Seitdem er den Bachmann-Preis 1995 gewann, ist er vielen Literaturinsidern ein Begriff geworden: Franzobel.
Das Sprachgenie, das die österreichische Literaturlandschaft nicht nur bereichert; sondern wohl ihr besonderer Fixstern ist.


Franzobel: 
Ein Autor ohne Allüren

Von Jürgen Heimlich

(Foto: D. Krestan)


Ungeheuerlichkeiten brennen sich ins Hirn.
Ein Konglomerat des Schreckens.
Menschen schälen sich aus ihren Kostümen, und verstricken sich in Perversion.
Nichts für Zartbesaitete.


Mitten in die Sintflut fleischgewordener Satzkunstwerke schraubt sich eine an Krimis gemahnende Geschichte hinein, die unbarmherzig das Nervenkostüm des Lesers bis zur letzten Faser flattern lässt. Noch ganz frisch war mein Eindruck von diesem genialen, skandalträchtigen Werk "Scala Santa oder Josefine Wurznbachers Höhepunkt", als ich dem Verkünder dieser Offenbarung apokalyptischen Ausmaßes (im Jahre 2000 in seinem Stammlokal) persönlich begegnete.

Nach einem kleinen Exkurs, die Montage von Küchenmöbeln betreffend, womit er an diesem Tag (8 Jahre und 353 Tage vor dem Stillstand, an dem sämtliche Geschöpfe den Atem anhalten werden, um eine neue Zeit einzuleiten) viele Stunden verbracht hatte, brach das Eis in Windeseile, da sein Name zum Gegenstand des Interesses wurde:
Franz steht für den Vornamen seines Vaters, der an der Montage der Küche einen Hauptanteil haben mochte; Zobel für den Mädchennamen der Mutter, der für sich selbst spricht.
Namen sind eine seltsame Sache, die eine Identifikation eher behindere als fördere; also entschied er sich schon in Hauptschulzeiten aus Stefan Griebl "Franzobel" werden zu lassen. Ein Name, der aus den Abgründen seines Unterbewusstseins hervorleuchtete, und zweifelsfrei seinen Eltern ein positives Zeugnis attestiert.

Seine Kindheit verbrachte er in einem kleinen Dorf, wo er im Schatten einer Kirche aufwuchs. Etwa mit 15 begann er, sich für Schreiben zu interessieren; aber erst mit 20 entschied er, dieser Kunst ernsthaft anzuhängen. Seine erste künstlerische Ambition war die Malerei. Er stellte in einer Galerie Bilder aus, die eine sehr individuelle Note aufwiesen. Irgendwie, so berichtete er, handelte es sich um ein und das selbe Bild, das in vielen verschiedenen Varianten geschaffen worden war, wobei es eine Intention war, die Konturen zu verkehren. Eine eigenwillige Art des Malens, die in dieser Art und Weise zuvor noch niemand gewagt haben mag. Er malte Weiß auf schwarzem Hintergrund und definierte damit die Dimensionen neu. Aber es kam die Zeit, wo die Malerei vom Schreiben in den Hintergrund getrieben wurde. Der absolute Höhepunkt dieses Schreibens ist wohl jener der Josefine Wurznbacher, der sich im Haupttitel "Scala Santa" wiederspiegelt. Hatte er früher insbesondere die Sprachkomposition in den Vordergrund gestellt; so fügte sich nunmehr nahtlos ein mächtiger Inhalt ein, der eine Ganzheit genialer Prosa erzeugt.

Franzobel gab bereitwillig über die Hauptfragen Auskunft, die das Buch aufwirft.

"Der Arbeitstitel des Romans war 'Freaks'. Jeder hat sein eigenes Wertesystem; seine eigene Verrücktheit, in der er lebt, und die absolut gesetzt wird. Wir sind gar nicht so leicht in der Lage, Menschen ernst zu nehmen. Wenn man diesen Alltagswahnsinn wirklich ernst nehmen würde, der sich abspielt, dann erschrickt man sehr."

