Die Mythen. Erschaffung der vier Welten

Tokpela: Die Erste Welt
Die Erste Welt war Tokpela, der endlose Raum. Aber zuerst, so sagen sie, gab es nur den Schöpfer Taiowa. Alles andere war endloser Raum. Es gab keinen Anfang und kein Ende, keine Zeit, keine Form, kein Leben. Nur eine unermeßliche Leere, die Anfang und Ende, Zeit, Form und Leben im Geiste Taiowas, des Schöpfers, hatte. Dann erdachte er, der Unendliche, sich das Endliche. Zuerst schuf er Sotuknang, um es zu offenbaren, und er sprach zu ihm: »Ich habe dich geschaffen, die erste Kraft und das erste Instrument, als eine Person, damit du meinen Plan eines Lebens im endlosen Raum ausführst. Ich bin dein Oheim, du bist mein Neffe. Geh nun und leg diese Welten in der richtigen Ordnung an, damit sie harmonisch miteinander wirken, so wie es mein Plan will.« Sotuknang tat, was ihm befohlen war. Aus dem endlosen Raum sammelte er all das, was sich als feste Substanz offenbaren sollte, formte es und ordnete es zu neun allumfassenden Reichen: eines für Taiowa, den Schöpfer, eines für sich selbst und sieben Welten für das Leben, das da kommen sollte. Nachdem er dies vollendet hatte, ging Sotuknang zu Taiowa und fragte: »Stimmt dies mit deinem Plan überein?« »Es ist sehr gut«, sagte Taiowa. »Nun möchte ich, daß du das gleiche mit den Wassern machst. Teile die Wasser unter allen diesen Welten aus und füge sie auf jeder Welt gleichmäßig auf ihre Oberflächen.« Da sammelte Sotuknang all das aus dem endlosen Raum, was sich als Wasser offenbaren sollte, und ordnete es so auf den Welten an, daß diese zur Hälfte aus Festem und zur Hälfte aus Wasser bestanden. Nun ging er zu Taiowa und sprach: »Ich möchte, daß du mein Werk ansiehst und sagst, ob es dir gefällt.« »Es ist sehr gut«, sagte Taiowa. »Als nächstes nun versetze die Kräfte der Luft um alle Welten in friedliche Bewegung.« Dies tat Sotuknang. Aus dem endlosen Raum sammelte er all das, was sich als die Luft offenbaren sollte, machte daraus große Kräfte und legte sie in sanften, geordneten Bewegungen um jede Welt. Taiowa war erfreut. »Du hast ein großes Werk entsprechend meinem Plan vollbracht, Neffe. Du hast die Welten geschaffen und sie mit Festem, mit Wassern und Winden sich offenbaren lassen, und du hast sie an die rechten Orte gesetzt. Aber deine Arbeit ist noch nicht beendet. Nun mußt du das Leben und seine Bewegung erschaffen, um die vier Teile, Tuwaquachi, meines allumfassenden Planes zu vollenden.« Spinnenweib und die Zwillinge Sotuknang ging zu der Welt, in der das war, was Tokpela, die Erste Welt, werden sollte, und daraus schuf er sie, die auf dieser Erde bleiben und seine Helferin sein sollte. Ihr Name war Kokyangwuti, Spinnenweib. Als sie zum Leben erwacht war und ihren Namen empfangen hatte, fragte sie: »Warum bin ich hier?« »Schau dich um«, sprach Sotuknang. »Hier ist die Erde, die wir geschaffen haben. Sie hat Form und Substanz, Richtung und Zeit, einen Anfang und ein Ende. Aber es gibt kein Leben auf ihr. Wir sehen keine freudige Bewegung. Wir hören keinen freudigen Klang. Was ist Leben ohne Klang und Bewegung? Deshalb ist dir die Macht gegeben, uns zu helfen, dieses Leben zu erschaffen. Es sind dir das Wissen, die Weisheit und die Liebe gegeben, alle Wesen, die du erschaffen wirst, damit zu segnen. Deshalb bist du hier.« Seinen Anordnungen folgend nahm Spinnenweib etwas Erde, mischte sie mit etwas tuchvala, Speichel, und formte aus ihr zwei Wesen. Dann bedeckte sie diese mit einem Umhang, der aus einer weißen Substanz bestand und die schöpferische Weisheit selbst war, und sang über ihnen das Lied der Schöpfung. Als sie die beiden Wesen aufdeckte, da setzten sich Zwillinge auf und fragten: »Wer sind wir? Warum sind wir hier?« Zu dem rechten von den beiden sagte Spinnenweib: »Du bist Pöquanghoya, und du sollst helfen, diese Welt in Ordnung zu halten, wenn erst Leben auf ihr ist. Geh nun um die ganze Welt und leg deine Hände auf die Erde, damit sie sich ganz verfestigt. Dies ist deine Aufgabe.« Dann sagte Spinnenweib zu dem linken Zwilling: »Du bist Palöngawhoya, und du sollst helfen, diese Welt in Ordnung zu halten, wenn erst Leben auf ihr ist. Und dies ist deine Aufgabe: Geh über die ganze Welt und sende einen Ton aus, so daß er durch das ganze Land gehört wird. Wenn dies gehört wird, dann wirst du auch 'Echo' genannt werden, weil alle Töne Echos des Schöpfers sind.« Pöquanghoya reiste über die ganze Erde und verdichtete die höheren Gegendenzu Bergen. Die tieferen Gegenden machte er fest und doch weich genug, um von den Wesen genutzt zu werden, die darauf leben sollten und die sie ihre Mutter nennen würden. Palöngawhoya reiste über die ganze Erde und ließ seinen Ruf erklingen, so wie er geheißen worden war. All die Schwingungszentren von Pol zu Pol, entlang der Erdachse, ließen seinen Ruf widertönen; die ganze Erde zitterte, das Universum bebte im Gleichklang. So machte er aus der ganzen Welt ein Instrument der Klänge, aus den Klängen ein Instrument zum Überbringen der Botschaften, aus denen das Lob für den Schöpfer aller Dinge widerhallte. »Dies ist deine Stimme, Oheim«, sagte Sotuknang zu Taiowa. »Alles ist auf deinen Klang eingestimmt.« - »Es ist sehr gut«, sagte Taiowa. Nachdem sie ihre Aufgaben ausgeführt hatten, wurde Pöquanghoyazum Nordpol und Palöngawhoya zum Südpol der Weltachse gesandt, und beiden wurde befohlen, die Welt von dort im richtigen Umlauf zu halten. Pöquanghoya war auch die Macht gegeben, die Erde in einer festen, stabilen Form zu halten. Palöngawhoya war die Macht gegeben, die Luft in einer sanften geordneten Bewegung zu halten, und es war ihm aufgetragen, seinen Ruf zur Freude oder als Warnung durch die Schwingungszentren der Erde zu schicken. »Dies werden in künftigen Zeiten eure Pflichten sein«, sagte Spinnenweib. Dann schuf sie aus Erde Bäume, Büsche, Pflanzen,Blumen, alle Arten von Samenträgern und Nußträgern, um die Erde zu umkleiden, und gab jedem ein Leben und einen Namen. In der gleichen Weise schuf sie alle Arten von Vögeln und Tieren, indem sie sie aus Erde formte, sie mit ihrem Umhang aus weißer Substanz bedeckte und über ihnen sang. Einige setzte sie neben sich zu ihrer Rechten und einige zu ihrer Linken, andere vor und hinter sich, um anzuzeigen, daß sie sich in alle vier Richtungen der Welt ausbreiten und dort leben sollten. Sotuknang war glücklich, als er sah, wie schön alles war - das Land, die Pflanzen, die Vögel und Tiere und die Macht, die in all ihnen wirkte. Freudig sagte er zu Taiowa: »Komm und sieh, wie unsere Welt nun ausschaut!« »Sie ist sehr gut«, sagte Taiowa. »Sie ist nun bereit für das menschliche Leben, für den letzten Schritt, der meinen Plan vollendet.«
(...)


