(...) Aber im
selben Augenblick erschrecke ich selbst bis in die Nieren: ein schwarzes
Gespenst biegt lautlos um die Ecke des Affenkastens und vor uns steht
eine hagere Gestalt; gelbe Hände raffen einen schäbigen schwarzen
Tuchmantel und spielen unruhig unter den Falten mit einer deutlich sich
abzeichnenden Waffe, wohl einem kurzen Dolch; darüber ein bleicher
Vogelkopf, in dem gelbe Adleraugen lodern -: der Kaiser!
Sein fast schon zahnloser Mund ist dünn gefaltet. Nur die schwere
Unterlippe hängt schlaff und bläulich über dem harten Kinn. - Sein
Raubvogelblick überfliegt uns. Er schweigt.
Mein Kniefall scheint ihm eine Sekunde zu spät zu kommen. Dann aber, als
wir geneigten Hauptes vor ihm auf den Knien verharren, macht er eine
wegwerfende Handbewegung:
"Dummes Zeug. Steht auf, wenn ihr was rechtes seid. Andernfalls schert
euch und bestehlt mich nicht um meine Zeit!"
Das sind die Begrüßungsworte des erhabenen Rudolf.
Ich beginne meine lang zuvor sorgfältig bedachte, wohlgefaßte Rede. Ich
komme kaum zur Erwähnung der gnädigen Fürbitte meiner mächtigen
Monarchin, da unterbricht der Kaiser schon wieder mit Ungeduld:
"Lasset sehen, was ihr könnt! Grüße der Potentaten bestellen mir meine
Gesandten bis zum Überdruß. Ihr behauptet, die Tinktur zu besitzen?"
"Mehr als dies, Majestät."
"Was: mehr?" faucht Rudolf. "Frechheiten bewirken bei mir nichts!"
"Ergebenheit, nicht Übermut, läßt uns unsere Zuflucht zu der Weisheit
des Hohen Adepten nehmen ...."
"Einiges nur ist mir vertraut. Genug, um euch vor Betrug zu warnen!"
"Ich suche nicht den Vorteil, Majestät! Ich suche die Wahrheit."
"Wahrheit?!" - der Kaiser hüstelt ein böses Greisenlachen. - "Bin ich
ein Schwachkopf wie Pilatus, um euch nach Wahrheit zu fragen?
Ich will wissen: habt ihr die Tinktur?"
"Ja, Majestät."
"Her damit!"
Kelley drängt vor. Er trägt die weiße Kugel aus Sankt Dunstans Grab in
einem Lederbeutel tief in seinem Wams verborgen:
"Euer allmächtige Majestät wolle uns doch nur versuchen!" - beteuert er
gröblich.
"Wer ist das? Euer Laborant wohl und Geisterseher?"
"Mein Mitarbeiter und Freund: Magister Kelley", antworte ich, im
Innersten spürend, wie Gereiztheit in mir aufkeimt.
"Quacksalber seines Zeichens, wie ich sehe", zischt der Monarch. Sein
uralter, von allzuvielem Durchschauen müde gewordener Geierblick streift
kaum den Apotheker. Dieser knickt ein wie ein gezüchtigter Gassenjunge
und schweigt.
"Erzeige uns die Majestät die Gnade, mich anzuhören!" beginne ich
nochmals.
Fast wider Erwarten winkt Rudolf. Der graue Diener bringt einen kahlen
Feldstuhl herbei. Der Kaiser setzt sich und gibt mir kurz nickend
Erlaubnis.
"Euer Majestät fragen nach der Tinktur der Goldmacher. Wir besitzen die
Tinktur; aber wir besitzen und - wir hoffen zu Gott, wir sind dessen
würdig - wir erstreben mehr."
"Was wäre mehr als der Stein der Weisen?" - der Kaiser schnippt
mit den Fingern.
"Die Weisheit, Majestät!"
"Seid ihr Pfaffen?"
"Wir ringen um die Würde der Adepten, in deren Zahl wir die Majestät
Kaiser Rudolfs wissen."
"Mit wem ringt ihr da?" spöttelt der Kaiser.
"Mit dem Engel, der uns befiehlt."
"Was ist das für ein Engel?"
"Es ist der Engel ... des westlichen Tores."
Der Geisterblick Rudolfs erlischt hinter gesenkten Lidern:
"Was befiehlt der Engel?"
"Die Alchimie beider Naturen: die Transmutation des Sterblichen in das
Unsterbliche. Den Eliasweg."
