Siebenundzwanzigste Jobelperiode
Peterskirche - Rotonda - Coliseo - Brief an Schoppe - der Krieg - Gaspard - der Korse - Verwicklung mit der Fürstin - die Krankheit - Gaspards Bruder - Peterskuppel und Abschied
104. Zykel
Rom ist wie die Schöpfung
ein ganzes Wunder, das sich allmählich in neue Wunder zergliedert, in das Coliseo,
in das Pantheon, die Peterskirche, in Raffael u. s. w.
Mit dem Durchgang durch die Peterskirche fing der Ritter den schönen Lauf durch
die Unsterblichkeit an. Die Fürstin ließ sich von der Kunst mit dem Männer-Kreise
verbinden. Da Albano mehr von Gebäuden als von jedem andern Kunstwerk ergriffen
wurde: so sah er mit heiligem Herzen von weiten das lange Kunst-Gebürg, das
wieder Hügel trug - und so trat er vor die Ebene, um welche zwei ungeheuere
Kolonnaden wie Korsos laufen, ein Volk von Statuen tragend; in der Mitte steigt
der Obeliskus und zu seiner Rechten und Linken ein ewiges Wasser auf, und von
den hohen Stufen schauet die stolze Kirche der Welt, innen mit Kirchen besetzt,
auf sich einen Tempel gen Himmel reichend, auf die Erde herunter. - Aber wie
waren in der Nähe ihre Säulen und ihre Felsenwand ungeheuer aufgestiegen und
flohen den Blick!
Er trat in die Zauberkirche, die der Welt Segen, Fluch, Könige und
Päpste
gab, - mit dem Bewußtsein, daß sie wie das Weltgebäude sich immer mehr erweitere
und entferne, je länger man in ihr ist. Auf zwei Kinder von weißem Marmor, die
eine Weih-Muschel von gelbem hielten, gingen sie hin; die Kinder wuchsen durch
das Nahen, bis sie Riesen waren. Endlich standen sie am Hauptaltar und dessen
hundert ewigen Lampen - welch eine Stelle! - Über sich das Himmelsgewölbe der
Kuppel, auf vier innern Türmen ruhend, um sich eine überwölbte Stadt von vier
Straßen, worin Kirchen standen. - Am größesten wurde der Tempel durch Gehen;
und wenn sie um eine Säule traten, so lag ein neuer vor ihnen, und heilige Riesen
schaueten ernst herab. - Hier wurde dem Jüngling nach langer Zeit das große
Herz gefüllt: »In keiner Kunst« (sagt' er zu seinem Vater) »wird die Seele so
gewaltig vom Erhabnen angefasset als in der Baukunst; in jeder andern steht
der Riese in ihr und in den Tiefen der Seele, aber hier steht er außer und dicht
vor ihr.« - Dian, dem alle Bilder deutlicher waren als abstrakte Ideen, sagte:
»Er hat vollkommen recht.« - Fraischdörfer versetzte: »das Erhabene stecke auch
hier nur im Kopfe, denn die ganze Kirche stehe doch in etwas Größerem, nämlich
in Rom und unter dem Himmel, wobei wir ja nichts empfänden.« Auch klagt' er,
daß dem Erhabnen der Platz in seinem Kopfe sehr verengt werde durch die unzähligen
Schnörkel und Monumente, die der Tempel zugleich mit sich in ihn hineintreibe«.
Gaspard sagte, alles mit einem großen Sinne nehmend: »Steht nur einmal das Erhabne
wirklich da, so verschlingt und vertilgt es eben seiner Natur nach alle kleinen
Zierden um sich her.« Er führte zum Beweise den Münsterturm und die Natur selber
an, die durch ihre Gräser und Dörfer nicht kleiner werde.
Die Fürstin genoß unter so vielen Kunstverständigen schweigend.
Das Ersteigen der Kuppel riet Gaspard einem regen- und wolkenlosen Tage aufzuheben,
um die Welt-Königin Roma auf und von dem rechten Throne zu schauen; er schlug
dafür sehr eifrig den Besuch des Pantheons vor, weil er es gern schnell hinter
den Eindrücken der Peterskirche wollte folgen lassen. Sie gingen dahin. Wie
einfach und groß tut sich die Halle auf. Acht gelbe Säulen tragen ihre Stirn,
und majestätisch wie das Haupt des Homerischen Jupiters wölbt sich sein Tempel!
