Die Verwandlung des Eugen Drewermann
Eines
Tages wachte ein bekannter
Theologe aus Paderborn auf und beschloss, sich intensiv mit
Neurobiologie zu
beschäftigen. Er verschlang eine Unzahl an Büchern
dieses Themenkomplexes. Nach
zahlreichen Recherchen und möglicherweise Gesprächen
mit Wissenschaftern, deren
Fachgebiet die Neurobiologie ist, vermochte er endlich ein gewichtiges
Wort zu
sprechen:
"Ihr Kanzelprediger! Ihr Verwalter
christlichen Scheins!
Glaubt
Ihr allen Ernstes, Ihr
hättet den Alleinanspruch auf die Vorstellbarkeit der
Unsterblichkeit der Seele
gepachtet? Gerne doziert Ihr von dieser seligmachenden Besonderheit,
auf der Euer Glauben ein sicheres Fundament haben soll. Habt Ihr nie bedacht,
dass es
auch anders sein könnte und Ihr mit dieser Vorstellung Eurem
christlich
gesinnten Publikum ein Theater ersten Ranges vormachen möget?
Ihr
wollt euch nicht mit
Wissenschaften beschäftigen, welche Euch gefährlich
werden könnte. Die
Ergebnisse sind in manchen Fällen kolossal, und es
bestünde die Chance, dass Ihr Euer Weltbild ändern müsstet, was Ihr aber nie
und nimmer zu tun bereit
seid! Laut neurobiologischen Erkenntnissen kann die Unsterblichkeit der
Seele
so gut wie ausgeschlossen werden. Wenn der Mensch stirbt, sterben mit
ihm sein
Gehirn und gleichermaßen seine Seele, die mit der
Lebendigkeit des Menschen in
Verhältnis zu setzen ist. Warum
könnt Ihr nicht diese
wissenschaftliche Erkenntnis anerkennen und Euch dementsprechend
verhalten?"
Was
sich zweifelsfrei merkwürdig
anliest, wenn wir davon ausgehen, dass es Eugen Drewermann ist, der
diese Worte
(freilich von mir etwas satirisch dargestellt, wobei die Grundthese
seiner
neuen "Anschauung" entspricht) wählt, ist
für mich, welcher den streitbaren
Theologen sehr zu schätzen weiß, ein Schuss vor den
Bug. Noch vor wenigen
Jahren hat Drewermann die Unsterblichkeit der Seelen von Tieren in
einem Buch
propagiert und damit jeglichem menschlichen Solipsismus den Wind aus
den
Segeln genommen. Nun aber fährt er mit Kanonenrohren vor und
zerstört jenes Schiff,
auf dem er selbst seit Jahrzehnten gefahren ist. Eigentlich
müssten zahlreiche
seiner Bücher umgeschrieben und neu aufgelegt werden, wobei in
Frage zu stellen
ist, ob er hernach überhaupt noch ein an seinen Thesen
interessiertes Lesepublikum
hätte.
Drewermann
hat also das Schiff in
Brand gesetzt, mit dem er stets unkonventionell und mit viel Herzblut
fragwürdige Dogmen der katholischen Kirche in einen neuen
Kontext gesetzt hat.
Nunmehr behauptet er allen Ernstes, auch dieses Beharren auf der
Unsterblichkeit
der Seele sei nichts Anderes als ein Dogma der katholischen Kirche. Das
Problem
hierbei ist in erster Linie, dass Drewermann ein Autodidakt in Sachen
Neurobiologie ist. Er hat sich sein Wissen angelesen und vielleicht
mit dem
einen oder anderen Wissenschafter dieser Ausprägung ein
Gespräch geführt. Als
Theologe kann er sich damit nur in die Nesseln setzen, da
grundsätzlich die
Frage nicht zu Unrecht gestellt sein kann, wie er als Autodidakt zu
einer
Erkenntnis gelangt, die abseits seiner profunden Kenntnisse in
theologischer
und therapeutischer Hinsicht formuliert wird?
