Der Misanthrop No. 10:

"Von der Dummheit des Menschen
gepeinigt, an einem heißen Sommertag"



"Wie schön wäre Wien ohne Wiener ..."

Die Welt ist zivilisiert, aber ihre Bewohner sind es nicht.
(Ortega y Gasset; aus: "Der Aufstand der Massen")


Was für ein widerlich heißer Sommertag heute wieder war. Ich begab mich hinaus in jenes Menschenmanifest, dessen unseliges Geschöpf auch ich wohl bin. Es glühte schon dieser ganze graue Asphalt, und dieses Glühen allüberall saugte mir die Seele aus dem Kadaver. Ja, ich hatte mit dem Fahrrad eine städtische Grünzone aufgesucht, um dort meiner Lust am Laufen zu frönen, dem Körper zur Freude, dessen höchste Lust die zwanglose Bewegung ist. Dort angekommen vergällte mir die Beobachtung menschlicher Dummheit den sonst so freundlich anmutenden Tag. Nicht dass ich nicht damit gerechnet hätte; überall wo es vor Menschen wimmelt, wimmelt es auch vor Dummheit. Doch diesmal gesellte sich zur Anschaulichkeit des dummen Menschen, ein schmerzlich empfundenes Mitgefühl mit der geschundenen Kreatur, konkret, mit den Hunden, die in brütender Hitze neben ihren radfahrenden oder rollschuhlaufenden Haltern mitlaufen mussten und sich dabei ihre kleine Hundeseele gleichsam aus dem Leib rannten. Manche wankten erst, andere waren schon am Zusammenbrechen. Es war grauenhaft anzusehen. Eine Rottweilerdame erzwang einen Stopp, entleerte sich auf den Weg und kroch dann in den nahen Schatten der Sträucher, die den Weg säumten. Die dumme Halterin fragte ihren ebenso dummen Gefährten, was sie jetzt denn tun solle? Das erledigte Tier verweigerte für's Erste jeden weiteren Schritt. Mehrmals mischte ich mich, gepeinigt von Mitleid, ein, gab mich als Veterinär aus und wies darauf hin, dass der Hund bereits einen ataktischen Lauf hätte, ganz offenbar nahe dran an einem Hitzeschlag sei, allein die Halter reagierten auf meine gutgemeinten Worte teils unverständig, teils hysterisch und hielten allesamt an der dummen Vorstellung vom Laufwunder Hund fest. Einige schlugen gar im Zorn auf ihr geknicktes Tier ein.

Mir scheint, gerade an heißen Tagen ist die Dummheit vernunftresistent wie sonst während des ganzen Jahres nicht. Und je länger ich diesem gnadenlosen Treiben der Menschenviecher zusah, desto mehr kochte in mir selbst der Zorn und ließ mich, eigentlich schon aus Verzweiflung über das doch Unabwendbare, weiterlaufen, was zuweilen einer Flucht vor all der Dummheit geglichen haben muss. Ich wollte nichts mehr sehen und wählte zu diesem Zwecke die einsamsten Routen, und wann immer ich auf diesen noch menschliche Sprachlaute vernahm, beschleunigte ich sofort meinen Lauf, um die Sprechenden nicht erblicken zu müssen. Hatte sich doch der Mensch für mich wieder einmal zur absoluten Abscheulichkeit ausgewachsen, die ich nun nur noch zu meiden wünschte.

