Jederjenige Abstecher/derjenige und er
von Doris Krestan
1.
Männergedanken ausdünstend sitzt derjenige ihm gegenüber, zermalmt bedächtig Salatbestandteile, schaut schnellgierig der Kellnerin in den Ausschnitt und erhascht doch nichts als einen mitangeklagten Eindruck. Wirkungssüchtig hat ihm derjenige vollmundig seine Vorwurfslast aufgeladen. Die restliche Einwegunterhaltung behält er hinrichtig bis zur Nachspeise zurück.
Er spitzt sein Gesicht, hüllt sich in kugelsicheres Schweigen. Anfangs ist da nur ein hiebseitiger Riss in dieser Außenhülle, durch den das Schmelzwasser der Stimme desjenigen abermals eindringen kann. Stück um Stück zersprengt der Wortschwall sein sandsacknasses Leugnen bis er sich wortnackt demjenigen gegenüber gestrandet wiederfindet. Er kaut erwartungsgemäß gleichfalls Salatfetzen, kreist augenblicklich über andere Mitesser, sehnt sich danach, in seiner abseitigen Wohnung zu sein, wo er den Schatten der Frau desjenigen unter dem Bett versteckt hat. Die Eine, seine mündlich Langzeitgeliebte, wollte er hier treffen, nicht denjenigen, dessen Nase er ihretwegen gleichberechtigt mit einem Schlag hatte bluten lassen.
Derjenige mustert ihn erwartungslos, vernichtet den letzten Salatrest und legt seine Hände beiseite. Flink nimmt die Kellnerin die ausgefressenen Unterstellungen vom Tisch, während derjenige damit beschäftigt ist, ein Messer sauber zu wischen. Als sich der Glanz der Klinge in seinen abgrundtiefbraunen Augen abzeichnet beschließt er, auf die Nachspeise zu verzichten. Denn derjenige bestraft sich schon tagelang für den vorhersehbar gewesenen Frauenverlust. Er starrt denjenigen an, der ihm soeben die rechte Hand mit dem Messer durchbohrt und so an die Tischplatte heftet, deren zerschundenes Holzgrau farbenhungrig das befreite Blut aufsaugt. Er lässt die Erinnerung an die Verlorene zerknüllt im Aschenbecher zurück, zieht seinen Schatten unter dem Tisch hervor, wendet sich ab und geht.
Und man hört ihn die Melodie des "Folsom Prison Blues" pfeifen, als er in die strömende Menschenmenge eintaucht.
2. Würgegriff/derjenige und sie
Überall auf dem Gehsteig verstreut liegen die Fetzen der Gedanken desjenigen, nachdem die Eine seine hochfliegenden Pläne mit einer spitzen Bemerkung zum Platzen gebracht hat. Derjenige plagt sich nun nicht mehr mit Entscheidungen, er wägt Vorteile nicht mehr gegen Nachteile ab. Er erträgt ein allerletztes Mal die aufgeblasene Gegenwart der Frau, die mit Enthaltsamkeit argumentiert und ihr Spiegelbild in seinen Augen mit Bewunderung mustert.
Tage- und nächtelang hat derjenige schreiend Straßen erobert, Passanten verstohlen schräg angeschaut, unhörbar Beschimpfungen abgesondert, nach jenem Abend, an dem er seinen Rivalen am Tisch angestochen zurückgelassen hatte. In den wenigen Ruhestunden, die er sich seither gegönnt hat, ist es ihm nicht gelungen, die kippenden Überlegungen zu ertränken.
Umgekehrt ist sie diejenige, die widersprüchlich Zeichen von Liebe und Ablehnung verteilt und nur zu gut wissen muss, was sie erwartet. Mit ruckartigen Bewegungen schüttelt sie die Vorwürfe aus dem Moment und versucht, denjenigen abermals in die Restbeziehung einzuspinnen. Sie quillt über vor Sprachdrehungen, huscht in endlosen Serpentinen seine Drohungen entlang und verzieht die Mundwinkel in täuschender Zuneigung, unablässig sämtliche Aussagen mit der Melodie von "Muss i denn..." unterlegend.
Derjenige will ihr noch einmal Gelegenheit zur Ausflucht bieten und verschließt die Augen vor ihrer Unstimmigkeit. Er hofft, sie wird mitsamt ihrem untreuen Schatten verschwunden sein, wenn er den nächsten Blick wirft. Doch sie nimmt die Gefahr nur als Reiz zur Kenntnis und setzt kindhafte Unschuld ein, ohne jeden Zweifel an deren Wirksamkeit im Gesicht.
Zwei würgemutige Männerhände umschließen den weiblichen Wendehals, verursachen ein Zappeln, Keuchen, schließlich ein weiches Nachlassen, bevor die Beute dem Kanalgitter entgegensinkt. Derjenige vermag sich der Macht des Vorganges nicht zu entziehen, verdreht die Augäpfel entgegen jeder Schwerkraft und quetscht alle Zukunft aus der abgelegten besseren Hälfte, deren Zügen alle Falschheit entwichen ist. Leergebinde.
"Killing just for fun", zitiert derjenige gehend. Fremdgehend. Selbstredend.
3. Allsamkeit/derjenige oder erselbst
Derjenige ist nicht länger als derjenige erkennbar: auf Vordergrund gelaufen, alle Bewegungen im geronnenen Augenweiß der Einen klebengeblieben. Aus jeder Pore zwängt sich Überdruss, mit jedem Schritt wächst der Müllberg hinter der Menschenfassade. Fehlgelebt, fehlgeschlagen, fehl am Platz. "Gespenster sind sie alle, Kulissen immerzu. Sie sitzen in der Falle, genau wie ich und du", zerreimt sich derjenige der nicht er ist, auf dem Brückengeländer stehend und schaut auf die Schleimspuren, welche die Großstadtabfälle ins Wasser absondern. Abwärts, senkrecht-zuerst einbilden, dann eintauchen. Mitten hinaus aus dem Dasein, hinein ins Nichtsein. Derjenige oder erselbst. Entscheidungslos, dem Anfang ein Ende machen, dem Unsein entgegenspringen, den Schatten abhängen.
Ein Einschlag verwirrt die Wasserschlieren kurz, dann ein Aufbäumen der Reflexe. Und? Nichts.
Ende
(
Doris Krestan)