1. Der Aorist
In der
Sprachschule lernte ich eine Frau kennen. Eine ganz normale Frau unbestimmbaren
Alters. Das unbestimmbare Alter kann zwar von Vorteil sein, ist es aber in der
Regel nicht. Alle Welt stimmt darin überein, dass man am besten fünfundzwanzig
Jahre alt ist.
Auf der Landstraße von Pylos nach Kalamata lernte ich eine andere Frau kennen.
Sie war Rumänin, und wir unterhielten uns auf englisch. In einem Dorf auf dem
Peloponnes lernte ich eine Frau alexandrinischer Herkunft kennen. Jener Ort
besaß eine venezianische Festung, und die Frau langweilte und grämte sich zwischen
den Olivenbäumen. Wir tranken Ouzo und
Kaffee
und betrachteten die schneebedeckten Gipfel des Taygetos-Gebirges. Beim dritten
Ouzo grämten wir uns nicht mehr und langweilten uns auch kaum noch. Hinter den
Mauern der Festung sang jemand.
In Nauplia lernte ich die Frau eines britischen
Poeta laureatus kennen. Sie schrieb Liebesromane und bat mich, einen davon ins
Spanische zu übersetzen. Mein Englisch ist zwar nicht sonderlich gut, aber ihr
Roman war es auch nicht, und ich willigte ein. Ich lernte eine griechische
Hündin namens Aida kennen. Ihr Bruder hatte mal einen Esel gerissen und war
deshalb im Zwinger eingesperrt. Aida vermisste ihn und ich auch. Ich hätte es
gerne gehabt, wenn er mich auf meinen Spaziergängen begleitet hätte, aber der
Geruch von Tieren erregte ihn, und er stellte eine Gefahr für die Schafe dar.
Auf der Straße nach Agnadi lernte ich eine alte Schäferin kennen. Agnadi
bedeutet "Schöne Aussicht", und die Schäferin war schwarz gekleidet und lebte
allein. Wenn ich im Dunkeln nach Hause zurückkehrte, klingelten die Glöckchen
ihrer Schafe. Aufgrund des Windes waren die Nächte des Peloponnes eisig. Nur
selten fuhr ein Wagen vorbei.
Die Frau aus der Sprachschule hieß Aurea und
war die Freundin eines Handelsmatrosen namens Tassos. Ich habe sie nie danach
gefragt, aber sie hat ihn sicher Tassuli genannt. Griechische Männer heißen
Tassos, Dimitris oder Panayotis oder auch Spiros, Kostas, Yorgas und sogar
Apostolos. Aber jetzt spreche ich von Frauen. Ich weiß nicht, warum Geschichten,
in denen keine Frauen vorkommen, langweiliger sind als solche ohne Männer. Der
beste Beweis dafür sind diese Comics von Kriegen und Kriegsfilme. Sie sind noch
schlimmer als die Filme über Mädcheninternate oder Frauengefängnisse, obwohl es
nichts Schlimmeres gibt als ein Internat oder ein
Frauengefängnis.
Ich spreche da aus Erfahrung.
Aurea arbeitete bei einer
Versicherungsgesellschaft und hatte dort geregelte Arbeitszeiten. Sie war so
stolz auf ihre Arbeitszeiten, dass ich sie manchmal darum beneidete. Sie war
jedoch nicht sprachbegabt, und der Lehrer rief sie nie auf. Er rief immer Susana
auf, die klein und hübsch und genau zweiundzwanzig bestimmbare Jahre alt war.
Jeden Tag rief er sie an die Tafel. Ich beneidete Susana nicht, denn sie war
meine Freundin; aber auch ich ging gerne an die Tafel. Tafeln sind wie
Zeittunnel oder fliegende Teppiche. Wenn ich eines Tages einen Film drehe,
möchte ich eine Tafel und meine Freundin Susana mit ihrer schmalen Taille und
ihrem langen Haar mit einbeziehen. Aber ich glaube nicht, dass ich meinen Lehrer
darin auftreten lassen würde. Er war ein guter Lehrer, aber man hat mir einige
seltsame Dinge über ihn erzählt. Vermutlich war das seiner byzantinischen Seite
zuzuschreiben. Die byzantinische Seite ist immer seltsam.
