(...)
»Sie
verzeihen, mein Herr, kennen Sie die Dame vielleicht, die die Venus
spielt?«
»O ja, ein wenig«, gab Daguenet überrascht
und zögernd zur Antwort.
»Dann
wissen Sie möglicherweise auch, wo sie wohnt?« Die
Frage war so plump
und geradezu gestellt, daß Daguenet große Lust
verspürte, sie mit einer
Ohrfeige zu beantworten. »Nein«, versetzte er
trocken und wandte den
Kopf zur Seite. Der blonde Jüngling begriff, daß er
eine
Unschicklichkeit begangen hatte, errötete noch mehr und blieb
in großer
Bestürzung sitzen.
Jetzt erschallten die drei Schläge; der letzte
Akt begann. Die Claque beklatschte die Dekoration, die eine in einer
Silbergrube ausgehöhlte Grotte des Ätna darstellte,
deren Seitenwände
hell wie neue Talerstücke schimmerten; im Hintergrund stand
Vulkans
Schmiede, deren Esse den Eindruck eines niedergehenden Gestirns machte.
Diana verständigte sich mit dem Gott über die im
zweiten Akt
offengebliebenen Differenzen; Vulkan sollte eine Reise erheucheln, um
für Venus und Mars freie Bahn zu lassen. Kaum befand sich
Diana allein,
als Venus erschien. Ein aufgeregtes Beben durchlief den Saal. Nana war
nackt. Sie zeigte sich in ihrem Kostüm mit ruhiger,
bewußter Kühnheit,
des Allvermögens ihrer Reize gewiß. Ein loser
Gazeschleier umhüllte
sie; ihre vollen Schultern, ihr Amazonenbusen unter dem leichten
Schleier, der die Farbe weißen Schaumes hatte, schimmerten
hindurch.
Die den Fluten entstiegene Venus, deren schönste Bekleidung
ihr
wallendes Haar ist, zeigte sich hier dem Publikum. Plötzlich
erwachte
in dem kindisch-gutherzigen Geschöpf das Weib, das mit seinem
unruhigen
Drang all das Unbekannte der Begierde erschließt und die
Weiblichkeit
triumphieren läßt. Nana lächelte, aber ihr
Lächeln war jenes scharfe,
spitze Lächeln des Männerherzen aussaugenden Vampirs.
– »Alle Teufel!«
wandte sich Fauchery an seinen Freund.
Mars eilte inzwischen mit
seinem wallenden Federbusch zum Rendezvous herbei und stand jetzt
zwischen den beiden Göttinnen. Nun folgte eine Szene, die
Prullière mit
aller ihm eigenen Finesse spielte; geliebkost von Diana, die noch eine
letzte Anstrengung an ihn verschwenden wollte, bevor sie ihn dem Vulkan
überlieferte, gestreichelt von Venus, die durch die Gegenwart
ihrer
Rivalin noch mehr gereizt wurde, überließ er sich
den süßen
Empfindungen mit dem glückstrahlendsten Gesicht und
blähte sich auf wie
der Vogel im Hanfsamen. Ein großes Trio bildete den
Schluß der Szene,
und in diesem Augenblick trat eine Schließerin in die Loge
von Lucy
Stewart und warf zwei ungeheure Buketts von weißem Flieder
auf die
Bühne. Man applaudierte; Nana und Rose Mignon knicksten,
während
Prullière die Buketts aufhob. Ein Teil der im Parkett
sitzenden
Personen blickte lächelnd zu der Loge hinauf, in welcher
Steiner und
Mignon saßen. Der Bankier, dem das Blut ins Angesicht
getreten war,
bebte am ganzen Körper, sein Kinn zitterte konvulsivisch,
gerade als ob
ihm etwas in der Kehle steckengeblieben wäre.
Was nun folgte, war
dazu angetan, das Publikum vollends zu packen. Diana war
wütend
davongerast. Gleich darauf rief Venus, die sich auf eine Moosbank
hingestreckt hatte, Mars an ihre Seite. Noch niemals hatte man eine
glühendere Verführungsszene dem Publikum zu zeigen
gewagt. Nana, die
ihre Arme um Prullières Hals schlang, zog ihn zu sich
nieder, als
plötzlich Fontan in einem trefflich nachgeahmten Anfall toller
Wut, mit
dem glühend erregten Gesicht des gefoppten Ehemanns, der seine
Frau auf
frischer Tat überrascht, im Hintergrund der Grotte erschien
und das
berüchtigte Eisenmaschennetz wild in den Händen
schwang. Ein Moment
noch, dann ein geschickter Ruck, und Venus und Mars waren in der
Schlinge gefangen; das Netz umschlang sie, und bewegungslos
mußten sie
in ihrer verliebten Positur verharren.
Ein Gemurmel wurde laut
und schwoll an gleich einem aufsteigenden Seufzer. Ein paar
Hände
klatschten, sämtliche Augengläser und
Operngläser waren auf Venus
gerichtet. Allmählich hatte Nana vom Publikum Besitz
ergriffen,
jedermann war ihr jetzt untertan. Das Fluidum, das von ihr ausging,
breitete sich mehr und mehr aus und erfüllte den Saal. In
diesem
Augenblick atmeten auch ihre leisesten Gebärden Wollust; eine
einzige
Bewegung ihres kleinen Fingers ließ jedes Männerherz
stillstehen ...