(aus "Das Buch der Hopi" von Kacha Honaw und Frank Waters)

Mythen, Legenden und Geschichte eines Indianervolkes.
"Ein großes Volk spricht zu uns, und wir werden bereichert, wenn wir nur die Achtung und den Respekt aufbringen zuzuhören."
Jahrhundertelang bemühten sich Ethnologen, Soziologen und andere Wissenschaftler, Kultur, Religion und Glauben der Hopi zu verstehen - doch die Hopi gewährten Außenstehenden keinen Einblick in ihre Überlieferungen. Erst als die Existenz ihres Volkes bedroht war, beschlossen sie, ihr Schweigen zu brechen. Frank Waters, der drei Jahre im Hopi-Reservat lebte, erhielt das Privileg aufzuzeichnen, was sie zu sagen hatten. So entstand ein atemberaubendes Buch über eine faszinierende alte Kultur, das einen weiten Bogenvom Anbeginn der Welt bis zum Leben im Reservat schlägt - das Buch der Hopi.
Frank Waters wurde 1902 in Colorado geboren und starb 1995. Er hat in den verschiedensten Bereichen gearbeitet und sich auch in anderen Publikationen mit Pueblo-Kulturen auseinandergesetzt. Seine zahlreichen Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt. "Das Buch der Hopi" ist sein Hauptwerk. (Droemer Knaur)
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