In Agnadi hatte ich
auch einen Lehrer, den ich aber nie wirklich durchschaut habe. Er brachte mir
bei, griechischen Kaffee zu kochen, und schenkte mir eine Kassette von Sonic
Youth. Dann nahm er sie mir wieder weg. Eines Morgens suchte ich sie vergeblich.
Niemand außer Alkis betrat mein Haus. Es verblüffte mich sehr, dass er mir die
geschenkte Kassette wieder wegnahm, während ich griechischen Kaffee oder Gott
weiß was machte.
"Weißt du noch, wo ich deine Kassette hingelegt habe,
Alkis?" fragte ich ihn, um seine Reaktion zu testen. "Ich habe sie überall wie
verrückt gesucht."
"Keine Ahnung", antwortete er, ohne rot zu werden.
"Vielleicht habe ich sie genommen."
Lange Zeit habe ich darüber nachgedacht,
während ich das im Kamin glühende Brennholz betrachtete. Es waren die
Holzscheite, die Hassan gehackt hatte. Sie rochen nicht wirklich nach Holz, egal
wie viele Orangenschalen er darauf warf. Hassan war Iraker und diplomierter
Landwirt, genau wie mein Vater. Ich weiß es, weil er mir seinen Pass gezeigt
hatte. Außerdem hatte er mir ein Foto von seiner Frau und seinen Kindern
gezeigt, die in Bagdad lebten. Es wäre schön gewesen, wenn Hassan mir gefallen
hätte. Es wäre einfach praktisch gewesen. Ich schenkte ihm Quittenkompott, und
er schenkte mir Sesamkekse und Marlboros. Ich rauchte sehr gerne Marlboros wegen
ihres hohen Nikotin- und Teergehalts. Die Quitten stammten vom Hof, die
Zitronen
ebenfalls. Zimt und Zucker waren aus dem Minimarkt im Dorf.
Die rumänische
Frau hieß Olimpia, und ich denke immer an sie als Olimpia aus Rumänien. Es ist
ein Königinnenname, glaube ich. Olimpia roch nach Armut, obwohl sie im Haus
eines Deutschen übernachtet hatte, in dem es sicherlich ein Badezimmer gab. Sie
erzählte mir, dass der Deutsche ein netter Kerl sei, aber dass sie nicht mit ihm
geschlafen habe, weil sie müde war und keine Lust hatte. Statt dessen hatte sie
sich "Der Graf von Monte Christo" im Fernsehen angesehen.
"Life is beautiful
. . . and hard", schloss sie und schwieg danach eine ganze Weile, während
sie die Orangenbäume am Straßenrand betrachtete. Die Orangen leuchteten wie die
Kugeln an Weihnachtsbäumen, und ich dachte, dass ich gerne mit Stelios nach
Paros fahren würde, um zehn Tonnen Orangen zu laden, obwohl ich nicht wirklich
verstand, warum er zum Teufel so weit weg fahren musste, um die verdammten
Orangen zu kaufen. Ich erinnerte mich an ein Lied, das wir als Kinder in der
Pause sangen und das ungefähr so ging: " Zum Orangenholen fuhr ich ans Meer . .
. " Keine Ahnung, vielleicht sind sie ja in Paros billiger.
Jedenfalls wäre
es das Beste gewesen, wenn Hassan mir gefallen hätte. Aus praktischen Gründen
und weil er Diplomingenieur war, auch wenn er sich illegal im Land aufhielt. An
Ingenieuren habe ich noch nie Gefallen gefunden. Einmal bin ich mit einem
Landwirtschaftsstudenten ausgegangen, einem Schüler meines Vaters. Wir gingen in
einen Horrorstreifen, und man ließ mich hinein, obwohl der Film erst ab achtzehn
war. Der Student griff nach meiner Hand, wenn ich mich erschreckte, aber er
nannte meinen Vater Cepeda und war ziemlich dämlich. Danach ging ich nie wieder
mit ihm aus und wünschte mir, dass mein Vater ihn in Physik durchfallen
ließe.