Im Gegensatz dazu die fiktionale Realität, die den Konstruktivismus abstreitet.

"Der normale Mensch ist laut statistischem Jahrbuch. Es wird uns so eine Pseudonormalität durch das Werbefernsehen vorgespielt. Im Prinzip ist es so, dass diese Menschen in der Wirklichkeit nicht existieren. Ein Abziehbild des Kapitalismus, der nicht sein kann. Diese perfekten Leute, die dem Modus entsprechen, haben dann auch Probleme, weil die Haarspitzen gespalten sind usw. Es entstehen aus Winzigkeiten unheimliche Probleme, und sie sind genauso unglücklich wie alle anderen."

Faszinierend die Grundhaltung, die für sein Schreiben allgemein bestimmend ist.

"Es gibt viele Figuren (in dem Roman), die sich aus zwei oder drei Personen zusammensetzen. Oder zumindest gewisse Eigenschaften dieser Personen verkörpern. Und Bekannte von mir sind, von denen ich gewisse Dinge übernommen habe. Ich kann mich bis zu einem gewissen Grad recht gut in die Perspektiven der Figuren hineinversetzen. Weil es schwer ist, über das Klischee hinauszukommen, das eine Haltung hat, muss man die Personen ernst nehmen und auch wieder nicht ernst nehmen. Das ist so ein komischer Mittelweg. Ich schreibe immer so, dass ich in die Leute hineinschlüpfe. Ein Ich gibt es in meinen Prosatexten eigentlich überhaupt nie."

Von entscheidender, das Buch voll durchdringender Intensität, sind die sehr kontroversen Themen Katholizismus und Sexualität, die wie Querschläger einander ergänzen.

"Ich bin sehr unbefangen mit dieser Religion aufgewachsen und aber doch sehr durchdrängt, weil es in Österreich präsent ist. Schon im Klassenzimmer hängt der Gekreuzigte, der halbnackte Gekreuzigte. Man entkommt dem nicht. Glauben ist andererseits eine Sache, die ich sehr bewundere. Ich bewundere Menschen, die sich hingeben können; bin aber selbst dazu nicht wirklich in der Lage. Dazu bin ich zu skeptisch, dass ich es völlig akzeptieren könnte.
Wegen dieser Verbrechen, die geschehen sind im Namen der Kirche. Das System Glauben steht quasi über allen anderen Systemen, womit man mit Logik nicht wirklich ankommt.
Es handelt sich sozusagen um ein Übersystem, das für Menschen vielleicht nicht unwichtig wäre. Ich weigere mich, diese kirchlichen, katholischen Verrücktheiten oder Dogmen, die darauf hinauslaufen, dass nur die Kirche im Besitz der Wahrheit ist und bestimmt, was gemacht wird, anzuerkennen. Weil ich das aber selbst nicht so durchlitten habe, kann ich es ein bisschen witzig nehmen. Viele kleine Punkte in dieser heiligen Geschichte sind ja grotesk und absurd. Zum Beispiel mit der heiligen Agnes, der auf einmal die Haare wachsen, was wörtlich genommen wird.
Und dies mit der Sexualität zu verbinden. Es ist irgendwie so eine leichte Utopie, die mir vorschwebt. Von einer sinnlichen Religion oder religiösen Sinnlichkeit. Weil ja umgekehrt das Pornographische gegenwärtig kaum mehr etwas Verbotenes hat und total verkauft wird.
Die Sexualität hat kaum mehr ein Geheimnis oder etwas Heiliges, oder etwas, dem man mit Respekt begegnen könnte. Es ist reine Geschäftemacherei. Man geht raus auf die Straße und sieht sofort lauter Titten und nackte Ärsche, denen man nicht entfliehen kann, und die einem besonders als Mann den ganzen Tag versauen können.
Ich selbst bin auf dem Weg zu einem persönlichen Glauben und bemühe mich. Aber es ist so ein Individualglaube, der vielleicht buddhistisch ist. Ich denke mir oft: vielleicht hat der Glaube nur den Sinn, die Todesstunde zu überstehen. Dafür ist er natürlich sehr gut.
Es scheint mir so, als ob die Menschen, um so näher sie dem Alter kommen, wo der Tod in Aussicht steht, gläubiger werden."