"Wollt ihr auch wie der alte Jude auf dem feurigen Wagen in den Himmel fahren? Das hat mir schon
mal einer vorgemacht. Er hat sich dabei den Hals gebrochen."
"Der Engel lehrt uns keine Gauklerstücke, Majestät. Er lehrt uns die
Bewahrung des Leibes übers Grab hinaus. Hierfür kann ich der Adeptschaft
der kaiserlichen Majestät Beweis und Zeugnis anbieten."
"Ist das alles, was ihr könnt?" - der Kaiser scheint einzuschlafen.
Kelley wird unruhig.
"Wir können noch mehr. Der Stein, den wir besitzen, tingiert jegliches
Metall --"
Der Kaiser schnellt vor: "Beweis!"
Kelley nestelt seinen Beutel los.
"Der großmächtige Herr kann befehlen. Ich bin bereit."
"Du scheinst mir ein recht waghalsiger Bursche zu sein, du! Aber
offenbar von hellerem Verstand als der da!" - der Kaiser deutet auf
mich.
Würgende Kränkung droht mich zu ersticken. Kaiser Rudolf ist kein Adept!
Er will Gold machen sehen! Der Anblick des Engels
und seiner Zeugnisse, das Geheimnis der Unverweslichkeit ist seiner
Seele fremd oder ein Gespött. Geht er den Weg der linken Hand? -- Da
sagt der Kaiser plötzlich:
" Wer mir unedles Metall in edles verwandelt, daß ich es mit Händen
greifen kann, der mag mir nachher von Engeln erzählen. Den
Projektenmacher sucht weder Gott noch der Teufel heim!"
Mir gibts einen Stich, ich weiß nicht warum. - Jetzt hebt sich der
Kaiser rascher und straffer, als der kränklichen Greisengestalt
zuzutrauen schien. Der Hals reckt sich vor. Der Geierkopf wendet sich
beutesichtend, ruckartig nach allen Seiten und nickt der Wand zu.
Eine Tapetentür öffnet sich plötzlich vor uns.
Wenige Augenblicke darauf stehen wir in der kleine Versuchsküche Kaiser
Rudolfs. Sie ist mit allem Gerät wohl versehen. Der Tiegel harrt beim
gut unterhaltenen Kohlenfeuer. Rasch ist alles bereit. Der Kaiser selbst
tut mit werkgewohnter Hand den Dienst des Laboranten. Er wehrt mit
heftiger Drohung jedem helfenden Zugriff. Sein Mißtrauen ist grenzenlos.
Die Maßregeln, die er mit aller Umsicht trifft, müssen einen Betrüger
zur Verzweiflung bringen. Es ist unmöglich, gegen den Kaiser falsch zu
spielen. Plötzlich wird leiser Waffenlärm hörbar. Vor der Tapetentür,
ich fühl es, lauert der Tod .... Rudolf macht kurzen Prozeß mit landfahrenden Adepten, die ihm
Schwindeleien aufzutischen wagen.-
Kelley erbleicht, schaut mich hilfesuchend an und zittert heftig. Ich
fühle, er denkt: Was, wenn jetzt das Pulver versagt?! Ihn packt die
Landstreicherangst ...
Blei zischt im Tiegel. Kelley schraubt die Kugel auf. Argwöhnisch
beobachtet ihn der Kaiser. Er befiehlt die Kugel in seine Hand. Kelley
zögert; ein Schnabelhieb des Adlers trifft ihn:
"Ich bin kein Dieb, Tabulettkrämer! Gib
her!"
Rudolf prüft, sehr lang, sehr genau, das graue Pulver in der
Kugelhälfte. Sein höhnisch gekniffener Mund lockert sich langsam. Die
bläuliche Unterlippe fällt aufs Kinn. Der Geierkopf bekommt einen
nachdenklichen Ausdruck. Kelley bezeichnet die Menge der Dosis. Der
Kaiser befolgt jede Weisung gewissenhaft und pünktlich wie ein an
Gehorsam gewohnter Laborant: er stellt seine Bedingungen gerecht. --
Das Blei fließt. Nun tingiert der Kaiser. Jetzt ist auch schon die
Projektion kunstgerecht vollendet: das Metall fängt an zu brodeln. Der
Kaiser gießt die "Mutter" ins kalte Wasserbad. Er hebt mit eigener Hand
den Klumpen ans Licht: rein schimmert das Silber. (...)
(aus "Der Engel vom westlichen Fenster" von Gustav Meyrink)