Damals dachte ich, dass die schlimmste aller Taten meines Vaters
diejenige gewesen war, mich Teresa zu nennen.
"Das kann doch nicht wahr sein. Du, die du deinem Namen alle Ehre machen solltest
. . . ", sagte Madame la Superieure, wenn sie mich im Flur mit tintenverschmierten
Händen ertappte. Als ich zehn Jahre alt war, warf sie mich aus der Schule. Sie
ist schuld, dass ich aufs Internat geschickt wurde und mein Französisch schlechter
ist als das von Stelios, und das will etwas heißen. Stelios' Französisch hätte
Chateaubriand ohnmächtig werden lassen, und er kannte selbst solch nützliche
Worte wie chasseur nicht. Ich konnte ihm nie erzählen, dass die Jäger, die morgens
das Schiff nahmen, um zur Insel
zu fahren, eines Tages mit einer Gämse zurückkehrten. Ich weiß weder, wie Gämse
auf französisch noch auf englisch heißt und erst recht nicht auf griechisch.
Ich begreife nicht einmal, wie es auf jener Insel Gämsen geben konnte. Außerdem
konnte ich ihn nie Teli nennen, so wie seine Urgroßmutter ihn nannte. Seine
Urgroßmutter war jene Schäferin von der Straße nach Agnadi.
"Sind Sie eine Heilige?" fragte mich die englische
Schriftstellerin im Cafe von Nauplia, wo wir uns kennen lernten.
Es stellte
sich heraus, dass der Poeta laureatus Hispanist gewesen war. Aus diesem Grunde
sollte ich ihren Liebesroman ins Spanische übersetzen. Deswegen und weil der
Held ein argentinischer Diplomat namens Alejandro Moncayo war. Die Heldin
schickte ihn zu einem bestimmten Zeitpunkt zum Teufel, aber weil sie eine
wohlerzogene Frau war, verwünschte sie ihn nur, sagte es ihm aber auf spanisch,
damit er es richtig verstünde. Bei einer Tasse Cappuccino diskutierten wir
darüber, ob sie ihn nur verwünschen oder zum Teufel schicken sollte. Er hätte
sie natürlich zum Teufel geschickt, aber das war nicht ihre Art. Der Roman war
absolut unbedeutend, aber Alejandro Moncayo besaß für mich einen gewissen Reiz.
Am Eingang der Bucht von Nauplia zog ein Sturm auf, und die Insel Burzi glänzte
unter einem Regenbogen.
(Im Gefängnis war ich eine Heilige. In der Einsamkeit
der Nächte von Agnadi war ich eine Heilige. Wenn ich den Blicken der Männer auf
der Hauptstraße meines Dorfes in Messenien standhielt, war ich eine Heilige. Sie
sahen mich an, aber ich, Teresa Cepeda, spiegelte mich nicht in ihren Blicken.
Und wenn es keine Spiegel gibt, bleibt dir nichts anderes übrig, als eine
Heilige zu sein.)
Das Pseudonym der englischen Schriftstellerin lautete
Elisabeth Hills, und ihre Heldin hieß Sylvia Beach.
"Es ist ein kleiner
Scherz", sagte sie. "Die Kritiker würdigen solche Dinge."
Naja, sie hatte
ungefähr zehn Millionen Exemplare verkauft und wusste wahrscheinlich, wovon sie
redete. Jedenfalls schien mir Beach ein guter Nachname, um ihn mit Moncayo zu
kombinieren, auch wenn Moncayo auf englisch anders klingt. Aber ich war nur die
Übersetzerin ins Spanische, und die erste Sylvia Beach meines Lebens war die aus
"Höllische Leidenschaft". Glücklicherweise gab es keine Schwierigkeiten bei der
Übersetzung des Titels.
