Iam satis est
(Sollte man meinen ...)
Kindersegen, politisch missbraucht oder auch verunglimpft
Angesichts der in den letzten Tagen durch die
Medien geisternden Aussagen einiger gewählter Volksvertreter kommt man ins
Grübeln, zum Beispiel darüber, wie ein Gemeinwohl aussehen mag, das die
Entscheidungsfreiheit jedes einzelnen Staatsbürgers in der von manchen
Regierungsmitgliedern geforderten Form einzuengen geeignet ist? Und ob man in
einem solchen Sozialgefüge leben möchte?
In einem Staat, wo Fortpflanzungsverweigerer
hinkünftig aus demokratischen Entscheidungsprozessen womöglich ausgeblendet werden
könnten?
Bestandteil des Sozialstaates ist ein Netz, das den Einzelnen im Bedarfsfall auffängt,
und kein parteipolitisches Zaumzeug, das grundsätzlich jeden von uns zwischen Wiege
und Bahre bis zur Bewegungsunfähigkeit einspinnt.
Die Regierung, sollte man meinen, habe mit der
Schaffung zeitgemäßer Rahmenbedingungen für eine menschenwürdige Existenz
der Bürger alle Hände, Köpfe und Münder voll zu tun - und dennoch
erhitz(t)en die Sommerlochsager einiger Regierungsmitglieder die ohnedies
bereits durch die klimatischen Verhältnisse erhitzten Gemüter.
Nur heiße Luft an heißen Tagen? Mitnichten, die Richtungsdränger machen Druck
der widerlichsten Sorte indem versucht wird, überkommen geglaubten Klischees
neuen Atem einzuhauchen. Eigenartigerweise ist kein Einziger der Vorschläger
selbst jung oder sonstwie in seiner persönlichen Lebensführung von den - nun,
sagen wir - "Anregungen" betroffen.
Für Nachwuchs sollen die Jungen sorgen, das brächte "Wählerstimmen" (der Wirtschaftsminister am 22. August 2003 zum "Standard") und Sicherheit. Weshalb denn? Damit auch kommende Generationen in Hamsterlaufräder eingesperrt werden können? Das ewige Wachstum zum stetig mitwachsenden Wohl der Gemeinschaft als Ausgangsposition wurde immer noch nicht als verhängnisvolle Lüge entlarvt? Schier unfassbar.
Ad "Familienwahlrecht" (Eltern könnte
eine zusätzliche Stimme pro Kind gewährt werden): "Ich halte das für
eine spannende und wichtige Diskussion", sagte Wirtschaftsminister
Bartenstein (geboren am 3. Juni 1953, Vater von 5 Kindern) zum
"Standard". Mag sein, doch inwieweit fällt diese in sein Ressort?
Geschichtskundige mögen eine derart gelagerte Diskussion für entbehrlich halten, doch
besonnene Menschen
entfachen bekanntlich nur in Ausnahmefällen brandheiße Pressemeldungen ...
Die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft
und Kultur im Kabinett Schüssel II, Elisabeth Gehrer (geboren am 11. Mai 1942
in Wien, Mutter dreier Söhne), meinte im Interview der "Presse" am
23. August 2003: "Kinder sind die beste Zukunftssicherung, darüber muss
man reden." Aha, man muss also. Es soll eine "Wertediskussion"
geführt werden (fragt sich nur, mit wem). "Was macht das Leben lebenswert?
Etwa wenn man von Party zu Party rauscht, ist es das Single-Leben?"
Das rührt an den Grundfesten der Selbstdefiniton jedes Einzelnen! "Was
macht das Leben lebenswert? Etwa wenn man von Party zu Party rauscht, ist es das
Single-Leben?", fragte die Ministerin. (Sie hätte es nicht als Frage
formulieren müssen, es ist ohnedies unverkennbar ihre Meinung, die sie hier
kommunikationstechnisch geschönt in Umlauf bringt. Und ihre eigene Zukunft ist
finanziell bestimmt in mehrfacher Hinsicht abgesichert.)
Aber sicher! Wenn da vom "rauschenden Single-Leben" die Rede ist,
sieht man sie richtig vor sich, die Mehrzahl der Großverdiener um die Dreißig,
die allesamt ihre satten Gehälter ja glücklicherweise aufgrund der aktiven
Wohnungsmarktpolitik der Regierung keineswegs zu großen Teilen für
Unterkunftskosten aufwenden und überhaupt infolge der vorbildlich
funktionierenden Liberalisierung des Arbeitsmarkts keinen fremdbestimmten
Tagesablauf durchleben müssen, und daher lässig allnächtlich von Party zu
Party rauschen, anstatt sich den staatspolitisch geforderten Freuden der
Fortpflanzung hinzugeben. Ist es nicht so?
"Nach meinem Verständnis hat die ältere
Generation den Generationenvertrag erfüllt, sie hat für ihre Eltern gesorgt,
und sie hat Kinder bekommen", erklärte die resolute Bildungsministerin
kürzlich in
der "Presse". Sie frage sich, wo die Kinder der jüngeren
Generation bleiben.
