Venedigs erster Tag
Eine glückgefüllte Gondel gleitet auf dem
Canal grande,
An Giorgione lehnt
die Blonde mit dem roten Samtgewande.
"Giorgio, deiner Laute Saiten hör ich
leise, leise klingen -"
"Julia Vendramin, Erlauchte, was befiehlst du mir
zu singen?"
"Nichts von
schönen Augen, Giorgio! Solches Thema sollst du lassen!
Singe, wie dem Meer
entstiegen diese wunderbaren Gassen!
Fessle kränzend keine Locken, die sich
ringeln los und ledig!
Giorgio, singe mir von meinem unvergleichlichen Venedig!"
"Meine süsse Muse will
es! Es geschieht!" Er präludierte.
"Weiland, eh des heilgen Markus Flagge
dieses Meer regierte,
Drüben dort, wo duftverschleiert
Istriens schöne Berge blauen,
Sank vor ungezählten Jahren eine Dämmrung voller
Grauen.
Durch das Dunkel
huschen Larven, angstgeschreckte Hunde winseln,
Schreie gellen, Stimme warnen:
`Löst die Böte! Nach den Inseln!'
In den Lüften haucht ein Odem, wie es in
den Gräbern modert -
Schaurig tagen Meer und Himmel! Aquileja brennt und lodert!
Von der Stätte, wo die
stillen, ungezähmten Flammen wogen,
Kommt ein dumpfes Menschenbrausen nach
dem freien Strand gezogen:
Attila, die Gottesgeissel, jagt auf blutbesprengten
Pfaden
Krieger mit zerbrochnen Schwertern, Fraun mit Schätzen schwer beladen.
Wie zum Hades Schatten
wandern, ziehn zum Meere die Gescheuchten,
Das die purpurrot gefärbten Wolken
weit hinaus beleuchten,
Witwen, Waisen schreiten jammernd, schweigend stürzen
wunde Männer,
Mitten im Gewühle bäumen Wagen sich und scheue Renner.
Knie
wanken, Füsse gleiten, Kästchen brechen, draus die hellen
Goldnen Reife rollend
springen und die weissen Perlen quellen.
Nackte Küstenkinder starren gierig
auf das rings zerstreute
Gold, und doch betastets keines - Etzels ist die
ganze Beute!
Schiffer
rüsten dunkle Nachen, drüber Wogen schäumend schlagen,
Durch die weisse Brandung
werden bleiche Fraun an Bord getragen -
Mit der Rechten an die phrygsche Mütze
langt der Meerplebejer
Beut zum Sprung ins Boot die Linke dem behelmten Aquilejer.
Schon entflieht ein Schiff
mit wehnden Segeln, flatternden Gewanden
Drin sich weitgetrennte Lose sonder
Wahl zusammenfanden,
Unbekannte Hände drücken sich in angstbeklommenem Traume
Aquilejas Überbleibsel schmiegen sich in engem Raume.
Letzte
Scheideblicke wendend, sehn sie noch den Himmel bluten
Aber tiefer stets und
ferner brennen die gesunknen Gluten.
Still verglimmt der Heimat müde Todesfackel.
Auf die Ruder
Beugt sich Unglück neben Unglück, Bruder seufzend neben Bruder.
Eine Fürstin küsst ein Knäblein, ein dem Edelblute fremdes,
Eine Sklavin wärmt
ein fürstlich Kind im Schoss des Wollenhemdes -
Unter ihnen eine Tiefe, über
ihnen eine Wolke -
Liebe taut vom Himmel, Liebe wächst in diesem neuen Volke.
Über eines Mantels Flattern,
sturmverwobten greisen Haaren
Will das Schweben einer Glorie einen Heilgen
offenbaren,
Dieses ist der heilge Markus, rüstig rudernd wie ein andrer -
Nach
den nahenden Lagunen lenkt die Fahrt der selge Wandrer.
Neben ihm der Jugendschlanke schlägt die Wellen, dass sie schallen,
Wirren
Locken sind die Kränze schwelgerischer Lust entfallen.
Der
Bacchant
wird zum Äneas.
Niederbrannte Trojas
Feuer.
Mit den rudernden Genossen sucht er edles Abenteuer.
Mählich
lichtet sich der Osten. In der ersten Helle schauen
Kecke Männer tief ins
Antlitz morgenbleicher schöner Frauen
Lieblich Haupt, das blonde Flechten
wie mit lichtem Ring umwinden,
Bald an einem tapfern Herzen wirst du deine
Heimat finden!
Scharf
gezeichnet neigt sich eines Helden narbge Stirne denkend
In das göttliche
Geheimnis ewgen Werdens sich versenkend;
Rings in Stücke sprang zerschmettert
Romas rostge Riesenkette,
Neue Weltgeschicke gönnen junger Freiheit eine Stätte
...
Wie geworfen aus dem
Himmel heiter spielend von Auroren
Schwimmt ein lichter Kranz von Inseln in
die blaue Flut verloren,
Durch die Brandung gehn die Kähne mit beseelten Ruderschlägen,
Fischer
stehen, schaumgebadet, und sie rufen sich entgegen:
'Flehnde
kommen wir, Veneter! Drüben flammt ein weit Verderben!
Unsre Seelen sind entronnen
einem ungeheuern Sterben!'
'Freuet euch! Ihr lebt und atmet! Hier ist euch
Asyl gegeben!
Friede sei mit euren Toten! Freude denen, die da leben!'
Machtvoll,
Schwert und Ruder tragend, wallen Genien vor den Böten;
Auch ein Schwarm von
Liebesgöttern flügelt durch die jungen Roten -
Über das Gestein der Insel
geht ein Hauch von Lust und Wonne
Ahnungsvollem Meer entsteigend, prangt Venedigs
erste Sonne.
Blonde Julia, deiner Heimat Ursprung
hab ich dir verkündet,
Liebe hat
die
Stadt Venedig, Liebe hat die Welt gegründet -
Deiner Augen strahlend blauer Himmel würde bleichen ohne
Liebesfeuer und verstummen, wie die Laute des Giorgione!'
(von C.F..Meyer)