Winter in Kumberg
von Klaus Krottmayer
Seit ein paar Tagen ist das Land weiß. Die Luft ist spürbar kälter geworden. Der Boden hat sich mit dem Schnee noch nicht verbunden. Grasbüschel stören die Idylle der geschlossenen Schneedecke. Stehen keck hervor. Der Nebel der letzten Tage hat sich aufgelöst. Die Sicht ist klar. Vom Gipfelplateau des Schöckels kann ich das Licht der Bergstation erkennen. Aus dem Rauchfang der alten Mühle Rauch. In einer grauweiß Schattierung. Rauch eines Holzfeuers. Das erkenne ich nicht an der Färbung, ich weiß es. Der Tischler verheizt sein Abfallholz. Vom verfallenen Haus unten beim Bach höre ich Hundegekläff. Seit vorigen Sommer ist dieses Gemäuer wieder bewohnt. Rundherum sind Schilder angebracht, die vor den bissigen Hunden warnen. Sie strahlen Feindseligkeit aus. Machen Abgrenzung überdeutlich sichtbar. Die Menschen, die dort wohnen nehme ich kaum wahr. Einmal beim Laufen ist mir eine Frau, die ich diesem Bau zuordne begegnet. Wir grüßten uns. Wie man es am Land eben tut.
Jakob und ich lassen uns mit dem Bob bis zum Bach hinuntertreiben. Der Sturm vom Sonntag hat neben dem Nebel auch die letzten Blätter zu Fall gebracht. Über das Weiß verteilt. Sie liegen ausgestreut über dem Schnee. Jakob will unbedingt wissen, ob der Bach schon zugefroren ist. Die Kälte der Nächte hat nur die Ränder vereist. Wir steigen die Böschung hinunter. Jakob probiert sofort aus, wie gut das Eis trägt. Meine Besorgnis, er könnte einbrechen, sich völlig naß machen und seine Lust, es immer weiter hinauszuwagen, paaren sich. Seine Lust siegt. Übers Wasser zu gehen ist Faszination genug. Wenigstens über gefrorenes Wasser. Jakob bricht Eisplatten heraus, gibt mir immer wieder Stücke zum Halten, zum Mitnehmen. Er robbt hin und her. Kratzt, schabt, klopft, prüft. Legt sein Ohr ans Eis. Horcht. Ich beginne auf der Stelle zu treten. Als reiner Zuschauer wird es mir langsam kalt. Ohne Handschuhe spüre ich das zerinnende Eis an den Fingern. Sie beginnen zu schmerzen. Ein Stück weiter oben zur Brücke hin war voriges Jahr das tote Reh gelegen. Verendet. Erfroren. Mit entsetzten Augen starrte es uns an. Als wir ein paar Tage später wiederkamen war es verschwunden gewesen. Von der Gemeindestraße höre ich hin und wieder ein Auto. Der Ort liegt glücklicherweise abgeschieden. Die Salweiden haben schon Knospen angesetzt. Warten aufs Frühjahr.
In drei Wochen ist Weihnachten schon wieder vorüber. Seit über sechs Jahren wohnen wir jetzt in diesem Ort. Jahre von zuviel Nähe und Abgrenzung. Distanzübungen. Balanceakte. Unsere Häuser wirken vom Bach aus wie drolliges Adventgebastel. Wie wohlüberlegtes, aus gutem Material hergestelltes Spielzeug. In den Fenstern sind bereits Lichter zu sehen. Für Jakob ist das alles hier, die Felder, der Fischteich, der Kaufmann, das Schuhgeschäft, die Kirche und das Feuerwehrhaus Heimat. Seine Heimat. Um meine Heimat muß ich ringen. Er ist verwurzelt mit diesem Land wie der junge Nußbaum vor unserem Haus. Der gelbe Ginster, die Pfaffenhütchen, die wilde Kirsche, die Ebereschen, Sträucher und Bäume, die ich gesetzt habe und die jetzt kahl in die Luft spießen, angeschneit in sich wartend bis zum Frühjahr, sind mir am ehesten Heimat. Am Abend aus der Stadt kommen und die kalte klare Luft spüren, ist Heimat.
Heute hat die Friedhofsverwaltung vom St.Peter Stadtfriedhof geschrieben, daß wir für das Grab von Tobias die nächste Zehnjahresrate zahlen müssen. Bis 15.Dezember 2008. Auf der Rechnung der Vermerk: Kindergrab! Ob es das Feld angrenzend an unsere Siedlung im Jahr 2008 noch geben wird? Über 180 neue Häuser sind gebaut worden seit wir hier wohnen. Wenn ein zweiter Kanalring errichtet würde, wäre eine Bebauung nicht aufzuhalten. Ich stapfe - im Nebel meiner Gedanken - zurück. Ich benütze meine eigenen Spuren. Eben nur rückwärts herum. Jakob löst sich vom Wasser. Er ist jetzt wirklich groß geworden. Kein Einsinken in den Bach. Kein drohender Erfrierungstod. Kein Hungerschock. Wir trotten den Hang hinauf. Im Bob dreieinhalb Kilo Eisschollen. Wenn es in den nächsten Tagen zuerst taut und dann friert und dann wieder draufschneit ergäbe es beste Bobbedingungen. So knapp vor Weihnachten wird man sich ja etwas wünschen können. Ich fasse unsere Schneeschaufel auf, sonst finde ich sie erst wieder im Frühjahr. Aus der Sandkiste ragen ein Rechen und ein zerbrochener Kübel. Die Obstbäume werde ich im neuen Jahr beschneiden. Die Wassertriebe, die dem Baum Energie entziehen, die den Äpfeln fehlt. Ein Apfelbaum muß eine lichte Krone haben. Ich bemühe mich die Baumschere zu führen, wie einer von hier. Wie einer vom Land. Es gelingt nicht.
