Der Misanthrop No. 13: "Verfemte Lyrik - Vom Elend des Dichters"

"Zieh dich dann vor allem in dich selbst zurück, wenn du gezwungen wirst, unter vielen Menschen zu sein."

(Epikur)


Was hat Lyrik mit Religion und Politik zu tun? Ich meine, gewaltig viel! Geschichtsmächtige religiöse Mythen verklärten seit Anbeginn ihren überweltlichen Gehalt mit lyrischer Beredsamkeit. Despoten wünschten, ob ihrer verordneten Herrlichkeit, von Haus- und Hofdichtern mit erlesenen Wortblüten gehuldigt zu werden. Dergleichen Zauber- und Herrenkult ist zumindest in mitteleuropäischen Landen heute längst Geschichte, und ganz im Gegenteil, gilt neuerdings doch vielen der lyrische Ausdruck als geradezu zwanghaft elitär, als ein, dem nach Nivellierung strebenden Geist der Demokratie, Zuwiderhandeln. Volkstümliche Politiker lernen in eigens dafür geschaffenen Sprachseminaren sich verständlich auszudrücken, eine Praxis der Anpassung an eine Kultur der Sprachverkümmerung, die ihnen das Wahlvolk sodann mit johlender Gefolgschaft lohnt. Das allemal gegenwärtige Streben nach Gleichheit manifestiert sich zuweilen in zischenden Unlauten gegen jede Fasson gewählter Ausdrucksweise, als ob größtmögliche Derbheit und sprachliches Unvermögen der Menschheit letzte und allen gemeinsame Vision wäre.

Wie oft muss es gesagt werden? Der Dichter ist ein Narr, sein Treiben ist närrisch und sein Produkt dient der Ergötzung in romantisch besinnlichen Momenten. Ansonsten bediene sich der Mensch - eben auch der Dichter - des plumpen Wortes; zuviel des Pathos ist hohl, gestrig und faschistoid, zuviel Feingefühl ist lächerlich. Dem groben Gepolter ist zustimmender Applaus versichert, hingegen jenen, die beim Sprechen, in ihrem Ringen nach dem letztgültigen Begriff, suchend stammeln, ist allein spöttische Niedertracht gewiss. Freilich, die eigene Rede mit lyrischen Zitaten auszuschmücken mag zwar als chic gelten, ist solcherart doch vornehme Gesittung bewiesen, ansonsten wird Sprache jedoch einzig als Instrument zur rationalen Bewältigung von alltäglichen Lebensproblemen zur Anwendung gebracht, viel eher ein Mittel zur Verwaltung eindimensionaler Wirklichkeit denn zur Erschließung vielschichtiger Wahrheiten. Wer nach Schönheit und Differenz sucht wo allein Zweckorientierung gefragt ist, erklärt sich selbst zur Randnotiz im Weltgetriebe, will und muss wohl Lyriker sein. Und dieser ist einfach nur ein armer Tropf, ein Fremdkörper, der in Geselligkeit von Schwatzbasen ewig seinen Standort verkennt und das Schöne immer schon nur beschreibend offenbart, anstatt es sich in männlicher Tat untertan zu machen. Als Ausweg bleibt dem lyrischen Naturell allein noch der Rückzug in ein Refugium innerer Einsamkeit, eine melancholische Gebärde der Weltentsagung, die, mit Epikur gesprochen, sich vor allem auch immer dann empfiehlt, wenn man gezwungen ist unter vielen Menschen zu sein.

Was empfehle nun ich dem verfemten Dichter? Sei arrogant und misch dich ein! Ein Appell an die Tugend des Widerspruchs, denn zu schade wäre es um diese Welt, sie dem Menschen zu überlassen. Sprich zu ihnen in deinen Worten, selbst wenn du der Adressaten Unverständnis von Herzen zu meiden wünschest.

(Misanthrop; Juli 2003)