DER „17.NOVEMBER“ – Erhält ein jeder Staat den Terror, den er verdient?


Griechenland, das Mutterland der Demokratie, hatte bis dato einige demokratische Defizite. Die Zerschlagung der linksextremistischen Terrororganisation „17.November“ sollte für das Land nicht nur das Ende von nahezu dreißigen Jahren andauernder Gewalt bedeuten, sondern ihm gleichzeitig die Möglichkeit eröffnen, endlich politische Gräben zuzuschütten.

Dank der vernetzten Welt ist es mir auch möglich, aus meiner Zweitheimat, hier in Griechenland, via Internet die außenpolitische Berichterstattung in Österreich mit zu verfolgen. Gespannt warf ich nahezu schon einen Monat lang jeden Tag einen Blick in die österreichischen Medien, um zu sehen, wie die derzeitige griechische „Causa Prima“ darin gehandhabt wird.
Das was das panhellenische Gemüt derzeit fast ausschließlich bewegt, ist die mögliche und (endgültige?) Ausschaltung der linksextremen griechischen Terrororganisation „17. November“. Tatsächlich sind auch die österreichischen Medien in den letzten Tagen auf dieses Ereignis eingegangen.

An dieser Stelle möchte ich mich etwas detaillierter dem „17. November“ widmen.
Die Organisation des „17. Novembers“ trieb über ein Viertel Jahrhundert hier in Griechenland ihr terroristisches Unwesen. In ziemlich regelmäßigen Abständen tauchte sie wieder auf, schlug zu, verschwand völlig unerkannt und hinterließ in der Öffentlichkeit mehr als nur ein Fragezeichen. Bekannt war, dass es sich bei dieser Organisation um eine linksextremistische handelte, die gleich einem Schwamm jedwedes linke Gedankengut aufsog: Marx, Trotzki, Ideologie und Taktik der bewaffneten Stadtguerrila etc. Ebenso waren Ähnlichkeiten zur deutschen RAF und der italienischen Brigada Rossa erkennbar – so man überhaupt etwas genauer erkennen konnte; sichtbar wurde nur eine blutige Spur, die sich durch ganz Griechenland zog. Politisch – motivierte, später sogar mehr unmotivierte und nur sehr schwer in einen politischen Zusammenhang zu bringende Morde, Bombenanschläge, Bankraub und Waffendepotdiebstähle zählten zu den Untaten des „17. Novembers“. Die ausgewählten Ziele waren Staatsanwälte, ein Herausgeber einer rechten Tageszeitung, hohe Polizeioffiziere, britische und amerikanische Militärattaches, sowie auch türkische Diplomaten – vor allem weil sich der „17. November“ auch den „Befreiungskampf“ gegen die türkischen Besatzer auf Zypern auf seine Fahnen geschrieben hatte. Der „17.November“ zählte zu den Terrororganisationen, die schon recht bald ins Fadenkreuz der CIA sowie des MI6 gerieten.
Den Namen „17. November“ wählte die Organisation in Anspielung auf jenes Datum, als sich Arbeiter und Studenten der Technischen Universität Athen gegen die herrschende Militärjunta in Griechenland (1967 –74) erhoben, und dieser Aufstand von der Diktatur blutig niedergeschlagen wurde.
Die Wurzeln dieser Organisation reichen aber noch weiter zurück, und sind in der unversöhnlichen Auseinandersetzung zwischen dem linken und rechts–konservativen Lager zu finden, - die Feindschaft, die ihren blutigen Höhepunkt im grausamen Bürgerkrieg nach Abzug der NS–Besatzung Griechenlands erreichte. Nach Ende des Bürgerkrieges und des „Sieges“ der rechtsgerichteten Kräfte wurden von der Obrigkeit Akten über linke ehemalige Kämpfer und Politiker angelegt und trotz sämtlicher Beteuerungen niemals wirklich vernichtet – man konnte ja schließlich nie wissen, wozu sie noch dienen konnten!