Ich meine mich zu erinnern, dass der Poeta laureatus
im Laufe seines Lebens nicht über hunderttausend verkaufte Exemplare seines
Gesamtwerks hinausgekommen war, obwohl er seit kurzem zur Pflichtlektüre in
Contemporary English Poetry gehört. Er kehrte auch nie wieder nach Spanien
zurück, nachdem er die Internationalen Brigaden verlassen hatte. Er schwor, den
geistigen Heimatboden nicht mehr zu betreten, bis der Tyrann besiegt sein würde.
Der Dichter jedoch, nicht der Tyrann, starb am 18. November 1975 an einer
Leberzirrhose.
"Und ich habe nie viel Glück bei Männern gehabt", vernahm ich
aus Elizabeth Hills' Mund, aber da sie es auf englisch sagte, kann man nicht
genau wissen, was sie wirklich sagte. Auf jeden Fall sah sie traurig aus, mit
ihren glanzlosen und kurzsichtigen Augen, deren Blicke sich im Argolischen Golf
verloren. Sie riss sich zusammen und fügte hinzu: "Life is ironic, isn't
it?"
Einen Augenblick lang dachte ich, dass sie ". . . and beautiful"
hinzufügen würde, aber sie sagte: "Zweitausendfünfhundert Drachmen die
Seite."
Und weil sie mich an Olimpia erinnert hatte, rechnete ich sofort aus,
dass ich für die Übersetzung zweier Seiten von "Höllische Leidenschaft" genauso
viel verdienen würde wie sie für einen Fick, und ich wusste nicht, welche von
beiden das schlechtere Geschäft machte. Tatsache ist, dass wir beide zu wenig
verlangten, vielleicht sogar aus demselben Grund. Weder sie noch ich waren
Professionelle. Olimpia hatte jedoch den Vorteil, dass sie aus Neugierde mit
jemandem ins Bett ging, während ich nicht die leiseste Ahnung von meinen Gründen
für die Übersetzung eines beschissenen oder, wie Sylvia Beach sagen würde,
verwerflichen Liebesromans hatte, auch wenn er eine Million mal verkauft
würde.
Die Frau alexandrinischer Herkunft war blond und sanftmütig und hieß
Roxani. Sie brachte mir einen Brief von Susana und rauchte noch eine Zigarette
auf der Veranda. Sie rauchte Marlboro Lights, die etwas besser schmeckten als
meine R1. Wenn wir uns wirklich Sorgen machten, rauchten wir Camel. Ich hätte
mir nie träumen lassen, dass ich ihre Camel, ihren Ouzo und ihre Sorgen so
vermissen würde. Ihr Mann nannte mich Cepeda, genauso wie der
Landwirtschaftsstudent meinen Vater genannt hatte.
"Cepeda, telephone!" rief
er durch das Fenster. Das spanische ce sprach er perfekt aus.
Wenn ich aus
Spanien angerufen wurde, rief er mich in freundlichem Tonfall. Wenn Stelios
hingegen anrief, jagte seine Stimme Angst ein. Ich wurde jedoch selten
angerufen, weil fast niemand die Nummer von Roxani hatte. Das war einer der
wenigen einleuchtenden Gründe, die ich fand, um meinen dortigen Aufenthalt zu
rechtfertigen: Ich wollte nie wieder telefonieren. Trotzdem begann mein Puls zu
rasen, wenn Kostas rief: "Cepeda, telephone!"
Eines Nachts rief meine Mutter
an, um mir zu sagen, dass Javi bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen war.
Sie erzählte mir, dass sie ihn auf Bewährung aus der Haft entlassen hätten und
dass es das Beste wäre, wenn ich es von ihr erführe. Aber ich hörte schon nicht
mehr zu. Während ich mich an den Telefonhörer der Vasilopoulos' klammerte,
flossen meine Tränen in Strömen, und ich weinte zu Hause noch lange Zeit weiter.
Nach einer Weile klopfte Kostas an die Tür, aber ich machte ihm nicht
auf.
