Neujahrsnacht
Im grauen Schneegestöber blassen
Die Formen, es zerfließt der Raum,
Laternen
schwimmen durch die Gassen,
Und leise knistert es im Flaum;
Schon naht
des Jahres letzte Stunde,
Und drüben, wo der matte Schein
Haucht aus den
Fenstern der Rotunde,
Dort ziehn die frommen Beter ein.
Wie zu dem Richter der Bedrängte,
Ob dessen Haupt die Wage neigt,
Noch
einmal schleicht, eh der verhängte,
Der schwere Tag im Osten steigt,
Noch
einmal faltet seine Hände
Um milden Spruch, so knien sie dort,
Still gläubig,
daß ihr Flehen wende
Des Jahres ernstes Losungswort.
Ich
sehe unter meinem Fenster
Sie gleiten durch den Nebelrauch,
Verhüllt und
lautlos wie Gespenster,
Von ihrer Lippe flirrt der Hauch;
Ein blasser
Kreis zu ihren Füßen
Zieht über den verschneiten Grund,
Lichtfunken blitzen
auf und schießen
Um der Laterne dunstig Rund.
Was mögen sie im Herzen tragen,
Wie manche Hoffnung, still bewacht!
Wie
mag es unterm Vließe schlagen
So heiß in dieser kalten Nacht!
Fort keuchen
sie, als möge fallen
Der Hammer, eh sie sich gebeugt,
Bevor sie an des
Thrones Hallen
Die letzte Bittschrift eingereicht.
Dort hör' ich eine Angel
rauschen,
Vernehmlich wird des Kindes Schrein,
Und die Gestalt — sie scheint
zu lauschen,
Dann fürder schwimmt der Lampe Schein;
Noch einmal steigt
sie, läßt die Schimmer
Verzittern an des Fensters Rand,
Gewiß, sie trägt
ein Frauenzimmer
Und einer Mutter fromme Hand!
Nun
stampft es rüstig durch die Gasse,
Die Decke kracht vom schweren Tritt,
Der
Krämer schleppt die Sündenmasse
Der bösen Zahler keuchend mit;
Und hinter
ihm wie eine Docke
Ein armes Kind im Flitterstaat,
Mit seidnem Fähnchen,
seidner Locke,
Huscht frierend durch den engen Pfad.
Ha,
Schellenklingeln längs der Stiege!
Glutaugen richtend in die Höh',
'Ne
kolossale Feuerfliege,
Rauscht die Karosse durch den Schnee;
Und Dämpfe
qualmen auf und schlagen
Zurück vom Wirbel des Gespanns;
Ja, schwere Bürde
trägt der Wagen,
Die
Wünsche eines reichen Manns!
Und
hinter ihm ein Licht so schwankend,
Der Träger tritt so sachte auf,
Nun
lehnt er an der Mauer, wankend,
Sein hohler Husten schallt hinauf;
Er
öffnet der Laterne Reifen,
Es zupfen Finger lang und fahl
Am Dochte, Odemzüge
pfeifen, —
Du, Armer, kniest zum letztenmal.
Dann
Licht an Lichtern längs der Mauer,
Wie Meteore irr geschart,
Ein krankes
Weib in tiefer Trauer,
Husaren mit bereiftem Bart,
in Filz und Kittel
stämm'ge Bauern,
Den Rosenkranz
in starrer Faust,
Und Mädchen, die wie
Falken
lauern,
Von Mantels Fittichen umsaust.
Wie
oft hab' ich als Kind im Spiele
Gelauscht den Funken im Papier,
Der Sternchen
zitterndem Gewühle,
Und: »Kirchengänger!« sagten wir;
So seh' ich's wimmeln
um die Wette
Und löschen, wo der Pfad sich eint,
Nachzügler noch, dann
grau die Stätte,
Nur einsam die Rotunde scheint.
Und mählich schwellen
Orgelklänge
Wie Heroldsrufe an mein Ohr:
Knie nieder,
Lässiger, und dränge
Auch deines Herzens Wunsch hervor!
»Du, dem Jahrtausende
verrollen
Sekundengleich, erhalte mir
Ein mutig Herz, ein redlich Wollen
Und Fassung an
des
Grabes Tür.«
Da, horch! — es summt durch Wind
und Schloßen,
Gott gnade uns, hin ist das Jahr!
Im Schneegestäub' wie Schnee zerflossen,
Zukünftiges wird offenbar;
Von allen Türmen um die Wette
Der Hämmer Schläge, daß es schallt,
Und mit dem letzten ist die Stätte
Gelichtet für den neuen Wald.
(von Annette von Droste-Hülshoff)