Hätte
sich Drewermann an Tiplers Physik der
Unsterblichkeit orientiert,
wäre er womöglich zu einem
anderen Ergebnis gekommen. Ich finde es merkwürdig, wie ein
renommierter
Theologe sich auf Vermutungen stützt, deren Grundlagen er kaum
nachvollziehen
kann.
Viele
seiner Bücher implizieren die Weiträumigkeit der Seelen abseits von irdischer
Einschränkung.
Totenkulte, Vorstellungen vom Jenseits in zahlreichen Kulturen, die
Vorstellung
von Gott als "Universalseele", alles dies und noch
viel mehr ist jetzt ein
Aschehaufen geworden, weil Drewermann einen enormen Anteil seines
Weltbildes in
Brand gesetzt hat. Jetzt könnte eingewandt werden, warum es
mich denn so
außerordentlich interessiert, dass ein Mensch sein Weltbild
verkehrt hat? Hat
nicht jeder Mensch das Recht darauf, zu neuen Erkenntnissen zu kommen
und
eingefahrene Bahnen zu verlassen, in denen sich bislang sein Leben
vollzog? Ja,
einverstanden. Dieser Einwand ist berechtigt. Doch verhält es
sich so, dass
Drewermann mir in Grundsätzen theologischer Hinsicht ein
Mentor gewesen ist. Er
hat einige für mich brennende Fragen mit theologischer
Weitsicht beantwortet,
sodass ich nicht wenige theologische Leitbilder in mein Leben
integrieren
konnte. Es ist nunmehr nicht so, dass ich - gleichzeitig mit
Drewermann - diese
Grundsätze verwerfe und auch mein Schiff in Brand setze. Ich
habe Drewermann
nie als meinen Guru betrachtet, sondern als Theologen ohne
Scheuklappen, von
dem ich eine Menge lernen konnte.
Ich finde es vielmehr kurios, dass
der vielleicht beste Theologe des deutschsprachigen Raumes sich auf in
Frage zu stellende Erkenntnisse gewisser Vertreter der Neurobiologie bezieht, um
die Unsterblichkeit der Seele ad absurdum zu führen. Wenn ich etwa
an sein
herausragendes Buch über Dostojewski denke, dann müsste er auch in diesem Zusammenhang so manches
umschreiben. Ist
das wahrlich notwendig? Vielleicht
hat sich Drewermann maßlos überarbeitet.
Das ständige Publizieren enormer Wälzer gepaart mit
seinem Verschlingen
wissenschaftlicher Werke kann auf Dauer nicht
gesundheitsförderlich sein.
Manchmal ist weniger mehr, und das Festhalten von wesentlichen
Grundsätzen muss
Teil des Glaubensverständnisses bleiben. Durch die Behauptung,
das Gehirn sei
so etwas wie der Platz, wo sich die Seele befindet, wird jegliches
über
Erkenntnisse von Naturwissenschaftern hinausgehendes
Verständnis von der Welt,
vom Universum, von allem, was ist, zum Mumpitz erklärt. Die
katholische Kirche
hat aber nunmehr endlich einen unbestreitbaren Grund, Drewermann zu
attackieren. Erstmals stehe ich in diesem Zusammenhang nicht auf der
Seite von
Drewermann. Irgendwie ist eine "Ikone" vom Podest
herabgepurzelt. Es gilt, mit
dieser Verwandlung umzugehen.
(Al Truis-Mus; 04/2007)
Buchtipps:
Eugen Drewermann: "Dass auch der Allerniedrigste mein Bruder sei. Dostojewski - Dichter der Menschlichkeit"
Drei zentrale Themen sind es, die bei Dostojewski immer wiederkehren: die Armut
und das Erbarmen, die Schuld und die Vergebung, der Tod und die Unsterblichkeit
der Seele. Menschen können nur dann existieren, wenn das eine mit dem anderen
in Beziehung steht. Von Dostojewski zu reden bedeutet für Eugen Drewermann,
angesichts einer gnadenlosen Welt von der Gnade zu reden, im Schatten der
Verzweiflung vom Glauben zu sprechen und selbst dann, wenn es keine Auswege mehr
zu geben scheint, Orte zu zeigen, an denen Hoffnung möglich ist.
Patmos, 2004. 208 Seiten.
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