"Cepeda, are you aIl right?" rief er. Ich antwortete ihm nicht.
Als
ich hinaustrat, kamen Aida und Aris herbei und leckten mir die Hände. Auf dem
Fensterbrett glänzten zwei Granatäpfel im Mondlicht. Tage später bedankte ich
mich bei Kostas dafür.
"It's my beauty", meinte er stolz.
Susana erzählte
mir in ihrem Brief, dass sie im Duty-free-Shop des Madrider Flughafens Barajas
einen Job gefunden hätte. Sie saß an der Kasse und trug eine weiße Bluse und
einen blauen Rock, die Farben der griechischen Flagge. Miniröcke waren verboten,
bauchfreie Oberteile ebenfalls. Meiner Ansicht nach war das Verschwendung, denn
sie besaß einen perfekten Bauchnabel. Sie hatte den Job über Beziehungen von
Áurea bekommen, und man hatte ihr einen Zeitvertrag gegeben.
Nachdem die
Fahrschule geschlossen worden war, hatte Susana Schwierigkeiten gehabt, eine
Arbeit zu finden, weil sie unfähig war, Englisch zu lernen, und alle
Telefonistinnen Englisch können müssen. Sie versuchte es an der Sprachschule,
aber es war sinnlos. Danach versuchte sie es mit einem Deutschkurs, sie kam
jedoch mit der Lehrerin nicht aus. In Griechisch war sie außerordentlich gut,
obwohl sie nie dafür lernte. Ich glaube, dass sie nur einmal die Hausaufgaben
machte, als sie mir an einem Abend dabei half. Wir alle - der Lehrer
eingeschlossen - waren der Meinung, sie besäße eine natürliche Begabung.
"Es
ist das Leichteste auf der Welt", tröstete mich Susana. "Es wird doch alles so
ausgesprochen, wie es geschrieben wird." Eine Aussage, die etwas heißen wollte
angesichts des griechischen Alphabets, des winzigen Unterschieds zwischen dem ß
und dem p und angesichts der Tatsache, dass der I-Laut auf fünf verschiedene
Weisen geschrieben werden kann, und vor allem, wenn man bedachte, dass Susana
kein Abitur hatte.
"Was meint man eigentlich genau mit 'griechisch'? fragte
sie mich eines Tages, als sie auf ihren Bruder wartete, um in den Schrebergarten
ihrer Familie zu fahren.
"Áureas Freund spricht Griechisch", antwortete
ich.
"Du bist ja doof. Ich meine den Begriff, der immer in diesen
Zeitungsanzeigen benutzt wird."
Susana fuhr fast jedes Wochenende in den
Garten. Es machte mir Spaß, ihn mir wie ein umzäuntes Feld vorzustellen, auf dem
ihre Familie wie in den Stummfilmen hin und her hüpfte. Tatsache ist, dass sie
mit ihren zweiundzwanzig Jahren noch nicht wusste, was "griechisch" bedeutet,
was einen Eindruck davon gibt, wie bezaubernd Susana war mit ihrem sichtbaren
Bauchnabel und ihrem kleinen Garten. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob ich
es vor acht Jahren wusste, aber ich glaube schon. Ich habe immer gerne
nachgefragt. Nachdem ich es Susana erklärt hatte, meinte sie nur: "Na, so
was."
Sie hatte eine schöne Schrift, sowohl im Griechischen als auch im
Spanischen, und ihr erster Brief klang sehr fröhlich. Sie erzählte mir, dass die
Angestellten nicht im Duty free-Shop einkaufen durften, sie die fehlerhafte Ware
aber behalten konnten. Einmal sei eine Kiste mit Toblerone beschädigt gewesen,
und sie hätten Toblerone bis zum Umfallen gegessen. Sie war sehr froh, weil sie
zwanzig Minuten Pause hatte und die Chefin sie ihre belegten Brote zusammen mit
einer sehr netten Kolumbianerin essen ließ, mit der sie sich gut verstand.