Fauchery sah vor sich den jungen Bruder Studio, den die Flammen der
Leidenschaft von seinem Fauteuil emporhoben. Er fühlte eine
neugierige
Regung, den Grafen Vandeuvres zu betrachten, der bleich mit
zusammengekniffenen Lippen auf seinem Sessel lehnte; dann glitt sein
Blick auf den dicken Steiner, dessen Gesicht in apoplektischer
Röte
glühte; dann auf Labordette, der mit dem Erstaunen eines eine
vollendete Stute bewundernden Pferdehändlers sein Monokel ins
Auge
drückte; endlich auf Daguenet, dessen Ohren flammten und im
Gefühl
befriedigten Sinnenrausches sich bewegten. Dann trieb ihn ein
instinktartiges Gefühl, vorwärts zu schauen, und er
blieb einen Moment
lang verdutzt über das, was sein Blick in der
gräflichen Loge der
Muffats erschaute: hinter der Gräfin, die blaß und
ernst aussah,
richtete sich die Gestalt des Grafen empor, dessen Mund offenstand.
Sein marmornes Angesicht war rot gefleckt, und neben ihm tauchten aus
dem Schatten die trüben Augen des Marquis de Chouard auf, die
sich zu
einem Paar phosphoreszierender Katzenaugen umgewandelt hatten.
Nana,
die kühne Nana, blieb angesichts dieses verblüfften
Publikums,
angesichts dieser fünfzehnhundert zusammengepferchten
Personen, die
abgespannt, nervös erregt nur für das seinem Ende
zuneigende Schauspiel
Sinn hatten, Nana blieb Siegerin. Der Vorhang sank über die
Apotheose:
Der Chor der Gehörnten lag auf den Knien, einen Dankeshymnus
zu Venus
emporsendend, die in ihrer souveränen Nacktheit
lächelte und zu
unsagbarer Größe emporwuchs.
Die Zuschauer waren bereits
aufgestanden und eilten nach den Ausgangstüren. Man rief die
Autoren,
und inmitten der donnernden Bravorufe erfolgten zwei Hervorrufe:
»Nana!
Nana!« Dieser Schrei packte die Menge wie rasend. Dann wurde
es
finster, obwohl der Saal noch nicht leer war, die Lampenreihe auf der
Bühne verlosch, der Kronleuchter wurde heruntergeschraubt,
lange
Ziehdecken aus grauer Leinwand glitten über die Logen,
verhüllten die
Vergoldungen der Galerien. Der Saal, der eben noch so heiß,
so lärmend
gewesen war, versank plötzlich in einen schweren, dumpfen
Schlaf, und
ein Moder- und Staubgeruch stieg auf. An der Brüstung ihrer
Loge lehnte
die Gräfin Muffat. Sie wartete, bis die Menge sich verzogen
hatte, und
schaute, in ihren Pelz gehüllt, nieder in die langsam
eintretende
Finsternis des Saales. Fauchery und Faloise hatten, um den Ausgang
beobachten zu können, eiligst den Saal verlassen. Das
Vestibül entlang
bildeten die Herren Spalier, während die Doppeltreppe hinab
sich
schrittweise zwei endlose, regelrechte geschlossene Reihen bewegten.
Steiner, den Mignon mit sich zog, war einer der ersten gewesen, der die
unteren Räume erreichte. Der Graf von Vandeuvres kam mit
Blanche de
Sivry am Arm. Einen Moment lang schienen Gaga und ihre Tochter
verlegen, daß sie eines männlichen Schutzes
entbehrten, aber Labordette
eilte herbei und besorgte ihnen einen Wagen, dessen Tür er
galant
hinter ihnen schloß. Niemand aber hatte Daguenet das Theater
verlassen
sehen. Als der kleine Bruder Studio mit glühenden Wangen,
entschlossen,
vor der Schauspielertür zu warten, nach der Passage des
Panoramas
rannte, deren Gitter er aber verschlossen fand, streifte Satin, die auf
dem Gehsteig stand, seine Beine mit ihren Röcken; aber er
schob sie,
von Verzweiflung gepackt, ohne weiteres beiseite und verschwand dann,
von Liebe getrieben und fast in Tränen über seine
Unbeholfenheit.
Verschiedene Herren steckten sich behaglich Zigarren an und entfernten
sich, die Melodie »Wenn Venus abends Pflaster
tritt« vor sich her
summend. Satin war nach dem »Café des
Variétés« zurückgegangen, wo
Auguste ihr gestattete, die von den Gästen
übriggelassenen Zuckerstücke
zu verzehren. Ein großer dicker Mann, der sehr erhitzt aus
dem Lokal
trat, nahm sie endlich in den Schatten des langsam einschlafenden Paris
mit sich. Noch immer aber kamen Leute aus dem Theater. Faloise wartete
auf Clarisse; Fauchery hatte versprochen, Lucy Stewart mit Caroline
Héquet und ihrer Mutter nach Hause zu bringen. Sie kamen,
nahmen fast
eine ganze Ecke des Vestibüls in Beschlag und lachten laut
auf, als die
gräflichen Muffat jetzt mit eisiger Miene
vorüberschritten. Bordenave
hatte eben eine kleine Tür aufgestoßen und verlangte
von Fauchery das
förmliche Versprechen einer eingehenden Besprechung des
Abends. »Auf
zweihundert Vorstellungen dürfen Sie mit Sicherheit
zählen!« redete
Faloise ihn mit verbindlicher Höflichkeit an.
»Ganz Paris wird Ihr Theater beehren!«
Aber
Bordenave zeigte ärgerlich mit einem heftigen Ruck seines
Kinns auf das
Publikum im Vestibül, auf jene Rotte Männer mit
trockenen Lippen und
Feueraugen, die lüstern nach dem Besitz Nanas
glühten, und schrie dem
jungen Mann heftig zu:
»So sagen Sie doch: mein
Bordell,
Sie verwünschter
Dickschädel!«
(...)