Wer stundenlang ziellos dahinläuft hat Zeit zum Denken und so fragte ich mich, warum denn bloß so selten die Dummheit des Menschen thematisiert wird, und warum ihre Ächtung denn nicht von allen Titelseiten der Zeitungen verkündet wird? (Wo sie in einem gewissen Sinne zwar allemal präsent ist, jedoch eher zur Förderung denn zur Tilgung ihrer selbst.) Nichts ist auffälliger und menschlicher als die Dummheit, jener gleichzeitigen Abwesenheit von Denkarbeit und von Mitgefühl. Bei der Dummheit handelt es sich um ein typisch menschliches Merkmal, weil kein Tier ist dumm, bzw. dümmer als es seine Instinktsteuerung zulässt. Es ist doch so, dass Tiere instinktgesteuerte Wesen sind, deren Mehrleistungen in Summe als kreatürliche Intelligenz zu erachten sind und die unter Normalbedingungen nie unter ihr natürliches Maß abstürzen. Doch Dummheit, dieser tiefste Fall animalischer Weltgeworfenheit, die haftet allein dem Menschen an, dieser somit niedrigsten aller Kreaturen. Und das große Unglück unter dem alle Erdenwesen zu schmachten haben, ist, dass diese Dummheit weltbeherrschend ist und niemals davor zurückschreckt anderen, weniger dummen Lebewesen, Leid zuzufügen. Ja ist es letztlich nicht die Verübung dieser unwissentlichen Grausamkeiten, die des Menschen Dummheit erst so richtig manifest werden lässt?

Sich an diesem backofenheißen Tag flott zu bewegen, war natürlich schon der reinste Wahnsinn, und ich genoss meine Selbstprüfung nicht nur, sondern erlitt sie genauso. Zuweilen schwankte mein Körper und in dem Schweiß auf meiner Haut ertranken dutzende Mücklein, denen ich nicht mehr helfen konnte. Es war ein wahrlich mörderischer Trab, doch erlitt ich diese Tortur gerne und passte das Tempo den widrigen Umständen und meiner zusehends leidenden Verfassung an. Anders erging es den genötigten Hunden. Sie mussten das rücksichtslos flotte Tempo ihrer dummen Halter auf leichtläufigen Rädern mithalten, was bei diesen tropischen Außentemperaturen die reinste Qual gewesen sein muss. Wieder einmal verzweifelte ich am Menschen aus Mitleid mit der geschundenen Kreatur. Und so stand ich sodann, der schrecklichen Donauinsel in Höhe Nussdorf entflohen, hoch oben am Kahlenberg, böse auf dieses mit Österreichern überlaufene Wien herabblickend und stimmte mein liebstes Lied an: "Wie schön wäre Wien ohne Wiener ..."
Sie kennen doch sicher dieses schwarze Lied des Wiener Kabarettisten und Komponisten Georg Kreisler? Oder? "Schwärzer die Lieder nie klingen", bemerkte man einst zu seinen Liedtexten und belegte damals den Österreichischen Rundfunk mit einem Sendeverbot dazu. Ja ja, des Menschen Dummheit pflegt es nicht ihr Spiegelbild zu betrachten, und diese Verweigerung gewinnt zuweilen an Methode, die man Selbstzensur nennen könnte. Ist es doch der Charakter dieser Dummheit, jede Selbstreflexion tunlichst zu meiden und in ewiger Selbstgenügsamkeit zu schwelgen, weshalb sie ewig nicht aussterben will. Machen wir uns nichts vor, wir müssen auf Erden wohl noch ein wenig gemeinsam mit ihr ausharren. Solange es Menschen gibt, die weder denken noch mitfühlen, wird auch der Begriff der Dummheit seine Berechtigung im Zusammenhang mit der Wesensbetrachtung des Menschen haben. Dies sei im Zorne gesprochen und ist somit gesagt.


(misanthrop; am 28. Juli 2002)


Und, lieber verehrter Leser, den Georg Kreisler, der am 18. Juli 2002 seinen achtzigsten Geburtstag feierte (es sei ihm hiermit dazu gratuliert), möchte ich Ihnen wärmstens ans Herz legen. An Tagen wie diesen, wo jede anständige Empfindung zur Verzweiflung getrieben wird, kann Ihnen Kreisler behilflich sein, Ihre Nachtruhe trotz des aufgewühlten Gemüts doch noch zu erlangen. Finden Sie Ihren Frieden mit dem abgründigen Humor von Georg Kreisler, indem er Sie das Bedauernswerte zu belächeln lehrt. Mir hat er schon über so manche Bitterkeit hinweggeholfen: "Wie schön wäre Wien ohne Wiener ..."


"Die alten bösen Lieder."
2 CDs. Zwei Stunden Georg Kreisler pur.
Hörsturz-Booksound, 1997.
ISBN 3-9020-2785-1.
ca. EUR 33,90.
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