(....) Er schlich langsam
vorbei und schlug endlich den Weg an der Elbe ein, der gerade ganz einsam war.
Unter einem Holunderbaume, der aus der Mauer hervorgesprossen, fand er ein freundliches
Rasenplätzchen; da setzte er sich hin und stopfte eine Pfeife von dem Sanitätsknaster,
den ihm sein Freund, der Konrektor Paulmann, geschenkt. - Dicht vor ihm plätscherten
und rauschten die goldgelben Wellen des schönen Elbstroms, hinter demselben
streckte
das herrliche Dresden kühn und stolz seine lichten Türme empor in den
duftigen Himmelsgrund, der sich hinabsenkte auf die blumigen Wiesen und frisch
grünenden Wälder, und aus tiefer Dämmerung gaben die zackichten Gebirge Kunde
vom fernen Böhmerlande. Aber finster vor sich hinblickend, blies der Student
Anselmus die Dampfwolken in die Luft, und sein Unmut wurde endlich laut, indem
er sprach: »Wahr ist es doch, ich bin zu allem möglichen Kreuz und Elend geboren!
- Daß ich niemals Bohnenkönig geworden, daß ich im Paar oder Unpaar immer falsch
geraten, daß mein Butterbrot immer auf die fette Seite gefallen, von allem diesen
Jammer will ich gar nicht reden; aber ist es nicht ein schreckliches Verhängnis,
daß ich, als ich denn doch nun dem Satan zum Trotz Student geworden war, ein
Kümmeltürke sein und bleiben mußte? - Ziehe ich wohl je einen neuen Rock an,
ohne gleich das erstemal einen Talgfleck hineinzubringen oder mir an einem übel
eingeschlagenen Nagel ein verwünschtes Loch hineinzureißen? Grüße ich wohl je
einen Herrn Hofrat oder eine Dame, ohne den Hut weit von mir zu schleudern oder
gar auf dem glatten Boden auszugleiten und schändlich umzustülpen? Hatte ich
nicht schon in Halle jeden Markttag eine bestimmte Ausgabe von drei bis vier
Groschen für zertretene Töpfe, weil mir der Teufel in den Kopf setzt, meinen
Gang geradeaus zu nehmen wie die Laminge? Bin ich denn ein einziges Mal ins
Kollegium oder wo man mich sonst hinbeschieden, zu rechter Zeit gekommen? Was
half es, daß ich eine halbe Stunde vorher ausging und mich vor die Tür hinstellte,
den Drücker in der Hand, denn sowie ich mit dem Glockenschlage aufdrücken wollte,
goß mir der Satan ein Waschbecken über den Kopf oder ließ mich mit einem Heraustretenden
zusammenrennen, daß ich in tausend Händel verwickelt wurde und darüber alles
versäumte. - Ach! ach! wo seid ihr hin, ihr seligen Träume künftigen Glücks,
wie ich stolz wähnte, ich könne es wohl hier noch bis zum Geheimen Sekretär
bringen! Aber hat mir mein Unstern nicht die besten Gönner verfeindet? - Ich
weiß, daß der Geheime Rat, an den ich empfohlen bin, verschnittenes Haar nicht
leiden mag; mit Mühe befestigt der Friseur einen kleinen Zopf an meinem Hinterhaupt,
aber bei der ersten Verbeugung springt die unglückselige Schnur, und ein munterer
Mops, der mich umschnüffelt, apportiert im Jubel das Zöpfchen dem Geheimen Rate.
Ich springe erschrocken nach und stürze über den Tisch, an dem er frühstückend
gearbeitet hat, so daß Tassen, Teller, Tintenfaß - Sandbüchse klirrend herabstürzen,
und der Strom von
Schokolade
und Tinte sich über die eben geschriebene Relation ergießt. ›Herr, sind Sie
des Teufels!‹ brüllt der erzürnte Geheime Rat und schiebt mich zur Tür hinaus.
- Was hilft es, daß mir der Konrektor Paulmann Hoffnung zu einem Schreiberdienste
gemacht hat, wird es denn mein Unstern zulassen, der mich überall verfolgt!
