Einige Worte zu Goethes Faust
... und zwar zum Prolog im Himmel ...
Im Prolog stellt Goethe seine Überlegungen,
sowohl das Vergängliche, als auch das Ewige betreffend, umfassend und
zeitlos-aktuell dar. Er streicht hervor, dass weder die Fronten zwischen
"gut" und "böse" noch die Kluft zwischen "Teufel"
und "Gott" endgültig abgrenzbar sind, da vorderhand kaum ein
Lebewesen entweder nur "gut" oder ausschließlich "böse"
ist (sein kann?), sondern vielmehr beider Anlagen zu (schätzungsweise) gleichen
Teilen vorhanden sind.
Welcher dieser ethischen Begriffe schließlich das Lebewesen bei seinen
augenblicklichen Schritten leitet, hängt jedoch - nicht nur nach Goethes
Ansicht - hauptsächlich von den äußeren Umständen, die es zur Entscheidung
bewegen, ab. (Ein eigenes Thema wären die unerwünschten Nebenwirkungen der
sogenannten Zivilisation und Sozialisation des Tieres Mensch.)
Goethe lässt Gott sagen: "Ein guter
Mensch ist sich des rechten Weges wohl bewusst", worin des Schriftstellers
Glaube an die Erlösung des Individuums erkennbar wird. Diese Aussage beinhaltet
Goethes Überzeugung, dass jeder Mensch allerhand Böses in Gedanken, Worten und
Werken anrichten kann; sich also unter Umständen in den Augen seiner
Umgebungsmenschen allem Anschein nach von Gott und dem rechten Weg abgewandt
hat, was allerdings nicht der Fall sein muss. Man kann bestimmt davon ausgehen,
dass jeder Mensch, dessen letztes Stündlein schlägt, vorzugsweise in Frieden
Abschied von der Welt der Sterblichen nehmen möchte, und sich schließlich eben
doch, und zwar auch nach außen, (wieder) als Geschöpf Gottes empfindet.
Bei Goethe meint Gott weiters: "Des Menschen Tätigkeit kann allzuleicht
erschlaffen, er liebt sich bald die unbedingte Ruh'." Hier spricht kein
rechthaberischer Allmächtiger, sondern ein Wesensprinzip höchster Gelassenheit
im Bewusstsein, dass sich dereinst alles Sterbliche zu ihm bekennen wird, unabhängig
davon, welcher Teufel
dieses Bekenntnis zu verhindern suchte.
Indem Mephistopheles' Bündnis mit Faust die
Vereinbarung enthält, Fausts Seele werde Mephistopheles zufallen, sobald Faust
"Augenblick, du bist so schön, verweile ..." gesagt, kommt eindeutig
zum Ausdruck, dass des Teufels Absicht niemals ist, Menschen zu anhaltendem Glück
zu verhelfen.
Mephistopheles treibt Faust von einer kurzlebigen Vergnügung zur nächsten,
wobei dieser dabei keine rechte Lust im Augenblick des Geschehens verspürt und
sich daraufhin ebenso unwissend und missvergnügt wiederfindet wie zu Beginn des
Dramas.
Goethe lässt erkennen, dass ein dauerhafter
Zustand des Glücks nur bei/mit/von Gott verwirklicht werden kann. Jenem Gott,
zu dem jeder Mensch zurückfindet, wenn er von der steten Unrast des Lebens
"in Sünde"
erschöpft und der Oberflächlichkeit überdrüssig ist.
Dass menschliches Streben und wahre Bestimmung
zumeist bedenklich weit auseinander liegen, weiß nicht nur Mephisto, der meint:
"Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne und von der Erde jede höchste
Lust, und alle Näh und alle Ferne befriedigt nicht die tiefbewegte Brust."
Unvernunft verlangt Unerfüllbares und wird niemals Ruhe finden! Das irdische
Streben nach Lust und Vergnügen, Ruhm und Reichtum, Wissen und Macht versklavt
den Menschen, und lässt ihn mitsamt dazugehöriger entfremdeter Werteskala im
Stadium einer unschönen "Raupe" erstarren, sodass keine Metamorphose
zum Schmetterling
stattfinden kann. "Es irrt der Mensch, solang er strebt" - dieser Satz
bedarf keiner weiteren Ausführung.
