(...) Bei den letzten
Worten war der Alte aufgestanden. Er klopfte sich den Staub vom Hintern und
rief seinen Ochsen. Der kam auch sofort vom Teich
her angetrottet, stellte sich neben ihn und senkte den Kopf. Der Alte lud ihm
den Pflug auf, faßte den Zügel und ging langsam mit dem Ochsen davon.
Beide Fuguis hatten schlammverschmierte Beine, beide schwankten beim Gehen leicht
hin und her. Ich hörte, wie der Alte zu dem Tier sagte: "Youqing und Erxi haben
heute je sieben Ar gepflügt, Jiazhen und Fengxia auch nicht viel weniger, bloß
Kugen hat nur drei Ar geschafft, aber der ist ja auch noch klein. Und du?! Ich
sag´s lieber gar nicht, sonst glaubst Du am Ende, ich will Dich absichtlich
beschämen. Andererseits ... - du tust immerhin, was in Deinen Kräften steht."
Während Fugui und sein Ochse sich allmählich immer weiter entfernten, vernahm
ich aus der Ferne abermals seinen bewegenden heiseren Gesang, der durch die
Weite des Abends zu mir herüberwehte:
Junger Mann stromert
rastlos umher,
Reifer Mann strebt nach Wohlstand so sehr,
Alter Mann wird Mönch und will gar nichts mehr
Über den Dächern der
Bauernhäuser kräuselte sich der Rauch vieler Herdfeuer, stieg auf in den abendlich
leuchtenden Himmel und verflog.
Die Stimmen der Frauen, die ihre Kinder zum Essen riefen, schwollen an und klangen
wieder ab. Ein Mann mit schwappenden Jaucheeimern am Tragjoch ging vorbei. Langsam
wurde es still auf den Feldern, alles ringsumher begann zu verschwimmen, und
das Abendrot verblaßte allmählich.
Bald würde die Dämmerung weichen und die Nacht sich vom Himmel herabsenken.
Ich sah, wie die weite Erde ihre starke Brust entblößte - ein Ruf war das: Wie
die Frauen ihre Söhne und Töchter, so rief die Erde die Nacht. (...)
(aus "Leben!"
von Yu Hua)
Aus dem Chinesischen übersetzt von Ulrich Kautz
Ein authentischer Roman, geschrieben von einem der jungen Autoren Chinas.
Als Sohn eines Gutsbesitzers geboren und verheiratet mit der Tochter eines reichen
Reishändlers, verspielt Fugui schon früh Hof und Äcker in den Spielhöllen der
nahegelegenen Stadt. Er wird zum Tagelöhner. Guomindang-Offiziere greifen ihn
auf und schicken ihn in den Kampf gegen die Rote Armee, deren Kriegsgefangener
er wird. Wieder in Freiheit, kehrt er zu seinem Beruf zurück; durch die Bodenreform
kommt er sogar zu etwas Land - das nehmen ihm die Volkskommunen. Nachdem ihm
Schicksalsschläge fast die ganze Familie geraubt haben, sieht ihn das Alter
auf dem nun wieder privatisierten Acker; ein Ochse ist alles, was ihm geblieben
ist.
Doch sind dies nur die äußeren Begebenheiten dieses Romans. Eine Familie,
die Menschen und die wechselvolle Geschichte Chinas sind der eigentliche Stoff
der Ereignisse, die in einfachen, eindrücklichen und fast poetischen Worten
mitgeteilt werden. So ist ein bewegender und doch nie sentimentaler Roman über
die letzten 50 Jahre des Reichs der Mitte entstanden. Der stoische und letztlich
triumphierende Lebenswille des einzelnen ist seine Botschaft.
»Leben!« wurde trotz Einwänden der chinesischen Zensur von Zhang
Yimou verfilmt, 1994 in Cannes uraufgeführt und mit dem Großen Preis der
Jury ausgezeichnet.
Buch bei amazon.de bestellen