Tja, wo bleiben sie denn? Hoffentlich dort, wo alle höchstpersönlichen
Angelegenheiten am besten aufgehoben sind: Im Entscheidungsfreiraum des
Individuums, des mündigen Bürgers. (Gegenfrage: Wo bleibt die diesbezügliche
Bildung der Bildungsministerin?)
Man will nicht glauben, dass der vielzitierte Generationenvertrag in erster
Linie besagt, die Österreicher sollten sich ungehemmt
vermehren.
Unverzüglich erklang von Seiten
Übereifriger, die augenscheinlich niemals aussterben, erregte Zustimmung,
Strafzuschläge für sozialschädliche Vermehrungsverweigerer wurden und werden
vehement gefordert, Beitragserhöhungen aller Art für egoistische Nichteltern.
Die Jagd auf Stammbaumender ist eröffnet?
Ist es ein solches Klima, in dem sich der Österreicher der Gegenwart und der
Zukunft entfalten kann und will?
Und, was die Suchenden aller Zeiten und Kontinente immer schon brennend
interessiert hat - nämlich, was die Wahrheit sei, lieferte die Ministerin
gleich mit: "Die Wahrheit ist: Die Zukunft ist gesichert, wenn ein Land
Kinder hat."
So einfach kann Wahrheit also dingfest gemacht werden! Kinder als Mittel zum
Zweck? Seit wann hat "ein
Land" Kinder? Menschen haben Kinder, oder eben nicht. Die Zukunft ist
weitgehend gesichert, wenn es die Lebensgrundlagen der Menschen sind. Ein
Zusammenhang zwischen Zukunftssicherung und Kinderanzahl greift zu weit und ist
kaum ein brauchbarer Denkansatz, zumal wenn man das vorhandene Umfeld für
Eltern (finanzielle Absicherung, Betreuungseinrichtungen,
Teilzeitarbeitsplätze, ...) betrachtet.
Der Website des BMBWK ist zu entnehmen:
" 'Lernen, Lehren und Forschen in einer vernetzten Wissensgesellschaft' heißt
das Motto, unter das Bundesministerin Elisabeth Gehrer ihre Ressortarbeit
gestellt hat. Ziel ist es, den jungen Menschen die beste Ausbildung zu geben,
damit sie die Herausforderungen des neuen Jahrhunderts bewältigen können. Im
Vordergrund steht das Bekenntnis zu einem differenzierten Bildungssystem, das
Leistung betont, die individuelle Begabung des einzelnen fördert und die
Jugendlichen zu kritischen, mündigen, verantwortungsvollen und gegenüber
demokratischen Prozessen offenen Bürgern erzieht.
Um die Chancen eines vernetzten Europa nützen zu können, müssen die jungen
Menschen flexibel auf Veränderungen reagieren, an der gesellschaftspolitischen
Entwicklung aktiv teilnehmen und bereit sein, sich laufend weiter zu bilden und
internationale Kontakte zu pflegen. Aufgabe des Bildungsministeriums ist es,
durch die richtigen Rahmenbedingungen die Jugend auf dem Weg ins neue
Jahrtausend bestmöglich zu unterstützen."
Die Website des BMWA verlautbart:
"Das Internet ist ein hervorragendes Medium, um sowohl rasch als auch
umfassend die Leistungen des Ministeriums einer breiten Öffentlichkeit bekannt
zu machen. Die Serviceangebote für die Bürger werden auf der neuen Homepage
verstärkt - das BMWA versteht und präsentiert sich als Dienstleistungsbetrieb
für die Bevölkerung."
Also keine Rede vom derzeit so penetrant beschworenen Kindersegen - Schuster, bleib' bei deinen Leisten!
Neulich wurde ich unfreiwillig Zeuge einer Unterhaltung zweier älterer Damen. Eine der beiden meinte, sie sei so froh, bald in Pension gehen zu können, und "die Jungen leben eh schon mit der Einstellung, dass sie bis 70 arbeiten müssen". Das Florianiprinzip und die schleichende Entsolidarisierung haben Hochkonjunktur, daran wird auch eine "Wertediskussion" kaum etwas ändern können. Denn, und das hat Frau Gehrer immerhin richtig erkannt, "Neidhammel" finden immer ein Haar in der Suppe. (Anmerkung: Elisabeth Gehrer selbst gibt auf ihrer Ressortwebsite "Gelb" als persönliche Lieblingsfarbe an - wie es der Zufall so will.)
Im Sinne der oben angeführten "vernetzten
Wissensgesellschaft" und des "Dienstleistungsbetriebs für die Bevölkerung"
seien die Mailadressen der beiden umtriebigen Minister nicht verschwiegen (Damen
haben den Vortritt, so viel ist auch uns jungen Partyrauschern geläufig!):
elisabeth.gehrer@bmbwk.gv.at
minister@bmwa.gv.at
(Felix; 24.08.2003)
Nicht
unpassend wird der erste österreichische Märtyrer und Heilige, der Heilige
Florian nämlich, mit folgendem Spruch um Schutz gebeten:
"Oh Heiliger Sankt Florian, verschon
unser Haus, steck' andere an!"
(Erläuterung: Er soll in seiner Jugend ein
brennendes Haus durch Beten gerettet haben.)