Wanderbilder 1852
1 Am Tegelsee
Es
glänzt ein stilles weisses Haus
Aus stillen grünen Kronen;
Auf seinen
Warten ruhen aus
Die Winde
aller Zonen.
Auf
ihrem Hauch ein edler Klang
Hat sich hinausgeschwungen;
Von Meer zu Meer
grüsst ihn Gesang,
Gesang in allen Zungen.
Im Hause sind Gemach und Saal
Gefüllt von Glanzgestalten,
Die in vergangner
Tage Strahl
Die stumme Wache halten.
Die
Marmorlippen
scheinen sich
Just aufzutun wie Blüten,
Erhobne Hände feierlich
Ein
heilig Gut zu hüten.
Lass
hinter dir, was trüb und wild,
Der du dies Haus betreten;
Denn zu der
Hoffnung reinem Bild
Darfst du gefasst hier beten!
Trittst
du hinaus, den Föhrensaum
Sieh
ernst den See umgeben,
In seinen Wipfeln rauscht der Traum
Vom ferneblauen
Leben.
Und auf dem Walde
wandeln sacht
Die weissen Wolkenfrauen,
Die in der Flut kristallner Nacht
Ihr klares Bild beschauen.
In
leisrem Blau die Sonne schweift,
Ihr eigner Schein ist blasser,
Von feuchter
Reiherschwinge träuft
Er perlengleich ins Wasser.
Fühlst
nach der Heimat du das Weh,
O Fremdling, dich durchschauern,
Fahr auf
dem nord'schen Geistersee,
Hier ist es schön zu trauern!
2 In einem Lustwalde
Ich bin ein Fremder hier zu Lande,
Wo Krongewalt herrscht allerwärts,
Mich binden nicht die starren Bande,
Doch dieser Hain erfreut mein Herz!
Um dieses grünen Lebens willen,
Um dieser Weiher sanfte Flut,
Um diese
ruhgewiegten stillen
Baumwipfel in der Abendglut,
Um
diesen milden tiefen Frieden,
Den mir ein braver Toter beut,
Sei ihm ein
voller Dank beschieden
Des
Herzens, das sein Werk erfreut!
3 Sonntags
Lässig bald
und wieder schneller
Greifend in den blauen Himmel
Dreht sich eine graue
Mühle
Dort am schweigenden
Totenhain.
Drüben glänzt
des Königs Kuppel;
Still ist's auch in jener Gegend,
Schmollend lässt
er Gras ergrünen
Vor dem riesigen Burgportal.
Aus den Toren summt und brummt es,
Und das Weichbild schwirrt von Geigen;
Fernhin watet in dem Sande
Staubaufregendes Volk
Berlins.
Aber
auf dem trägen Flusse
Fahren stille Wendenschiffe;
Durch die Wipfel in
die Ferne
Golden sonnige Segel ziehn.
4 Berliner Pfingsten
Heute sah ich ein Gesicht,
Freudevoll zu deuten:
In dem frühen Pfingstenlicht
Und beim Glockenläuten
Schritten Weiber drei einher,
Feierlich im Gange,
Wäscherinnen fest und schwer,
Jede trug 'ne Stange.
Mädchensommerkleider
drei
Flaggten von den Stangen,
Schönre
Fahnen, stolz und frei,
Als je Krieger schwangen;
Frisch gewaschen und
gesteift,
Tadellos gebügelt,
Blau und weiss und rot gestreift,
Wunderbar
geflügelt!
Lustig blies
der Wind, der Schuft,
Falbeln
auf und Büste,
Und mit frischer Morgenluft
Füllten sich die Brüste;
Und
ich sang, als ich gesehn
Ferne sie entschweben:
"Auf und lasst die Fahnen
wehn,
Lustig ist das Leben!"
Welch
lustiger Wald um das hohe Schloss
Hat sich zusammengefunden,
Ein grünes
bewegliches Nadelgehölz,
Von keiner Wurzel gebunden!
