Die Bounty
Archetyp des
Meuterei-Schiffes
Die Umstände, die zu der berühmtesten Meuterei der
Geschichte führten, sind immer noch nicht vollkommen geklärt und werden es wohl
auch nie sein. Vielleicht ist das der Grund für die seit den Tagen der
Französischen Revolution bis heute gleichgebliebene Faszination des
Bounty-Falls.
Das Vollschiff Bounty war 1784 in Hull als
Handelssegler Bethia vom Stapel gelaufen. 1787 erwarb die britische Admiralität
den knapp 28 Meter langen Dreimaster, benannte ihn in HM Armed Vessel Bounty
(englisch: "Freigebigkeit", auch: "königliche Spende") um und ließ ihn zu einem
bewaffneten Expeditionsschiff ausrüsten. Die Bounty sollte Brotfruchtpflanzen
von Tahiti in die Karibik bringen. Die dortigen Zuckerbarone erhofften sich
durch die Kultivierung des Echten Brotfruchtbaums (Artocarpus altilis) in
Westindien eine billige Nahrungsquelle für ihre afrikanischen Plantagensklaven
zu erschließen. Die Lobbyisten der Kolonisten hatten die Unterstützungszusage
der britischen Regierung bekommen. Als Schiffsführer der kleinen Bounty war
Marineleutnant William Bligh, der unter Captain Cook
Erfahrungen in der Südsee gesammelt hatte, bestimmt worden. Unter der insgesamt
46-köpfigen Besatzung des durch die Einrichtung von
Brotfruchtpflanzen-Lagerräume und den Einbau einer Bewässerungsanlage sehr
beengt gewordenen Schiffes war Bligh der einzige Offizier. Ihm zur Seite standen
lediglich einige meist blutjunge Fähnriche, ein versoffener Schiffsarzt und
einige Decksoffiziere. Sein ausgesprochener Protege war ein junger Fähnrich
namens Fletcher Christian, der die Funktion eines Steuermannsmaaten hatte,
zeitweise aber die Stellung des 1. Offiziers bekleidete.
Die Bounty legte im Dezember 1787 in Portsmouth ab, versuchte vergeblich das
stürmische Kap Hoorn zu umrunden und segelte schließlich den Umweg um das Kap
der Guten Hoffnung nach Tahiti. Die Seeleute genossen nach zehn Monaten auf
See die Freundlichkeit der Tahitianer in vollen Zügen. Bligh blieb fünf Monate
an diesem angenehmen Ort. Vielleicht, um abzuwarten, bis die an Bord genommenen
Brotfruchtbäume in ihren Töpfen und Kisten fest verwurzelt waren, vielleicht
auch, weil Tahiti ein so angenehmer Ort war. Am 6. April 1789 lichtete die Bounty
ihre Anker. 22 Tage später kam es an Bord zu einer unblutigen und erfolgreichen
Meuterei. An der Spitze einer Gruppe von vier ausgesprochenen Schlägertypen
enthob Christian Bligh seines Kommandos. Die Mehrheit der Besatzung verhielt
sich abwartend und rührte keinen Finger für ihren Kapitän. Bligh, der zwar übereinstimmend
als unangenehm pedantisch beschrieben wurde und sich insbesondere gegenüber
seinen Decks- und Unteroffizieren oft jähzornig aufführte, war mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit nicht der brutale Leuteschinder, als der er später
in die Literatur und die Filmwelt einging. Die Verhältnisse an Bord der Bounty
waren nicht gerade paradiesisch, aber im Vergleich zu denen auf
anderen Schiffen Seiner Majestät (siehe Hermione) erträglich. Die Bounty-Forscher
vermuten als möglichen Meuterei-Grund die Unzufriedenheit von Teilen der Besatzung
mit der Schiffsroutine, die doch sehr mit dem Dolce Vita auf Tahiti kontrastierte.
Wahrscheinlich war der eigentliche Auslöser aber in dem von schweren Spannungen
bestimmten persönlichen Verhältnis zwischen Christian und Bligh zu suchen. Warum
sich Bligh mit seinem ehemaligen Liebling verkracht hatte, blieb undeutlich.
Vermutungen, daß eine enttäuschte homoerotische Beziehung oder eine Geisteskrankheit
Christians eine Rolle gespielt haben, sind unbewiesene Spekulationen. Sicher
war es aber kein politischer Konflikt, wie manchmal behauptet, zwischen einem
das Zeitgeist-Banner der revolutionären Aufklärung vor sich her tragenden Gutmenschen
Christian und einem ultrareaktionären Absolutismus-Bösewicht Bligh.
