Am 30. September 1869 ließ Kaiserin Eugénie ihren Gemahl und ihren einzigen Sohn im Palast von Saint Cloud zurück und bestieg den kaiserlichen Zug, der sie nach Venedig brachte. Begleitet wurde sie von einem illustren Gefolge, zu dem die Duchesse d´Albe, Mme. de la Nadaillac, Prince Murat, Général Douay, Comte Davilier, Comte de Brissac, Comte Clary, Mlle. Larminat, Mlle. Marion, Commandant Reffy und der Marquis de Châteauneuf gehörten.
Casimir genoss es, erneut Richtung Osten unterwegs zu sein. Obwohl er nicht mehr von ihr träumte, war die Frau mit dem blauen und dem bersteinfarbenen Auge auf ewig in sein Gedächtnis eingebrannt.
Die
Gesellschaft erreichte
Venedig
am Abend des 1. Oktober. Dort begrüßte sie de Surville, der Kapitän der kaiserlichen
Yacht, die in Anspielung auf das napoleonische Wappen Aigle (Adler) hieß.
Um
ihre Ankunft zu feiern, waren alle Palazzi am Canal Grande innen erleuchtet, und
die Rialto-Brücke schmückten funkelnde rote Lampen, die sich im Wasser spiegelten.
Das merkwürdige Wogen der Gondeln, das wie ein einziges, gemeinsames Atmen erschien,
ihre unzähligen Spitzen, deren geschweifte Aufsätze mit den Spornen sich wie eine
Horde Drachen emporreckten, bewirkten einen derart unschicklichen Schwindel, dass
sich die Kaiserin benommen fühlte.
Die Aigle legte am 7. Oktober in Venedig ab. Mittags durchfuhr sie den Porto die Malamocco. Am Himmel waren drohende, dunkle Wolken aufgezogen, und der Wind peitschte. Doch Casimir de Châteauneuf machte die Gewalt der aufgewühlten See nichts aus.
Am 9. Oktober
verließ die Aigle die Adria, folgte der Küstenlinie der Ionischen Inseln
und erreichte Kap Matapan. Dort erwarteten sie eine noch schwerere See und ungute
nordöstliche Winde.
Kapitän de Surville war besorgt.
Die empfindlichen,
zu Übelkeit neigenden kaiserlichen Gäste waren an ihre Kabinen gefesselt. Das
schlechte Wetter hielt auch nach dem Doro-Kanal an, und der Kapitän war gezwungen,
die Maschinen die ganze Strecke bis Tenedos
langsamer laufen zu lassen, um das Schiff zu schonen und allzu heftige Brecher
vor dem Bug zu vermeiden. "Wir müssen unseren Kurs ändern", kündigte er an.
Als die Hoffnung schwand, Konstantinopel jemals zu erreichen, versammelten sich die Passagiere zum stillen Gebet in der Schiffskapelle. Und als hätte Poseidon ihre inneren Stimmen gehört, ließen die Winde nach und die Wolken lockerten auf. Die See beruhigte sich.
Im selben Augenblick wurde die Mondsichel samt einem Stern daneben sichtbar - als wollte das magische Emblem der Osmanen ihre Ankunft feiern.
Aus "Palast der Tränen" von Alev Croutier.