Das Holz vom alten Hasenstall kann auch bis zum Frühjahr warten. Unter der Schneedecke liegt unser Gartenschlauch, zusammengerollt wie eine Schlange im Winterschlaf. Hoffentlich ist er frostbeständig. Es dämmert bereits. Die Nacht wird kalt werden. Weit unter Null Grad Celsius. Jakob gibt mir seine Handschuhhand auf den letzten Metern zum Haus. Wir reden nichts. Es ist nicht nötig.
Seit ein paar Tagen ist das Land weiß. Die Luft ist spürbar kälter geworden. Der Boden hat sich mit dem Schnee noch nicht verbunden, Grasbüschel stören die Idylle der geschlossenen Schneedecke. Der Nebel der letzten Tage ist heute verschwunden. Die Sicht ist klar. Vom Gipfelplateau des Schöckels kann ich das Licht der Bergstation erkennen. Aus dem Rauchfang der alten Mühle Rauch. In einer grauweiß Schattierung. Rauch eines Holzfeuers. Das erkenne ich nicht an der Färbung, ich weiß es. Der Tischler verheizt sein Abfallholz. Vom verfallenen Haus unten beim Bach höre ich Hundegekläff. Seit vorigen Sommer ist dieses Gemäuer wieder bewohnt. Rundherum sind Schilder angebracht, die vor den bissigen Hunden warnen. Sie strahlen Feindseligkeit aus. Machen Abgrenzung überdeutlich sichtbar. Die Menschen, die dort wohnen nehme ich kaum wahr. Einmal beim Laufen ist mir eine Frau, die ich diesem Bau zuordne begegnet. Wir grüßten uns. Wie man es am Land eben tut.
Jakob und ich lassen uns mit dem Bob bis zum Bach hinuntertreiben. Der Sturm vom Sonntag hat neben dem Nebel auch die letzten Blätter zu Fall gebracht. Sie liegen ausgestreut über dem Schnee. Jakob will unbedingt wissen, ob der Bach schon zugefroren ist. Die Kälte der Nächte hat nur die Ränder geschafft. Wir steigen die Böschung hinunter. Jakob probiert sofort aus, wie gut das Eis trägt. Meine Besorgnis, er könnte einbrechen und seine Lust, es immer weiter hinauszuwagen, paaren sich. Seine Lust siegt. Übers Wasser zu gehen ist Faszination genug. Wenigstens über gefrorenes Wasser. Jakob bricht Eisplatten heraus, gibt mir immer wieder Stücke zum Halten, zum Mitnehmen. Als reiner Zuschauer wird es mir langsam kalt. Ohne Handschuhe spüre ich das zerinnende Eis an den Fingern. Es beginnt zu schmerzen. Ein Stück weiter oben war voriges Jahr das tote Reh gelegen. Verendet. Erfroren. Mit entsetzten Augen starrte es uns an. Als wir ein paar Tage später wiederkamen war es verschwunden gewesen. Von der Gemeindestraße höre ich hin und wieder ein Auto. Der Ort liegt glücklicherweise abgeschieden. Die Salweiden haben schon Knospen angesetzt.
In drei Wochen ist Weihnachten schon wieder vorüber. Seit über sechs Jahren wohnen wir jetzt in diesem Ort. Jahre der Nähe und Abgrenzung. Unsere Häuser wirken vom Bach herunten wie Adventgebastel. In den Häusern sind bereits Lichter. Heute hat die Friedhofsverwaltung geschrieben, daß wir für das Grab von Tobias die nächste Zehnjahresrate zahlen müssen. Bis 15.Dezember 2008. Ob es das Feld im Anschluß an unsere Siedlung so noch geben wird? Über 180 neue Häuser sind gebaut worden seit wir hier wohnen. Ich stapfe - im Nebel meiner Gedanken - zurück. Ich benütze meine Spuren. Eben nur rückwärts herum. Jakob löst sich vom Wasser. Er ist jetzt wirklich groß geworden. Kein Einsinken in den Bach. Kein drohender Erfrieungstod. Kein Hungerschock. Wir trotten den Hang hinauf. Im Bob dreieinhalb Kilo Eisschollen. Wenn es in den nächsten tagen zuerst taut und dann friert und dann wieder draufschneit ergäbe es beste Bobbedingungen. So knapp vor Weihnachten wird man sich ja etwas wünschen können. Ich fasse die Schneeschaufel auf, sonst finde ich sie erst wieder im Frühjahr. Aus der Sandkiste ragt ein Rechen und ein zerbrochener Kübel. Die Obstbäume werde ich im neuen Jahr schneiden. Jakob gibt mir seine Handschuhhand auf den letzten Metern zum Haus. Wir reden nichts. Es ist auch nicht nötig.