Am Quell der Donau
Dich Mutter Asia! grüß ich, - -
- -
Und fern im Schatten der alten Wälder
Ruhest und deiner Taten denkst, o Asia, du
Und nicht aus eigner Kraft allein, nur
Trunken der Kräfte, da du, Tausendjährige
Himmlischer Feuer voll ein unendlich Frohlocken begannst,
[...]
Mit Donau Woge, wenn herab
Vom Haupte sie dem Orient entgegengehn
Und den Ort sucht und die Schiffe trägt,
Mit kräftiger Woge
Komm ich zu dir - - - -
Ich weiß nicht, ob Friedrich Hölderlin tatsächlich jemals am Quell der Donau war. Ob er ihn überhaupt gefunden hat (was nicht so einfach ist, dazu gleich mehr). Um was es ihm ging, war die Idee, daß es Mutter Donau sei, die uns Germanen mit der antiken Götterwelt und noch weiter ausgreifend mit dem Orient verbinde. Wenn dem so ist, dann muß man allerdings sagen, die Frage Asia oder Germania entscheidet sich auf dem First eines alten Bauernhauses im Schwarzwald. Da auf dem Dach nämlich wird geschieden in Regentropfen, die Richtung Schwarzes Meer, und in Regentropfen, die Richtung Nordsee geschickt werden. Rheinwasser oder Donauwasser, das ist hier die - wie wir gleich sehen werden - ziemlich weitreichende Frage. Entschieden wird sie, wie gesagt, an der Scheidelinie eines alten Dachfirstes: Was westlich davon auftrifft, landet im Rhein, was östlich niederprasselt, in der Donau. Die Traufe am Ende des Daches nämlich ist die tatsächliche, gewissermaßen letztinstanzliche Quelle der Donau. Noch weiter zurückgehen kann man nicht. Glaubte zumindest Johann Dielhelm, als er 1785 in seinem Antiquarius des Donau-Stroms die Entdeckung dieser Dachtraufenquelle vermeldete. Von ihr rinne das Wasser herab auf einen Wiesenhang, aus dessen ständig durchnäßten Untergrund in einer Mulde die Breg entspringe, und die schließlich sei das wahre Donauquellbächlein, denn die Bregquelle liege 48,5 Kilometer weiter vom Schwarzen Meer entfernt als das Städtchen Donaueschingen, der schärfste Rivale in der Streitfrage »wo entspringt die Donau wirklich?«.
Die Donaueschinger wiederum haben ihre Argumente. Eines davon könnte sein, daß man schon bei dem römischen Geschichtsschreiber Plinius nachlesen könne, daß die Donau ihren Ursprung in Donaueschingen habe. Im Schloßpark derer von Fürstenberg findet man eine neobarocke Anlage, bestehend aus einem Quellbecken, einer allegorischen Figurengruppe aus Marmor und der Inschrift: »Mutter Baar schickt die junge Donau auf den Weg nach Osten.« (Baar heißt das badische Hügelland rund um Donaueschingen.) Wie jung die Donau hier noch ist, macht die Figurengruppe anschaulich: als kleines Lausdeandl hüpft die Donau auf den Knien ihrer Mutter Baar herum. Später mutiert die Donau dann - seltsam genug diese Geschlechtsumwandlung - in einen rauschebärtigen Flußgott, so etwa dargestellt in der Figurengruppe vor der Albertina in Wien oder auf dem großen Vier-Ströme-Brunnen von Gian Lorenzo Bernini auf der Piazza Navona in Rom.
Gleich neben der Donauquelle befindet sich das Schloß von Donaueschingen. Und dort, in der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek, hütet man einen ›Quellentext‹ anderer Art, der gewissermaßen das Nationalepos der Deutschen darstellt … die Rede ist vom Nibelungenlied. Um genau zu sein: es handelt sich um eine von drei Handschriften, die als die ältesten des Epos identifiziert wurden; alle drei stammen aus dem 13. Jahrhundert und wurden im südbayrischen Raum verfaßt - Bodenseegebiet, Salzburger Land und Südtirol -, ein Indiz dafür, daß der immer noch nicht enträtselte Verfasser des Nibelungenliedes wohl aus diesem Sprach- und Kulturraum stammen muß. Daneben gibt es noch rund drei Dutzend weitere Handschriften, die allerdings fragmentarisch und oft nur in wenigen »Schnipseln« erhalten sind. Erst vergangenes Jahr, 2003, machte eine Meldung Furore, im Kloster Zwettl im österreichischen Waldviertel sei eine weitere, noch ältere Handschrift aufgetaucht. Wenige, kaum entzifferbare Pergamentstreifen fand eine Archivarin in einer Schachtel, anfänglich sprach man von einer Sensation, da sie noch älter sein sollten als die bisher bekannten, und vor allem: es handele sich um eine Prosafassung, hieß es, bisher kannte man das Nibelungenlied nur als gereimtes Heldenepos. Doch mittlerweile ist vieles davon wieder in Frage gestellt, das Geheimnis um den Ursprung des Nibelungenliedes bleibt vorerst bestehen.