Ein Wagnis, das er mit unglaublicher Leichtigkeit zu meistern scheint, sind die zahlreichen Tabubrüche, deren Überwindungsmöglichkeit, ja Sublimierung er exakt definiert.

"Es bereitet mir keine Wahnsinnsprobleme, eine Leichenschändung niederzuschreiben. Ich schreibe das im Moment, imaginiere es; und das ist ja nicht wirklich Realität; es ist so eine Art Ersatzrealität. Ich habe schon ziemlich viele Horrorfilme gesehen und Bücher über Massenmörder gelesen. Aus einer gewissen Neugier heraus, weil ich das ganz extrem finde, tue ich mir das an. Beispiel Holocaust: Alle Schranken jeglicher Moral fallen weg; dann passieren absolut schreckliche Dinge, die man in einem normalen Denksystem nicht mehr fassen kann. Wenn man die anerzogene Moral wegklappt, die man hat, dann sinkt alles ins Bodenlose. Und dem Mechanismus, der hier mitspielt, bin ich irgendwie auf der Schliche.
Und wenn diese anerzogene Moral wegfällt, dann kann man Untaten durchaus schreiben, ohne erstaunlicherweise viel dabei zu empfinden. Es existiert eine rein literarische Empfindung, die man braucht, weil sonst würde literarisch nichts funktionieren. Es bekommt eine Kälte der Beobachtung, als wäre man ein Insektenforscher."

Eine Voraussetzung dafür, dass "Scala Santa" auf ungewöhnliche Weise mit Bibelstellen korrespondiert, ist die sehr persönliche Sichtweise Franzobels die Heilige Schrift betreffend.

"Man sagt nicht umsonst, dass die Bibel das Buch der Bücher ist. Sie ist, so finde ich, literarisch unheimlich interessant. Die Rosenzweig-Buber-Übersetzung ist literarisch ganz besonders kräftig. Diese ganzen Genealogien, die am Anfang vorkommen - über 100.000 Geschlechter; das hat etwas von moderner Poesie, von konkreter Poesie. Es ist auch ein Abenteuerbuch, weil die Bibel unheimlich dicht ist. Leute werden erschlagen, Städte vernichtet; es passieren einfach sehr viele Geschichten. Das finde ich insgesamt sehr ergiebig. Ich bin damit aufgewachsen und habe viel davon mitbekommen, lese aber eher peripher in der Bibel; nicht unbedingt regelmäßig. Wobei mich das Alte Testament irgendwie mehr fasziniert als das Neue."

Während der Roman über weite Strecken in Wien angesiedelt ist, spielt er sich schlussendlich in Rom ab, wo sich ja auch die Scala Santa befindet. Alles verdichtet sich zu einer gigantischen, an verrückte Erlösung gemahnenden Orgie, die auf den Stufen der Scala Santa ihr Ende findet und die Buße in ein Schauspiel des Irrsinns verwandelt.