Und wieder einmal muss ein Mensch als
Versuchsobjekt herhalten:
Die Wette zwischen Gott und Mephistopheles ist eine erneute Verlagerung des
ewigen Widerstreites zwischen gut und böse in die Menschenwelt, die wohl
besonders geeignete Voraussetzungen für Stellvertreter-Schauprozesse aufweist.
... sowie zum Vorspiel auf dem Theater...
In diesem Abschnitt des Dramas stellt Goethe
die höchst unterschiedlichen Absichten sowie Beweggründe der Lustigen Person,
des Theaterdirektors und des Dichters bezüglich eines Theaterstückes dar.
Der Theaterdichter ist hier mehr oder weniger Opfer einerseits des Verlangens
seines vergnügungssüchtigen, sensationsgierigen Publikums, andererseits des
geldgierigen Theaterdirektors. Dessen Hauptaugenmerk gilt der Auslastung seines
Etablissements, keineswegs der Güte des aufgeführten Schauspieles. Und so
richtet er folgende Aufforderung an den Dichter: "Besonders aber lasst
genug geschehn! Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn. (...) Man eilt
zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten, und Neugier nur beflügelt jeden
Schritt. (...) Sucht nur die Menschen zu verwirren, sie zu befriedigen ist
schwer."
(Ein Konzept, das übrigens nach wie vor weitgehend Gültigkeit besitzt.)
Der Dichter fühlt sich in der ihm zugedachten
Rolle, die ihn zwingt, seine eigentlichen Empfindungen und Absichten
hintanzustellen, so wohl nicht. Sieht er sich doch veranlasst, ein möglichst
reißerisches Werk zu schaffen. Er träumt von wahren Werten und empfindet die
Vorgaben des Direktors als Haftbande, die ihn an der Umsetzung seiner
Vorstellung hindern. Der Dichter verachtet das einfältige Publikum, dessen
niedriges Niveau seine literarischen Höhenflüge verunmöglicht.
Welche Einstellung mag wohl Goethes eigener näher
gekommen sein? (Angemerkt sei, dass Goethe mühelos beiden Anforderungen gerecht
werden konnte ...)
Der Theaterdirektor jedenfalls meint, dass die Mehrheit der Zuschauer keineswegs
herbei eilt, um ein Theaterstück ernsthaft zu würdigen, sondern lediglich, um
"irgendetwas" zu sehen, das sie für den Moment begeistert.
Der Dichter entgegnet: "O sprich mir nicht von jener bunten Menge, bei
deren Anblick uns der Geist entflieht. Verhülle mir das wogende Gedränge, das
wider Willen uns zum Strudel zieht. Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge,
wo nur dem Dichter reine Freude blüht."
Die Oberflächlichkeit der vorhin erwähnten
Mehrzahl der Zuschauer tritt in Gestalt der Lustigen Person auf. Nebenbei
bemerkt stößt man in der gegenwärtigen Spaßgesellschaft auf durchaus
vergleichbare "Lustige Personen" und Aussagen:
"Gesetzt, dass ich von Nachwelt reden wollte, wer machte denn der Mitwelt
Spaß? Den will sie doch und soll ihn haben."
Gewünscht wird ein Stück, das vorübergehend für Unterhaltung sorgt, und nach
dem die Zuschauer belustigt, nicht belastet, den Heimweg antreten können. Das
daraus abgeleitete "Erfolgsrezept" lautet also: "Greift nur
hinein ins volle Menschenleben! Ein jeder lebt's, nicht vielen ist's bekannt,
und wo Ihr's packt, da ist's interessant. In bunten Bildern wenig Klarheit,
viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit, so wird der beste Trank gebraut, der
alle Welt erquickt und auferbaut."
Die Lustige Person verlangt
nach leichter Kost:
Rasche Szenenfolgen, flotte Handlungsentwicklung, simple Inhalte. Banalitäten
nebst Tempo, nicht Geist und Entwicklung; Zerstreuung, nicht Anregung. Darin
unterscheidet sie sich nicht von der Mehrzahl der heutigen Medien-Konsumenten,
deren Leibspeise der "Schlagzeilen-Salat" aus Einweglesestoff ist, aus welchem sie sensationslüstern mit spitzen
Fingern die leicht verderblichen vermeintlichen "Leckerbissen"
(freilich ohne Nährwert) fischen.
Den sogenannten "Publikumsmagneten"
sei ins Stammbuch geschrieben:
"Was glänzt, ist für den Augenblick geboren.
Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren."
(kre)
... möchten
Sie Faust bei
seinem Osterspaziergang begleiten?
...