Anstatt
der warmen Sonne scheint
Das Rauschgold durch die Wipfel;
Hier backt man
Kuchen, dort brät
man Wurst,
Das Räuchlein zieht um die Gipfel.
Es ist ein fröhliches Leben im Wald,
Das Volk erfüllet die Räume;
Die
nie mit Tränen ein Reis gepflanzt,
Die fällen am frohsten die Bäume.
Der
eine kauft ein bescheidnes Gewächs
Zu überreichen Geschenken,
Der andre einen gewaltigen Strauch,
Drei
Nüsse daran zu henken.
Dort
feilscht um ein winziges
Kieferlein
Ein Weib mit scharfen Waffen;
Der dünne Silberling soll zugleich
Den
Baum und die Früchte verschaffen.
Mit rosiger Nase schleppt der Lakai
Die schwere
Tanne
von hinnen;
Das Zöfchen trägt ein Leiterchen nach,
Zu ersteigen die grünen
Zinnen.
Und kommt die
Nacht, so singt der Wald
Und wiegt sich im Gaslichtscheine;
Bang führt
die ärmste Mutter ihr Kind
Vorüber dem Zauberhaine.
Einst
sah ich einen Weihnachtsbaum:
Im düstern Bergesbanne
Stand reifbezuckert
auf dem Grat
Die alte Wettertanne.
Und
zwischen den Ästen waren schön
Die Sterne aufgegangen;
Am untersten Ast
sah man entsetzt
Die alte Wendel hangen.
Hell schien der
Mond
ihr ins Gesicht,
Das festlich still verkläret;
Weil
auf der Welt sie nichts besass,
Hatt' sie sich selbst bescheret.
6 Polkakirche
Wie
nach dem Rezept geschaffen,
Fein und niedlich ist der Tempel,
Angemessnen
jungen Leuten
Ein erbaulich Bauexempel!
Byzantinisch jede Fuge,
Bogen, Bögelchen und Kehlen,
Nur die phantasiegebornen
Alten Fratzenbilder fehlen.
Durch
die byzantin'schen Pförtchen
Rauscht es leis in Samt und Seiden;
Drinnen
glitzert's fromm und geistreich
Wie zu der Komnenen Zeiten.
Hofhistoriographen lispeln
Mit
ergrauten Paladinen;
Nach den Mosaiken blicken
Kammerherrn mit Betermienen.
Und die Kanzel mit dem
glatten
Superintendent garnieret -
Ja, den Glaspalast zu
London
Hätte
dieses Werk gezieret!
Dein Witz
geht an, o Schöne mein,
Noch eher, als dein bayrisch Bier!
Jedoch noch
besser leuchtet mir
Das Blaue deiner Augen ein!
Und besser als dies Flackerlicht
Noch dünket mich dein schmal Gesicht,
Die runde Schulter, die zierliche Brust
Und deiner Hüften schlanke Lust.
An deiner schwarzen Seidentracht
Ist jedes Fältchen wohlgemacht;
Und immer
nobel, witzig nur
Verfolgst
du deine dunkle Spur.
Bist nie gemein und schimpfest nicht,
Wenn dir ein Gast die Treue bricht,
Ein Marquis
Posa, wie gemalt,
Die sieben Seidel nicht bezahlt.
Du
siehst nur intressanter aus,
Kaum zittern leis Manschett' und Kraus',
So edelbleich und schmerzenreich
Siehst
du Marien Stuart gleich.
Getrost
nur wandle deine Bahn!
Ich kenne manchen ernsten Mann,
Des Seelenstaat
und Wortgeschmeid
Mahnt an
dein seidnes Rauschekleid.
Er strebt und ringt und peroriert,
Wird edelbleich, wenn er verliert:
Um was sich's handelt, scheint
es mir,
Ist mehr nicht, als ein Seidel Bier!
(von Gottfried Keller)
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