sich Autissier und Orsenna auf den Weg. Sechs Wochen dauert ihre Erkundungsfahrt mit dem Segelschiff "Ada". Von der südlichsten Spitze Argentiniens bis zur Antarktischen Halbinsel, dem einzigen Teil des Kontinents, der Seefahrern zugänglich ist. Denn überall sonst rund um die südliche Polkappe versperren gewaltige schwimmende Eisschilde, das Schelfeis, den Zugang. Immer wieder folgen Autissier und Orsenna den Spuren der großen Entdecker, und wie diese müssen sie gegen eisige Stürme ankämpfen und ihr Boot sicher um die Eisberge lenken. Das Ergebnis dieser Reise ist ein gleichermaßen spannender wie poetischer Reisebericht. Es ist kein protziges Buch mit Hochglanzfotos, detaillierten Schilderungen der überstandenen Gefahren oder ausgefochtener gruppendynamischer Prozesse. Es ist auch keine Abhandlung über Geschichte und Geografie der Antarktis, Ökologie oder Politik. Trotzdem ist es gleichzeitig all das, hat von allem etwas, einer Skizze gleich, zusammengefasst in einem schmalen Band von 234 Seiten, mit ein paar Landkartenskizzen zur geografischen Orientierung und einem einzigen Foto auf dem Bucheinband. Den beiden Autoren gelingt damit eine kurze, aber trotzdem umfassende Biografie des weißen Kontinents. Ihr Segeltörn wird zu einer Reise durch die Naturgeschichte des Kontinents und einer Begegnung mit den Menschen der Vergangenheit, wie sie die Antarktis entdeckt, erobert, erschlossen und auch ausgebeutet haben, aber auch mit jenen der Gegenwart, die sich um Bewahrung und Rettung bemühen. Aber wer sich kleine Heldengeschichten erwartet, der wird angenehm enttäuscht. Denn wer immer ins Rampenlicht geholt wird, wird stets auch in seiner Ambivalenz beleuchtet. Uneingeschränkten Respekt wird aber allen gezollt, die unter schwierigsten Umständen den Widrigkeiten der Natur und des Zufalls trotzen, ihnen standhalten, sie aushalten und sich durch nichts davon abbringen zu lassen, ihre Beobachtungen zu dokumentieren.

Faszination und Angst halten sich bei diesem Segelabenteuer in der Antarktis die Waage. Es braucht offensichtlich mehr als die Lust am Abenteuer, um in dieser Extremsituation zu bestehen. Autissier schreibt über Érik Orsenna:. "Er ist neugierig, begierig zu sehen und zu verstehen, vor allem aber total glücklich, dabei zu sein." "Gleichgültig zu welcher Tages- oder Nachtzeit, Érik strahlt, ist verzückt, dankt der ganzen Welt, dass er hier sein darf, begrüßt überschwänglich einen Sonnenstrahl, spricht mit den Sternen, amüsiert sich über die Pinguine, staunt über die Eisberge und stimmt Lobgesänge über den Forschungsreisenden an." Und das, fügt sie hinzu, ist keine geringes Geschenk an die Crew.

Wer ist dieser Érik Orsenna? Geboren 1947, französischer Schriftsteller, Ökonom, Hochschulprofessor, Regierungsmitglied, Mitglied der Académie française und Direktor des Centre international de la mer. Selbst bezeichnet er sich als Weltenbummler. Über seine Welt, "L'archipel d'Érik Orsenna", berichtet er sehr anschaulich, amüsant und interessant auf seiner Netzseite.
"Qui suis-je?" fragt er, zugegebenermaßen etwas kokett, und erzählt, dass er immer einen anderen Hauptberuf als das Schreiben haben wollte, vor allem, um die Freiheit zu haben, dem Buch die Zeit zu widmen, die es benötigt. Das Buch sollte der Ort der Freiheit sein. Jeden Morgen zwei Stunden schreiben, bleiben noch immer 22 Stunden übrig für andere Aktivitäten. So seine Rechnung. Auf diese Weise gelingt es ihm, ein ungewöhnlich reichhaltiges Leben zu gestalten. Parallel zu seiner Verwaltungskarriere hat er sieben Romane geschrieben. Für "L'Exposition coloniale" erhielt er 1988 den "Prix Goncourt". 1998 wurde er Mitglied der Académie française. Zu seinen weiteren Leidenschaften zählt er - nicht überraschend - Reisen, das Meer und die Musik.

Aber kehren wir zu der Frage zurück, die die Autoren sich und uns gleich zu Beginn ihres Buches stellen: Warum die Antarktis? Was treibt Menschen an, auch wenn sie Weltenbummler und Segler sind, derartige Entbehrungen, Gefahren und Strapazen auf sich zu nehmen? Isabelle Autissier und Érik Orsenna beginnen ihre Suche zuerst in der Kindheit. Mit den Worten "Ich erinnere mich ..." beginnen sie ihre Erzählungen über prägende Kindheitseindrücke von merkwürdigen Forschern, die die Geschichten des Vaters bevölkerten und geheimnisvollen Landkarten, die über dem Kinderbett hingen. Daraus erwuchs in ihren Augen diese unersättliche Neugier, die über alle Ängste siegt, und, wie Orsenna es formuliert, "eine Abneigung gegen das Gefühl, etwas bedauern zu müssen". Über allem aber die Erkenntnis: "Unaufhörlich denke ich an die Augenblicke, die meinem Tod vorangehen werden. Ich weiß, wie meine allerletzte Frage lauten wird: Habe ich die Welt, die ich jetzt verlassen muss, gut genug erkundet?" Wir halten ihm die Daumen.

(Brigitte Lichtenberger-Fenz; 02/2008)


Érik Orsenna und Isabelle Autissier: "Großer Süden. Eine Reise in die Welt der Antarktis"
Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller.
C.H. Beck, 2008. 234 Seiten.
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Lien zu Érik Orsennas Netzseite: https://www.erikorsenna.com.

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"Weiße Plantagen"

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Die mit viel Witz und Erfindungsreichtum erzählten Geschichten oder Träume dieses Buches verdanken sich auch der besonderen Beziehung Érik Orsennas zur Musik allgemein und speziell zur Gitarre. Sein Bruder Thierry Arnoult ist Gitarrist und hat an dem Buch mitgewirkt, und die Idee, die größten Gitarristen in einem Buch auftreten zu lassen, haben die Brüder gemeinsam entwickelt. Und so lassen sie den jungen Mann mit der Gitarre im Bett von der Eroberung Perus und der Pest in Barcelona träumen und davon, was die Gitarren dabei vermochten, vom Wettstreit zwischen Luigi Legnani (Gitarre) und Niccolò Paganini (Geige), von den Bemühungen Ludwigs XIV. am Versailler Hof um dieses Instrument und von einem großen Gitarristen-Finale auf Kuba. In einer für ihn typischen Mischung aus Realismus und Fantasmagorie erzählt Érik Orsenna intelligent und unterhaltsam, komisch und grotesk von der heilenden und die Welt verwandelnden Kraft der Kunst. (C.H. Beck)
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