Lothar Machtan: "Die Abdankung"
Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen
Monarchendämmerung am Ende
des Ersten Weltkriegs
Das Ende des Ersten
Weltkriegs stürzte Deutschland zunächst ins Chaos. Aufgrund der
staatlich-militärischen Propaganda und des Umstandes, dass feindliche Soldaten
keinen Fuß auf deutschen Boden gesetzt hatten, begriffen viele Deutsche nicht,
warum ihr Land den Krieg verloren hatte. Unmut bezüglich der aktuellen
Regierungsform bestand in weiten Teilen der Bevölkerung bereits länger. Dass
der us-amerikanische Präsident an den Frieden die Bedingung der Demokratie geknüpft
hatte, war nur eine der Ursachen für die Revolution im November 1918.
Lothar Machtan beschreibt in seinem Buch "Die Abdankung", wie es zu
einer Kettenreaktion purzelnder Kronen kam. Er stellt zunächst die Situation
vor dem Ausbruch des Krieges vor: Kaiser, Könige und weitere Fürsten, deren
politische Leistungen größtenteils ein Ungenügend verdienen, die einem längst
überkommenen Weltbild anhängen und nur vordergründig ein dynastisches Kartell
bilden, dessen Störungsanfälligkeit sich unter anderem zeigt, als der
Prinzregent Ludwig endlich bayrischer König werden möchte. Schon in diesem
Kapitel zeichnet sich ein düsteres Bild der Bundesfürsten ab.
Im zweiten Kapitel untersucht der Autor, wie das dynastische Gefüge im
Weltkrieg zerbrach. Aus militärischer Sicht, so weist er nach, waren die Fürstenhäuser
bestenfalls nutzlos, zumal sie kaum Angehörige in den Krieg schickten und diese
sich in den seltensten Fällen aktiv auszeichneten; Gefallene waren nur sehr
vereinzelt zu beklagen.
Nachfolgend zeigt der Autor auf, wie das deutsche Kaisertum sich vor allem gegen
Ende des Krieges ad absurdum führte, er skizziert die ungeschickten und oft für
den Kriegsverlauf geradezu schädlichen Versuche des Kaisers, sich zu behaupten,
und betrachtet schließlich die demokratische Linke kritisch hinsichtlich ihrer
republikanischen Gesinnung.
Der Abschnitt "Umsturz-Szenarien" schildert die Abdankung der gekrönten
Häupter und Familien im Detail und erstellt ein sehr beschämendes Bild der
meisten Bundesfürsten, beginnend mit dem Kaiser und dem bayrischen König,
gefolgt von den Königen von Sachsen und Württemberg und einigen
"kleineren" deutschen Fürsten. "Macht doch euern Dreck
alleene", sagte der sächsische König, und seine Schnoddrigkeit gehört
vielleicht zu den Höhepunkten dieser allgemein ziemlich kläglichen Abgänge.
Schließlich fasst der Autor die wichtigsten Gegebenheiten noch einmal zusammen.
In bislang wohl einmaliger Weise befasst sich Lothar Machtan mit einem Thema,
das nicht nur von historischer Relevanz ist, sondern durchaus auch seinen Reiz
hat: Warum fielen innerhalb weniger Tage nicht nur die Kaiserkrone, sondern
ebenso alle anderen Monarchien in Deutschland? Der Autor weiß aufzuzeigen,
warum die seltsame deutsche Monarchie auf tönernen Füßen stand, beginnend mit
dem partikularistischen Konkurrenzdenken zwischen den Dynastien beziehungsweise
Bundesfürsten und endend mit deren politischer Engstirnigkeit und Unfähigkeit,
die Machtan ihnen praktisch durchgehend bescheinigt.
Anhand zahlreicher, zum Teil neu erschlossener Quellen weist der Autor
schonungslos nach, dass die Entwicklung im November 1918 im Grunde überfällig
war aufgrund des Anachronismus und der Stagnation, die durch die Vielzahl im
Grunde nutzloser Fürsten verkörpert wurden.
Manchmal schießt Machtan über das Ziel hinaus und verleiht seiner Abneigung
gegen Monarchie und Hochadel allzu deutlich Ausdruck; ein wenig mehr Distanz mag
man sich da manchmal wünschen; auch präsentiert er ein sehr einseitiges Bild
von Kaiser Wilhelm II., das etwa von Christopher Clark in
dessen
Wilhelm-II.-Biografie mit guten Argumenten relativiert wird. Abgesehen von
diesen und anderen durchscheinenden persönlichen Animositäten handelt es sich
um ein sehr gut recherchiertes Buch, dessen Aufbau überzeugt, das auch für
Laien angenehm zu lesen ist, und das unserem Bild vom Ende des Ersten Weltkriegs
eine neue und bedeutende Facette hinzufügt.
(Regina Károlyi; 11/2008)
Lothar Machtan: "Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen"
Propyläen Verlag, 2008. 427 Seiten.
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Lothar Machtan, geboren 1949, seit 1995 Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Bremen. Autor zahlreicher Studien zur sozialen und politischen Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts. 1998 veröffentlichte er das Buch "Bismarcks Tod und Deutschlands Tränen". Seine Thesenbiografie "Hitlers Geheimnis", 2001 erschienen, wurde in zehn Sprachen übersetzt.