"Einen Teil des Buches schrieb ich in Rom. Ich war dort etwa dreieinhalb Monate. Rom ist für mich eine sehr faszinierende Stadt, die von einer Doppelmoral zeugt. Auf der Scala Santa sind ja wirklich die Gläubigen, die dort unheimlich Buße tun; ganz emphatisch und inbrünstig; man nimmt ihnen das auch ab und bewundert, wie sie ganz enthusiastisch die Stufen hinaufbeten. Und dann sieht man andererseits doch, wenn sie die Nebenstiegen runtergehen, dass sie sich die Krawatte richten und für den nächsten Seitensprung bereit sind. Die Doppelmoral ist, so denke ich, in Italien ziemlich extrem. Andererseits war ich vor kurzem in Polen. Und da hat mich richtiggehend der Schlag getroffen. Ich war in Krakau, wo der Papst herkommt. In den Kirchen dort knien ständig mindestens 50 Menschen, so scheint es, sowohl am Tag als auch in der Nacht am Steinboden und beten ganz inbrünstig zum (Seiten-)Altar hin. Und auch junge Leute; quer durch alle Schichten. Das war für mich sehr faszinierend ...
Mit dem Begriff der Buße hat es der Katholizismus immer sehr gut verstanden, sich die Leute untertan zu machen. Ich glaube nicht an die Sünde, da es sich hier um einen sehr fragwürdigen Begriff handelt. Man kann sicher auch bewusst sündigen; aber meist sündigt man nicht bewusst, sondern man wird irgendwie zu einer Handlung getrieben. Der extreme Katholizismus arbeitet sehr viel mit Verboten. Und alles, was verboten ist, wird ja besonders reizvoll. Die Versuchung kann da schon sehr stark sein."

Wenngleich Franzobel der Ansicht ist, dass es eine Quintessenz nicht geben kann, die das Buch auflöst und erklärlich macht, da sich dadurch die Schreibarbeit selbst sozusagen ad absurdum führen würde, ist es ihm doch ein Anliegen, dem Leser einiges an Nachdenken mitzugeben.

"Die Umfragung der Werte. Dass man nicht alles glaubt, was man vorgesetzt bekommt. Und auch die Hinterfragung des Kapitalismus, der sehr dominant ist. Oder das Suchen nach einer Lebenssinndefinition. Es wäre gut, wenn das die Leser aufnehmen würden und dann vielleicht die Realität anders wahrnehmen könnten. Das ist so ein leichter, poetischer Rausch für mich, der versucht, die Welt anders zu sehen. Das ist es, das sich in mir abgespielt hat. Ich habe die Wirklichkeit selber anders wahrgenommen."

Eine unheimlich interessante Geschichte rundete das Gespräch um "Scala Santa" herum ab. Es ging um die Frage, welche Motivation Franzobel hatte, dieses so erschreckende und gleichzeitig aufrüttelnde Werk zu schreiben; so viel Konzentration aufzuwenden, um den Restirrsinn darzustellen, der neben der Suche nach Geschlechtspartnern die Figuren umkreist und letztlich vernichtet.

"Die Ausgangssituation war zunächst einmal, die "Mutzenbacher" neu zu schreiben. Ich habe die "Mutzenbacher" gelesen, und bin darauf gekommen, dass das Buch eine einzige Anstiftung zum Kindesmissbrauch ist. Weil die Josefine Mutzenbacher im Buch nur zwischen sechs und zwölf Jahre alt ist. Parallel dazu habe ich Erfahrungsberichte von einer multiplen Persönlichkeit gelesen, die vergewaltigt worden ist. Es hat mich von der Hirnforschung her wahnsinnig interessiert, dass sich irrsinnig viele Persönlichkeiten in ihr entwickelt haben. Sie hat nicht mehr gewusst, wer sie selbst ist, und was die einzelnen Menschen in ihr tun. Die Eine hat Rechnungen gemacht und die Andere den Briefverkehr erledigt. Die Dritte ist arbeiten gegangen. Die Vierte hat die Beziehung mit dem Mann bestritten. Sie ist aufgewacht von einer Person in die andere und hatte dann plötzlich andere Lieblingsgetränke. Sprang derartig in sich herum, dass sie nie wirklich bei sich war. Es war mir völlig neu, dass es so etwas wirklich gibt. Und diese Dinge miteinander zu verbinden, war die Ausgangsschreibmotivation."