Es ist die Rotonda oder das Pantheon. - »O der Niedrigen,« (rief Albano) »die
uns neue Tempel geben wollen! Hebt die alten aus dem Schutte höher, so habt
ihr genug gebauet.« - Sie traten hinein; da wölbte sich ein heiliges, einfaches,
freies Weltgebäude mit seinen hinaufstrebenden Himmelsbogen um sie, ein Odeum
der Sphärentöne, eine Welt in der Welt! - Und oben leuchtete die Augenhöhle
des Lichts und des Himmels herab, und das ferne Flug-Gewölk schien die hohe
Wölbung zu berühren, über die es wegschoß! Und um sie her standen nichts als
die Tempel-Träger, die Säulen! - Der Tempel aller Götter vertrug und
verbarg die kleinlichen Altäre der spätern.
Gaspard befragte Albano über sein Gefühl. Dieser zog die größere Peterskirche
vor. Der Ritter billigte es und sagte, »daß überall der Jüngling gleich den
Völkern das Erhabene besser empfinde und leichter finde als das Schöne, und
daß der Geist des Jünglings vom Starken zum Schönen reife, wie der Körper desselben
vom Schönen zum Starken; indes zieh' er selber das Pantheon vor.« - »Wie könnten
auch Neuere« (sagte der Kunstrat Fraischdörfer) »etwas bauen, außer einige
Berninische
Türmlein?« - »Dafür« (sagte der verletzte Land-Baumeister Dian, der den Kunstrat
verachtete, weil dieser niemals eine gute Figur machte als in der ästhetischen
Richterstube als Richter, nie in dem Ausstellungssaal als Maler) »sind wir Neuern
ohne Widerrede in der Kritik stärker, wenn wir auch in der Praxis samt und sonders
Lumpe sind.« Bouverot merkte an: »Die korinthischen Säulen könnten höher sein.«
Der Kunstrat sagte: »er wisse doch nichts dieser schönen Halbkugel Ähnlicheres
als eine viel kleinere, die er im Herkulanum in Asche ausgedrückt gefunden -
vom Busen einer schönen Flüchtlingin.« Der Richter lachte, und Albano trat unwillig
zur Fürstin.
Sie fragte er um ihre Stimme über beide Tempel. »Hier
Sophokles, dort Shakespeare; aber
den Sophokles fass' ich leichter«, versetzte sie und blickt' ihm mit neuen Augen
in das neue Angesicht. Denn die überirdische Erleuchtung durch das Zenith des
Himmels - nicht durch einen dunstigen Horizont - verklärte ihr das schöne bewegte
Gesicht des Jünglings; und sie setzte voraus, der Heiligenschein der Kuppel
hebe auch ihre Gestalt. Da er ihr antwortete: »Sehr gut! Aber in Shakespeare
steckt auch Sophokles, aber in Sophokles nicht Shakespeare - und auf der Peterskirche
steht Angelos Rotonda!« so ging plötzlich das hohe Gewölk, wie durch den Schlag
einer Hand aus dem Äther, entzwei, und die entrückte Sonne schauete, wie das
Auge der durch den alten Himmel ziehenden Venus, die sonst auch hier stand,
aus hoher Tiefe mild herein - da füllte ein heiliger Glanz den Tempel und brannte
auf dem Porphyr des Bodens, und Albano sah betroffen und entzückt umher und
sagte mit leiser Stimme: »Wie ist jetzt alles so verklärt an dieser heiligen
Stelle!
Raffaels Geist geht in der Mittagsstunde aus seinem Grabe, und alles,
was sein Widerschein berührt, erglänzt göttlich!« Die Fürstin sah ihn zärtlich
an, und er legte leicht seine Hand auf ihre und sagte wie überwältigt: »Sophokles!«
-
Am nächsten mondhellen Abende darauf bestellte Gaspard Fackeln, damit das Coliseo
mit seinem Riesen-Kreis zuerst im Feuer vor ihnen stände. Dem Ritter, der nur
allein mit dem Sohne düster im düstern Werke, wie zwei Geister der alten Zeit,
umhergehen wollte, drang sich noch die Fürstin auf, aus zu lebhaftem Wunsch,
mit dem edlen Jüngling große Minuten und wohl gar ihr Herz und seines zu teilen.