Und sie sollten sich als durchaus „nützlich“ erweisen, denn als die sogenannte Obristendiktatur (also der Militärputsch von hohen griechischen Offizieren!) die Macht im Lande ergriff, holte man diese scheinbar vernichteten Akten hervor und konnte dadurch etliche der unliebsamen Genossen beseitigen (Verbannungsinseln, Gefängnisse, Ermordungen etc.).
Viele der Linken flüchteten samt Familien in das „freie“ Europa – oftmals nach Frankreich. Dort studierten viele und gerieten dabei auch in die studentischen Unruhen des Jahres 1968 und seines politischen „Spätsommers“. Im Zusammenhang mit jenen linken griechischen Intellektuellen, die sich damals in Frankreich aufhielten, wird oft auch der Name Jean Paul Sartre genannt. Einige hatten sogar Zugang zu seinem Zirkel gefunden , und es ist eine Tatsache, dass Sartre das erste Bekennerschreiben des „17.November“ gelesen hat.
Nachdem die Junta nach dem verlorenen Zypernkrieg und dem Verlust großer Teile Zyperns an die Türkei fiel, kam die große politische Integrationsfigur Konstantinos Karamanlis zurück – aus Paris – nach Griechenland und mit ihm auch viele, anders als Karamanlis vorwiegend linke Intellektuelle.
Einige wenige arg verblendete griechische Linke hatten diesen Epochenwechsel nicht mitgemacht oder mitmachen wollen und gingen erneut in den Untergrund. Eine Handvoll eben besonders „Geschädigter“ begnügte sich nicht nur mit politischem Widerstand, sondern dehnte das Ganze auch auf bewaffneten „Widerstand“ aus.
Wie sich jetzt nach der – für griechische Verhältnisse ungewöhnlich zügig und exakt durchgeführten – Auflösung des „17. Novembers“ herauskristallisiert, darf man davon ausgehen, dass „Kopfmenschen“ wie z.B. Universitätsprofessoren, Journalisten, Juristen etc. zu den Gründungsvätern des „17. Novembers“ zu zählen sind und sie sehr bald ihre kruden Theorien von Gesellschaftsänderung mittels blutiger Gewalt durchzusetzen suchten.
Da die ganze „Geschichte“ mit dem „17.November“ allerdings nahezu ins dritte Jahrzehnt ging, steht fest, dass eine „zweite Generation“ von Masterminds und Killern auf den Plan getreten war, um die „Arbeit“ fortzuführen, wobei die Aktionen allerdings mehr Gemeinsamkeiten mit „gewöhnlicher“ Kriminalität aufwiesen denn mit „bewaffnetem politischem Widerstand“. Anfangs wurde dem „17.November“ mitunter von Seiten der Bevölkerung noch ein gewisses Verständnis entgegengebracht, zumal die ersten Ziele die Exekution von Folterknechten der Militärjunta und amerikanische Militärangehörige (in Griechenland werden bis heute die Amerikaner zu den Mitverantwortlichen für die Machtübernahme und das lange Wirken der Obristendiktatur gemacht!) betrafen. Dies ist ja auch von der Taktik her gesehen eine typische Vorgangsweise von bewaffnetem linkem Widerstand: Nach den ersten Aktionen will man Sympathien für die „Sache“ gewinnen, daraufhin schließen sich immer mehr Leute dem Widerstand an – bis daraus ein „Volksaufstand“ wird, der das System hinwegfegt. Allerdings mit der Zeit – vor allem nach dem Fall des Kommunismus - gingen irgendwann einmal die „sinnvollen“ Ziele aus, und die Aktionen wurden immer wahlloser und näherten sich – wie schon erwähnt - immer mehr gewöhnlichen kriminellen Handlungen ohne wirklich erkennbaren politischen Hintergrund an.