Susana schickte die Amerikaner an die Kasse der Kolumbianerin, und diese
schickte ihr die Griechen. Sie schrieb, dass jene sich irrsinnig freuten, wenn
sie sie in ihrer Muttersprache anredete, und dass sie, wenn sie ihre freien Tage
aufsparte, eine Woche Urlaub in La Manga machen könne. Und sie schrieb auch,
dass sie an mich dachte.
Ich freute mich darüber, dass sie nun am Flughafen arbeitete, so hatte ich das
Gefühl, sie wäre mir näher. Es wäre schön gewesen, wenn sie schon dort gearbeitet
hätte, als ich
nach Griechenland flog. Sie hätte mich in diesem Niemandsland
verabschieden können, das hinter der Passkontrolle beginnt. Von der anderen
Seite der Absperrung aus sahen meine Eltern mir so ernst nach, als schickten
sie mich in den sicheren Tod nach Lepanto. Aber sie halfen mir sehr mit den
Kameras und den achtzig Kilo Übergepäck. Elizabeth Hills erzählte mir später,
dass Lord Byron mit seinem Gepäck
einst dieselben Probleme gehabt hätte und dass seine Koffer voller geschichtsträchtiger
Uniformen gewesen wären. Aber Byron war so vernünftig gewesen, in Griechenland
zu sterben, und ich befürchtete, dass ich früher oder später mit meinen hundert
Kilo Gepäck und mit den Kameras zurückkehren müsste, auch wenn ich damals weder
daran noch an irgend etwas Anderes denken mochte. Um gar nicht erst damit anzufangen,
kaufte ich mir im Duty free-Shop eine Biografie, setzte mich, klemmte die Kameratasche
zwischen die Beine und starrte auf den Bildschirm, der die Flüge ankündigte.
Halb hypnotisiert durch die Bewegungen der roten Ziffern, die Ankunfts- und
Abflugszeiten, Flugzeuge und ferne Städte anzeigten, wartete ich angstvoll darauf,
dass bei irgendeiner Bewegung Athen OA 786 auf dem Bildschirm erschien. Ich
hatte ein Olympic-Airways-Ticket mit offenem Rückflugdatum gekauft. Sobald ich
das Flugzeug betreten hätte, wäre ich vor den Spiegeln in Sicherheit, auf griechischem
Boden. Vermutlich wollte ich im Grunde wirklich eine Heilige sein.
(Aus "Teresa und die griechische
Grammatik" von Montserrat Fernández Montes.
Übersetzt von Catalina Rojas
Hauser.)
Schuld ist eigentlich ihr Ex-Freund
Javi. Von heute auf morgen packt die 30jährige arbeitslose Fotografin Teresa
ihre Sachen und macht sich nach Griechenland auf. Ganz schnell vergessen will
sie ihn, den charmanten Schwerenöter, der sie jahrelang getäuscht hat. Ablenkung
gibt es im Land der Götter genug, dafür sorgen schon die neuen Freunde. Da sind
zum Beispiel die englische Schriftstellerin Elisabeth, für die Teresa den
Liebesroman "Höllische Leidenschaft" ins
Spanische übersetzen soll, die
rumänische Emigrantin Olimpia, die Teresa beim Autostop kennen lernt, ihre
rätselhafte Nachbarin Roxani ... und vor allem der Lkw-Fahrer Stélios, der -
wenn er nicht gerade
Melonen
durch ganz Griechenland karrt - keine Gelegenheit auslässt, ihr Komplimente zu
machen.
Die griechische Sprache will die junge Spanierin ebenfalls möglichst
schnell lernen, obwohl Alkis, ihr Lehrer, Teresa eigentlich lieber Altgriechisch
beibringen möchte. Der Plural, männlich, sowie die einfachen und
zusammengesetzten Zeiten der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bleiben dabei
nicht nur graue Theorie. In ihrem
turbulenten Leben auf dem Peloponnes kann sie
die griechische Grammatik praxisnah anwenden ... (dtv)
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