Franzobel zeigte sich sehr kooperativ. Der Abend schritt in rasendem Tempo fort, was den Autor nicht daran hinderte, weitere Fragen zu beantworten, die auf ihn ungebrochen niederprasselten.
Diese fröhliche Bereitschaft machte einen besonderen Eindruck auf mich und soll somit entsprechend gewürdigt werden. Nunmehr bewegten wir uns von seinem genialen Werk fort, um auf teils allgemeine, teils persönliche Komponenten zu sprechen zu kommen.

An dem Roman schrieb er in Etappen, sodass er immer wieder nach zwei bis drei Monaten intensiver Arbeit daran wiederum zwei bis drei Monate Pausen einlegte. Insgesamt hielt diese Schaffensperiode drei bis vier Jahre an. Allerdings ist er selbst während der zwischenzeitlichen Ruhezeiten, in denen er sich innerlich zu sammeln versucht, keineswegs untätig, sondern erledigt jene kleineren Projekte, die (für einen Meister der Sprache wie ihn) nur wenig beschwerlich sind. So verfasst er Theaterstücke und Essays.
Die Protagonisten Kafka und Phettberg ließ er auf der Bühne erscheinen. Der persönliche Bezug zu diesen so verschiedenen Menschen besteht darin, dass er die Möglichkeiten einer Identifikation erwog. Ihn interessiere der Phettberg und Kafka in uns selbst. Wobei er die Person Kafka in ein positives Licht rückte und Phettberg einen Erlöserstatus zuerkannte.

Franzobel ist begeisterter Freizeitfußballer, der dieses Hobby mit einigen Gleichgesinnten teilt. Es ist ein herrliches Mittel zum Stressabbau. Vor mittlerweile einigen Jahren schrieb er einen Essay, der sich mit der Tatsache auseinandersetzt, dass die Vorlieben der Menschen immer wieder Veränderungen unterworfen sind; nur der Lieblingsfußballverein, der schon von Kindheit an als ein beständiger Teil der Lebenskultur des (in erster Linie) Mannes gilt, bleibt als bedeutende Konstante der fortschreitenden inneren Entwicklung erhalten. Franzobel selbst mutierte schon im Alter von 10 Jahren zu einem Fan der Mannschaften Ipswich, Kaiserslautern und Rapid, da es in seiner Hauptschulklasse verpönt war, diesbezüglich keine Begeisterung zu zeigen. Selbst jetzt interessiert ihn nach wie vor, welche Ergebnisse diese Fußballteams erzielen. Neben dem Fußball ist ja seine Vorliebe für das Radfahren längst kein Geheimnis mehr.

Die Farbe Schwarz, der er mittels eines Essays (geschrieben anlässlich einer Ausstellung, die in Graz im Jahre 1999 stattfand) ein literarisches Denkmal setzte, bevorzugt er zwar bei seiner Kleidung, da sie sehr neutrale Eigenschaften besitze; grundsätzlich tendiert er aber eher zu orange, was sich wohl als Überraschung erweist; schwarze Wände oder schwarze Möbel in seiner Wohnung könne er sich überhaupt nicht vorstellen; und er trinkt auch keinen schwarzen Kaffee.

Den neuen Medien gegenüber ist er noch ein wenig kritisch eingestellt. Da er seit kurzem einen Internetanschluss hat, ist er grundsätzlich interessiert. Das Buch hat für ihn jedoch oberste Priorität. Der Flut von Texten im Internet ist ihm nicht ganz geheuer. Irgendwie kommt dabei letztlich doch immer das Gleiche heraus. Er ist, wie er mit einem verschmitzten Lächeln zugibt, wohl traditionell eingestellt, was sich aber ohne Weiteres ändern könnte. Er findet es schon traurig genug, dass der Stellenwert des Buches in der heutigen Zeit ohnehin mehr und mehr absinkt. Und die meisten literarischen Texte im Internet werden ohnehin nicht gelesen.