Die Weiber begreifen nicht genug, daß die Idee, wenn sie den männlichen Geist
erfüllt und erhebt, ihn dann vor der Liebe verschließe und die Personen verdränge,
indes bei Weibern alle Ideen leicht zu Menschen werden. -
Sie gingen über das Forum auf der via sacra zum Coliseo, dessen hohe zerspaltene
Stirn unter dem Mondlicht bleich herniederschauete. Sie standen vor den grauen
Felsenwänden, die sich auf vier Säulenreihen übereinander hinaufbaueten, und
die Flammen schossen hinauf in die Bogen der Arkaden, hoch oben das grüne Gesträuch
vergoldend und tief in die Erde hatte sich das schöne Ungeheuer schon mit seinen
Füßen eingegraben. Sie traten hinein und stiegen am Gebürge voll Felsenstücke
von einem Sitze der Zuschauer zum andern; Gaspard wagte sich nicht zum sechsten
oder höchsten, wo sonst die Männer standen, aber Albano und die Fürstin. Da
schauete dieser über die Klippen auf den runden grünenden Krater des ausgebrannten
Vulkans herunter, der einst auf einmal neuntausend Tiere verschlang und der
sich mit Menschenblut löschte - der Flammenschein fuhr in das Geklüft und ins
Geniste des Efeus und Lorbeers und unter die großen Schatten des Mondes, die
wie Abgeschiedne sich in den Höhlen aufhielten - in Süden, wo die Ströme der
Jahrhunderte und der Barbaren hereingedrungen waren, standen einzelne Säulen
und geschleifte Arkaden - Tempel und drei Paläste hatte der Riese mit seinen
Gliedern genährt und gefüttert, und noch schauete er lebendig mit seinen Wunden
in die Welt.
»Welch ein Volk!«, sagte Albano. »Hier ringelte sich die Riesenschlange fünfmal
um das
Christentum -
Wie ein Hohn liegt drunten das Mondlicht auf der grünen Arena, wo sonst der
Kolossus des Sonnengottes stand - Der Stern des Nordens schimmert gesenkt durch
die Fenster, und der Drache und die Bären bücken sich. Welch eine Welt ist vorüber!«
- Die Fürstin antwortete, »daß zwölftausend Gefangne dieses Theater baueten
und daß noch weit mehrere darauf bluteten«. - »O die Bau-Gefangnen haben wir
auch,« (sagt' er) »aber für Festungen; und das Blut fließet auch noch, aber
mit dem Schweiß! Nein, wir haben keine Gegenwart, die Vergangenheit muß ohne
sie die Zukunft gebären.«
Die Fürstin ging weg, um einen Lorbeerzweig und blühenden Güldenlack zu brechen.
Albano versank ins Sinnen - der Herbstwind der Vergangenheit ging über die Stoppeln
- auf dieser heiligen Höhe sah er die Sternbilder, Roms grüne Berge, die schimmernde
Stadt, die Cestius-Pyramide, aber alles wurde zur Vergangenheit, und auf den
zwölf Hügeln wohnten, wie auf Gräbern, die alten hohen Geister und sahen streng
in die Zeit, als wären sie noch ihre Könige und Richter.
»Zum Andenken der Stelle und der Zeit!« sagte die kommende Fürstin, ihm den
Lorbeer und
die Blumen gebend. - »Du Gewaltige, ein Coliseo ist dein Blumentopf, dir ist
ja nichts zu groß und nichts zu klein!« sagte er und brachte die Fürstin in
einige Verwirrung, bis sie merkte, daß er die Natur meine. Sein ganzes Wesen
schien neu und schmerzlich bewegt und wie fern entrückt - er sah nach dem Vater
hinab und suchte ihn auf - er blickte ihn scharf an und drückte heftig seine
Hand und sprach diesen Abend über nichts mehr.
(...)
(aus dem "Titan" von Jean-Paul)
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