Die Meuterer überließen Bligh die sieben
Meter lange und mit zwei Umlegemasten ausgerüstete Barkasse der Bounty, einen
Sextanten und einige Vorräte. Mit ihm gingen 18 Mann, denen die Meuterei zu
mulmig geworden war, ins Boot. In einer seemännischen Ausnahmeleistung schaffte
Bligh das Unerwartete und navigierte die Barkasse in 43 Tagen 3 600 Seemeilen
durch weitgehend unbekannte Gewässer bis zu einer niederländischen
Handelsniederlassung auf Timor. Die Meuterer waren inzwischen nach Tahiti
umgekehrt, hatten hier für Unruhe und Unordnung gesorgt und sich schließlich
geteilt. Eine Gruppe blieb auf Tahiti. Christian, acht Matrosen, sechs
Polynesier und zwölf Polynesierinnen stachen mit der Bounty in See, um den
Suchkommandos der Royal Navy zu entgehen. Die Bounty erreichte im Januar oder
Februar 1790 die auf den Seekarten ungenau eingezeichnete unbewohnte, knapp fünf
Quadratkilometer große Insel Pitcairn. Aus ungeklärten Gründen verbrannten die
Meuterer die Bounty. In dem kleinen Gemeinwesen, das sie errichteten, brach bald
ein blutiger Mini-Bürgerkrieg aus, dem viele der Bountyisten zum Opfer fielen.
Es ging um Land, Macht und Frauen und vor allem um die Behandlung der Polynesier
durch die Engländer als Menschen zweiter Klasse. Christian wurde wahrscheinlich
1793 getötet. Als 1808 der US-amerikanische Walfänger Topaz
zufällig die Insel anlief, fanden die Amerikaner nur noch einen der
ursprünglichen Ankömmlinge an. Daneben gab es aber eine größere Schar von
Kindern und Jugendlichen, die auf der Insel geboren waren und die als Vorfahren
der heute etwa 50 Pitcairner gelten.
Die Royal Navy spürte die 14 auf
Tahiti zurückgebliebenen Seeleute von der Bounty im Jahr 1791 auf und überführte
sie in Ketten nach England. Vier ertranken während der Überfahrt, und drei
wurden gehängt. Der Rest kam mit Freiheitsstrafen davon, wurde freigesprochen
oder begnadigt. Bligh konnte seine Brotfruchtaktion mit einer anderen Expedition
1792 erfolgreich wiederholen und machte später noch eine ordentliche Karriere in
der Marine, wenngleich ihm der Ruf des Leuteschinders lebenslang anhing und er
noch zwei weitere Meutereien ertragen mußte.
Der Bounty-Stoff ist bisher viermal für einen Kinofilm umgesetzt worden. Dabei
wurde regelmäßig Bligh die Rolle des Bad Guy und Christian die des Good Guy
zugeschrieben. Die erste Film-Adaption wurde quasi in authentischen Gewässern
gedreht. Die ziemlich in Vergessenheit geratene australische Produktion "In
the Wake of The Bounty" (Regie Charles Chauvel, 1933) war auch der erste Spielfilm
von Strahleheld Errol Flynn (siehe Zaca). Ein Mega-Erfolg war die Hollywood-Adaption
von 1935 ("Mutiny on the Bounty", Regie Frank Lloyd) mit Charles Laughton als
Leuteschinder Bligh und Clark Gable als Christian. Bei den Dreharbeiten zum
1962er Remake (Regie Lewis Milestone) fand Christian-Darsteller Marlon Brando
auf Tahiti (vorübergehend) seine große Liebe. Für den Film wurde eine Bounty-Replica
gebaut, die für das 1984er Remake (Regie Bernard Williams) durch eine modernere
Version ersetzt wurde. Die 1979 fertiggestellte Bounty III sieht äußerlich wie
das Original-Schiff aus, ist aber mit einer Rumpflänge von 32 Metern wesentlich
größer, hat einen holzverkleideten Stahlkörper und steckt voller Hightech-Finessen.
Nachdem Mel Gibson (Christian) und der differenziert-böse Captain Bligh (Anthony
Hopkins) abgedreht hatten, begann die seetüchtige, unter britischer Flagge fahrende
Bounty III eine Karriere als Ausflugsschiff und Touristenattraktion.
Auch die Bligh-Barkasse der Bounty wurde nachgebaut.
Der seeverrückte Lübecker Segler Burghard Pieske schipperte mit der Nußschale
1998 allein auf Blighs Spuren von Tonga nach Timor.