Das ist in etwa der historische politische Hintergrund des nahezu dreißig Jahre währenden Terrors, der den „17. November“ nach Angaben der CIA und des MI6 unter die topgefährlichen Terrororganisationen der Welt „aufsteigen“ ließ.
Einmal abgesehen davon, dass die brisanten Ereignisse der letzten Tage auch ein Fressen für die „Journaille“ darstellen, die ihrerseits jetzt nach Blut und Rache schreit, zeigt die Existenz und das Wirken des „17.Novembers“ doch die eklatanten Schwächen im politischen System der griechischen Demokratie auf.
Der seit Urzeiten währende Konflikt zwischen Links und Rechts in Griechenland wurde sogar auch auf Kosten der Staatssicherheit geführt, denn angeblich existierten bereits seit Jahren mehr als zielführende Hinweise und Unterlagen über den „17. November“, doch war die gegenseitige Aversion und die wohl damit verbundene Angst vor einem durchschlagenden Erfolg bei der Zerschlagung des „17. November“, die sich dann eine der beiden staatstragenden Parteien, die konservative Nea Dimokratia oder die sozialistische PASOK, zugute halten hätte können, dermaßen groß, dass man sich gegenseitig so vorzüglich bei den Investigationen behinderte, und somit in der Causa „17. November“ jahrzehntelang kein Fortschritt erzielt wurde . So konnte der „17.November“ auch weiterhin nahezu unerkannt – man spricht hierzulande von einer „Fantom-Organisation“ - schalten und walten, wie es ihm beliebte.

Ich glaube, es ist keineswegs konspirativ misszuverstehen, wenn ich behaupte, dass Terror zumeist auch ein Symptom für Missstände in einem System ist. Terror als Antwort auf moralisch – religiöse Dekadenz, Terror als Antwort auf gesellschaftliche Ungerechtigkeit und Selbstgefälligkeit, Terror im Allgemeinen als vermeintlich richtige Antwort auf Unfähigkeit eines Systems zur Änderung, als Antwort auf Erstarrung: Gegen Amerika aus Gründen der selbstherrlichen Überheblichkeit im wirtschaftlichen, moralischen und politischen Sinn, gegen die Türkei wegen ihrer – bis dato – absoluten Ignoranz anderer als türkischer Volksgruppen, gegen England wegen seiner längst überholten und nicht mehr aufrecht zu erhaltenden Empirepolitik, gegen Israel wegen seiner Ignoranz und seiner Paranoia gegenüber den Palästinensern und eben in Griechenland auch wegen kurzsichtigen Verhaltens der Selbstbereicherung der jeweiligen Partei, die gerade eben an der Macht ist, und auch des anscheinend nicht zu beseitigenden gegenseitigen abgrundtiefen Misstrauens wegen zwischen links und rechts.
Über die möglichen Ursachen terroristischer Auswüchse wird zumeist nicht gerne nachgedacht, und diejenigen, die dies wagen, laufen sowieso Gefahr, mit solchen Verbrechern moralisch – ideologisch sofort in einen Bottich geworfen zu werden! Nur ganz vorsichtig wird nach dem „wieso“ der Handlungen von solchen extremen Elementen der Gesellschaft geforscht.
Eine solches Hinterfragen könnte schon bei den agierenden Personen ansetzen. Leichter jedoch ist es zweifellos, sie als gemeine Kriminelle zu titulieren, wegzusperren und zu verdrängen – bis dann halt die Nächsten, die Neuen ihr Unwesen zu treiben beginnen.
Sicherlich sind die Handlungen der Mitglieder des „17. Novembers“ durchwegs schwer-kriminelle, doch machen wir uns einmal die Mühe, ein paar von ihnen näher zu studieren: Drei der exekutierenden „Pistoleros“ sind Sprösslinge eines orthodoxen Priesters, der insgesamt zwölf (!) Kinder hat. Savvas Xiros, - mit dem die Aufdeckung seinen Anfang nahm, - als er beim Versuch wiederum eine Bombe zu legen selbst schwer verletzt wurde und deshalb von der Polizei gefasst werden konnte, ist Künstler. Er soll als Ikonenmaler (sic!) nicht unbedeutend sein! Man führe sich das vor Augen: Da ist ein Mann, Sohn eines Priesters, der Heiligen – und Christusbilder malt, und sein anderes Ich sprengt Leute in die Luft, schießt Menschen auf offener Straße kaltblütig nieder, raubt Banken aus. Kein Zweifel: Verabscheuungswürdige Verbrechen. Aber noch einmal: Erweist sich die griechische Gesellschaft einen guten Dienst, wenn sie bloß danach trachtet, ihn und seinesgleichen zunächst einmal gleich einem wilden Tier im Käfig vorzuführen, schnell und auf nimmer Wiedersehen wegsperrt, ohne sich näher – auch mit seinen persönlichen – Hintergründen zu beschäftigen und ihn nur als gemein-gefährlichen Kriminellen ansieht?
