(...)
Gabriela war so müde, dass sie sich sofort zu Bett legte. Ich bewies ihr
noch kräftig meine Zuneigung; dann überließ ich sie ihrem süßen
Schlummer und befahl, das Essen aufzutragen.
Gabriela schlief durch bis zum nächsten Morgen; als sie sich beim Erwachen
in meinen Armen fand, begann sie zu filosofieren: "Wie leicht ist es doch, sich
auf dieser Welt glücklich zu machen, wenn man reich ist! Aber wie schmerzlich
ist es, das aus Mangel
an Geld nicht zu können, wenn
man schon das Glück vor sich sieht! Gestern war ich das glücklichste
Geschöpf, und warum kann ich es nicht alle Tage meines Lebens sein?"
Ich stellte ebenfalls Betrachtungen an, aber diese waren recht trauriger Natur.
Ich sah meine Mittel zur Neige gehen und dachte an
Lissabon.
Wäre mein Vermögen unerschöpflich gewesen, so hätten diese
jungen Hannoveranerinnen mich mit Leichtigkeit bis an das Ende meines Lebens
in ihren zarten Banden halten können. Es war mir, als wenn ich sie nicht
wie ein Liebhaber, sondern wie ein Vater liebte, und dass ich mit ihnen schlief,
erhöhte nur mein zärtliches Gefühl; ich habe nie verstehen können,
wie ein Vater seine Tochter richtig lieben kann, ohne auch nur einmal
mit
ihr geschlafen zu haben. Dieses Nichtverstehen
sagte und sagt mir heute noch ganz überzeugend, dass meine Seele und mein
Körper ein einziges Wesen sind. Gabriela sprach mit ihren Augen zu mir,
und ich las in diesen nur Liebe. War es möglich, dass ihre Liebe, losgelöst
von allen jenen Vorurteilen, die unsere Erziehung tief in unsere Herzen prägt,
keine Tugend war? Ich habe mir dieses nie vorstellen können.
(...)
(aus "Geschichte meines Lebens" von Giacomo Casanova)
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