An einen Erfolg beim Bachmann-Preis hätte er nie gedacht. Mit totaler Konsequenz, so findet er, könne es disziplinierten Autoren gelingen, irgendwann einmal Anerkennung zu finden. Es gibt immer wieder kleine Chancen, die man wahrnehmen könne. Sozusagen langsam die Sprossenleitern des äußeren Erfolges hinaufkletternd. Wobei er darauf verwies, dass der Gewinn bei einem Literaturwettbewerb eine wichtige Voraussetzung darstelle, da sich ansonsten die Aufmerksamkeit der Menschen, die literaturförderlich agieren, kaum auf unbekannte Autoren richten werde.

Sehr ermunternd ist seine Einstellung zu literarischen Vorbildern und der Literatur im Allgemeinen.

"Eigentlich sind alle Autoren Vorbilder. Was Romane anlangt, finde ich Doderer relativ spannend. Dem glückt es gut, einen großen Roman zu schreiben und dabei nicht trivial zu sein. Es ist sehr schwierig, sprachbewusst die Moderne einzubeziehen. Die Erfahrung 'Zweiter Weltkrieg' zum Beispiel. Man kann jetzt nicht mehr so schreiben, wie es Dostojewski praktiziert hat. Diese Zeiten sind vorbei. Und neue Formen von Prosa zu finden, ist den Wenigsten geglückt. Sowohl der "Mann ohne Eigenschaften" als auch der "Ulysses" sind für mich eher gescheitert. Man liest das, weil man es lesen muss; aber nicht unbedingt, weil man da durchwill. Das soll aber keine Beleidigung sein. Diese Romane sind für mich einfach keine Lösung; vielleicht manchmal im Detail; aber nicht in ihrer Gesamtheit. Und sind in diesem Sinne keine Vorbildromane. Wie gesagt; diese Kombination glückt selten. Ich denke mir, dass in der Literatur alles irgendwie schon einmal da war, aber durch den eigenen Stil doch wieder neu wird."

Die Diskussion, die anlässlich der Literaturkritik entbrannte, der er als Autor natürlich ausgesetzt ist, erwies sich als besonders konstruktiv, und darf darum in diesem Porträt als wichtiger Punkt nicht fehlen.

"Es ist ein unheimlicher Ansporn, wenn man verrissen wird. Mich ärgert das wahnsinnig. Man hat den Eindruck, als wäre es ein Angriff auf die eigene Person. Man wird sozusagen vernichtet. Alles, was man tut, gilt plötzlich nichts; ein völliger Fehlschlag. Die Kritiker werden dann oft bösartig. Das ist für mich aber schon eher eine Motivation. Ich schneide mir diese Kritiken aus, bewahre sie auf und vergesse sie dann wieder. Wobei ich jetzt das Glück habe, ziemlich viel kritisiert zu werden. Es ist immer so: Wenn die nächste Kritik kommt, ist die vorherige vergessen. Ganz am Anfang war es mir wichtiger, verrissen zu werden. Dadurch habe ich bemerkt, dass ich wahrgenommen werde. Ich glaube nach wie vor, dass ein Verriss immer noch besser ist, als gar nicht vorzukommen, weil Kritiken ohnehin von wenigen Menschen gelesen werden. Man überschätzt die Kritik ziemlich. Die meisten Menschen lesen ja ohnehin nur darüber hinweg. Ich merke es ja bei mir selbst; ich schaue mir erst mal an, um wen es geht und lese dann oft nur den Anfang und den Schluss."

Franzobel gibt gern Interviews. Es passiert nur äußerst selten, dass er eines verweigern würde, und das nur dann, wenn es ihm zu viel wird. Er sprach wie ein Freund, dem es Spaß macht, von sich und seiner Welt zu berichten. Ein Dichter, der in seinem eigenen Universum schwebt, dessen Expansion schon sehr weit fortgeschritten ist. Und der mit sehr viel Freundlichkeit andere Menschen in dieses Universum einlädt. Dies macht es für mich noch wichtiger und leichter, abschließend zu erklären, dass es Franzobel gemessen an seiner Sprachvirtuosität verdient, als Ikone der österreichischen Literatur der Gegenwart bezeichnet zu werden.