Doch die tragische Ironie geht noch weiter: auch zwei weitere Brüder von Savvas Xiros waren Mitglieder beim „17. November“ – also insgesamt drei Söhne des Priesters gesuchte Terroristen. Christodoulos Xiros, dem Anschein nach eher ein biederer Familienvater denn ein Killer, gab bei seiner Einvernahme an, dass sein ursprünglicher Beweggrund, sich dieser Organisation anzuschließen, der Wunsch war, die Gesellschaft zu verändern – seiner Meinung nach – da es sein „musste“, auch mit Waffengewalt. Als er jedoch einsah, dass sich nichts veränderte, sondern sogar zum Teil eher verschlechterte, nahm er Abstand von bewaffneten Aktionen. Last but not least – die eigenartigste Person, die bis dato ausgeforscht werden konnte, war ein 37-jähriger Volksschullehrer. Er unterrichtete auf Kreta und war bei den Schülern und deren Eltern der beliebteste Lehrer und – nach Angaben seiner Kollegen – ein ausgezeichneter Pädagoge. Darüber hinaus hatte er auch ein Buch mit eigenen Gedichten veröffentlicht. All das ändert nichts an den strafbaren Taten, deren sie sich alle schuldig gemacht haben und für die sie ihre Strafen erhalten werden, doch werfen schon allein die Persönlichkeitsstrukturen etlicher Mitglieder des „17. Novembers“ eine Unmenge an Fragezeichen auf, die doch der Mühe einer Entschlüsselung wert sind. Provokant gefragt: Haben derartig „verlorene Söhne“(und angeblich auch Töchter!) der Gesellschaft einem System mitunter nicht mehr zu sagen, mehr zu lehren, als die vielen „Braven“ und Angepassten?
Um nicht missverstanden zu werden: Gewalt kann und darf niemals ein Mittel sein, um etwas zu verändern – schon alleine deshalb nicht, weil sie in letzter Konsequenz absolut kontraproduktiv jeglichem idealistischen Ansatz ist.
Allerdings besteht in solchen Zeiten für eine demokratische Gesellschaft, die sich nicht all zu oft bietende Gelegenheit, sich mit den eigenen Schwächen auseinander zu setzen. Im Falle Griechenlands tut dies besonders Not. Denn diese anscheinend unüberwindbare Kluft zwischen linken und rechten Kräften im Land hat nicht nur Fanatikern wie jenen vom „17. November“ Nahrung gegeben, sondern auch die solche Terrororganisationen verfolgenden Verantwortlichen der Möglichkeit beraubt, derartigen Psychopathen (ich denke, das trifft auf viele Mitglieder des „17. November“ eher zu!) schon früher das Handwerk zu legen, und so hätten wohl noch heute etliche der Opfer des „17. Novembers“ am Leben sein können.
Es kann nur gehofft werden, dass auch über solch verantwortungsloses Verhalten zu Gericht gesessen wird – zum Nutzen des Rechtsstaates, und um künftigen, mit Gewalt spekulierenden, Elementen den Nährboden zu entziehen.

So gesehen kann das Ende des „17. Novembers“ auch einen Neuanfang darstellen, eine Möglichkeit zur Einkehr: Den griechischen Politikern die Chance, mehr dem Allgemeinwohl als ihren eigenen und parteipolitischen Interessen zu dienen, den Medien zu einer ausgewogeneren, sachlicheren Berichterstattung in solch heiklen Angelegenheiten (ein Privatsender strahlte Bilder des von der eigenen Bombe zerfetzten Mannes aus; oder in den Hauptabendnachrichten eines der größten Privatsenders machte sich der Moderator ziemlich lächerlich, als er während einer Diskussion mit einer Lektorin der Universität Athen partout die Möglichkeit ausschloss, dass es sich bei den „Köpfen“ des „17.Novembers“ um Intellektuelle handelt, zumal ja kein Intellektueller jemals Terrorist sein könne!), der Rechtssprechung zu Gesetzen und ihrer Handhabung, die eines Rechtsstaats würdig sind, und zuguterletzt auch den Tätern zu einer späten, doch immer noch möglichen Einsicht, keiner gerechten Sache gedient zu haben, sondern nur einem fanatischen und mörderischen Extremismus.

(Romios; Juli 02)