Landläufig assoziiert man ja mit den Nibelungen eher den Rhein, bei Worms vermuten tatsächlich einige den sagenhaften Schatz des Burgundergeschlechts, das im Fluß versenkte »Rheingold«. Und dennoch spielt die Donau im Epos um Kriemhild und Siegfried eine mindestens genauso wichtige Rolle. Ihrem Lauf folgen die Nibelungen, um zur Entscheidungsschlacht mit den Hunnen zu ziehen, die für jenes »Asia« stehen, von dem Hölderlin noch mit Sehnsucht und Bewunderung sprach und das später zum Hort alles Verderblichen umgedeutet wurde. Die Nibelungen und der Rhein indes wurden zum Symbol … ja, wofür genau, das hat der Triester Literaturwissenschaftler Claudio Magris in seiner fulminaten »Donau«-Biographie aus dem Jahr 1986 so beschrieben:
Seit dem Nibelungenlied stehen Rhein und Donau sich voller Mißtrauen gegenüber. Der Rhein ist Siegfried, germanische Tugend und Reinheit, Nibelungentreue, heldenhaftes Rittertum, unerschrockene Liebe zum Verhängnis, deutsche Seele. Die Donau ist Pannonien, das Reich Attilas, orientalische, asiatische Flut, die am Ende des Nibelungenliedes die germanischen Werte und Tugenden untergehen läßt; indem die Burgunder die Donau überschreiten, um sich an den Hof des treulosen Hunnen zu begeben, ist ihr Schicksal - ein deutsches Schicksal - besiegelt. (...)
(aus "Die Donau:
Literarische Reiseführer" von Bernhard Setzwein)
Die Donau: sie berührt die Ufer von zehn Ländern und steht für die Idee des
multikulturellen Völkermiteinanders.
Germania, den »Schatten der alten Wälder«, mit der »Mutter Asia« zu verbinden,
darin sah bereits Friedrich Hölderlin das Besondere der Donau. Und in der Tat
steht der Fluß, der auf seinem Weg zum Schwarzen Meer die Ufer von zehn Ländern
berührt, für die Idee eines multikulturellen Völkermiteinanders. Das läßt sich
schon an den alten Donaustädten wie Regensburg, Passau, Wien
und Budapest
ablesen, wo sich ein literarisch höchst produktives »deutsch-ungarisch-slawisch-romanisch-jüdisches
Mitteleuropa« herausbildete, wie es Claudio Magris, einer der vielen multilingualen,
enzyklopädisch gebildeten Donau-Autoren, ausdrückt. Bernhard Setzwein, selbst
Romancier mit mitteleuropäischen Ambitionen und Themen, hat die Donau von der
Quelle bis Budapest bereist. Er blättert dabei in den herrlich sprachverspielten
(Donau-)Büchern eines Péter
Esterházy und Heimito von Doderer,
aber auch in Poemen von Georg Britting oder Attila József. Er macht dabei Entdeckungen
wie die, daß Jules Vernes ein Buch mit dem Titel »Die schöne gelbe Donau« schrieb
oder daß man das Nibelungenlied nachgerade als Reiseführer zu Donaustätten lesen
kann. Von den abenteuerlichen Geschichten der Donauschiffahrt wird in Worten
Joseph von Eichendorffs ebenso erzählt wie von
der großartigen Donaulandschaft Wachau,
in der ein hinterhältig- finsteres Volksstück von Ödön von Horváth spielt. Unbekanntes
und Spannendes also auf Schritt und Tritt … oder besser: auf jeder Woge und
Welle. (Klett-Cotta)
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