- Nur noch heute! - Ich wollte den lieben Himmelfahrtstag recht in der Gemütlichkeit
feiern, ich wollte ordentlich was daraufgehen lassen. Ich hätte ebensogut wie
jeder andere Gast in Linkes Bade stolz rufen können: ›Markör - eine Flasche
Doppelbier - aber vom besten bitte ich!‹ - Ich hätte bis spät abends sitzen
können und noch dazu ganz nahe bei dieser oder jener Gesellschaft herrlich geputzter
schöner Mädchen. Ich weiß es schon, der Mut wäre mir gekommen, ich wäre ein
ganz anderer Mensch geworden; ja, ich hätte es so weit gebracht, daß wenn diese
oder jene gefragt: ›Wie spät mag es wohl jetzt sein?‹ oder: ›Was ist denn das,
was sie spielen?‹ da wäre ich mit leichtem Anstande aufgesprungen, ohne mein
Glas umzuwerfen oder über die Bank zu stolpern; mich in gebeugter Stellung anderthalb
Schritte vorwärtsbewegend, hätte ich gesagt: ›Erlauben Sie, Mademoiselle, Ihnen
zu dienen, es ist die Ouvertüre aus dem
Donauweibchen‹
oder: ›Es wird gleich sechs Uhr schlagen.‹ - Hätte mir das ein Mensch in der
Welt übel deuten können? - Nein! sage ich, die Mädchen hätten sich so schalkhaft
lächelnd angesehen, wie es wohl zu geschehen pflegt, wenn ich mich ermutige,
zu zeigen, daß ich mich auch wohl auf den leichten Weltton verstehe und mit
Damen umzugehen weiß. Aber da führt mich der Satan in den verwünschten Äpfelkorb,
und nun muß ich in der Einsamkeit meinen Sanitätsknaster -«
Hier wurde der Student Anselmus in seinem Selbstgespräche durch ein sonderbares
Rieseln und Rascheln unterbrochen, das sich dicht neben ihm im Grase erhob,
bald aber in die Zweige und Blätter des Holunderbaums hinaufglitt, der sich
über seinem Haupte wölbte. Bald war es, als schüttle der Abendwind die Blätter,
bald, als kosten Vögelein in den Zweigen, die kleinen Fittige im mutwilligen
Hin- und Herflattern rührend. - Da fing es an zu flüstern und zu lispeln, und
es war, als ertönten die Blüten wie aufgehangene Kristallglöckchen. Anselmus
horchte und horchte. Da wurde, er wußte selbst nicht wie, das Gelispel und Geflüster
und Geklingel zu leisen halbverwehten Worten:
»Zwischendurch - zwischenein - zwischen Zweigen, zwischen schwellenden Blüten,
schwingen, schlängeln, schlingen wir uns - Schwesterlein - Schwesterlein, schwinge
dich im Schimmer - schnell, schnell herauf - herab - Abendsonne schießt Strahlen,
zischelt der Abendwind - raschelt der Tau - Blüten singen - rühren wir Zünglein,
singen wir mit Blüten und Zweigen - Sterne bald glänzen - müssen herab zwischendurch,
zwischenein schlängeln, schlingen, schwingen wir uns Schwesterlein.« -
So ging es fort in Sinne verwirrender Rede. Der Student Anselmus dachte: »Das
ist denn doch nur der Abendwind, der heute mit ordentlich verständlichen Worten
flüstert.« - Aber in dem Augenblick ertönte es über seinem Haupte wie ein Dreiklang
heller Kristallglocken; er schaute hinauf und erblickte drei in grünem Gold
erglänzende Schlänglein, die sich um die Zweige gewickelt hatten und die Köpfchen
der Abendsonne entgegenstreckten. Da flüsterte und lispelte es von neuem in
jenen Worten, und die Schlänglein schlüpften und kosten auf und nieder durch
die Blätter und Zweige, und wie sie sich so schnell rührten, da war es, als
streue der
Holunderbusch tausend funkelnde Smaragde durch seine dunklen Blätter.
»Das ist die Abendsonne, die so in dem Holunderbusch spielt«, dachte der Student
Anselmus, aber da ertönten die Glocken wieder, und Anselmus sah, wie
eine
Schlange ihr Köpfchen nach ihm herabstreckte. Durch alle Glieder
fuhr es ihm wie ein elektrischer Schlag, er erbebte im Innersten - er starrte
hinauf, und ein Paar herrliche dunkelblaue Augen blickten ihn an mit unaussprechlicher
Sehnsucht, so daß ein nie gekanntes Gefühl der höchsten Seligkeit und des tiefsten
Schmerzes seine Brust zersprengen wollte. Und wie er voll heißen Verlangens
immer in die holdseligen Augen schaute, da ertönten stärker in lieblichen Akkorden
die Kristallglocken, und die funkelnden Smaragde fielen auf ihn herab und umspannen
ihn, in tausend Flämmchen um ihn herflackernd und spielend mit schimmernden
Goldfaden. Der Holunderbusch rührte sich und sprach: »Du lagst in meinem Schatten,
mein Duft umfloß dich, aber du verstandest mich nicht. Der Duft ist meine Sprache,
wenn ihn die Liebe entzündet.« Der Abendwind strich vorüber und sprach: »Ich
umspielte deine Schläfe, aber du verstandest mich nicht, der Hauch ist meine
Sprache, wenn ihn die Liebe entzündet.« Die Sonnenstrahlen brachen durch das
Gewölk, und der Schein brannte wie in Worten: »Ich umgoß dich mit glühendem
Gold, aber du verstandest mich nicht; Glut ist meine Sprache, wenn sie die Liebe
entzündet.«
Und immer inniger und inniger versunken in den Blick des herrlichen Augenpaars,
wurde heißer die Sehnsucht, glühender das Verlangen. Da regte und bewegte sich
alles, wie zum frohen Leben erwacht.
Blumen und Blüten dufteten um ihn her,
und ihr Duft war wie herrlicher Gesang von tausend Flötenstimmen, und was sie
gesungen, trugen im Widerhall die goldenen vorüberfliehenden Abendwolken in
ferne Lande. Aber als der letzte Strahl der Sonne schnell hinter den Bergen
verschwand, und nun die Dämmerung ihren Flor über die Gegend warf, da rief,
wie aus weiter Ferne, eine rauhe tiefe Stimme:
»Hei, hei, was ist das für ein Gemunkel und Geflüster da drüben? - Hei, hei,
wer sucht mir doch den Strahl hinter den Bergen! - genug gesonnt, genug gesungen
- Hei, hei, durch Busch und Gras - durch Gras und Strom! - Hei, - hei - Her
u - u - u nter - Her u - u - u nter!« -
So verschwand die Stimme wie im Murmeln eines fernen Donners, aber die Kristallglocken
zerbrachen im schneidenden Mißton. Alles war verstummt, und Anselmus sah, wie
die drei Schlangen schimmernd und blinkend durch das Gras
nach dem Strome schlüpften; rischelnd und raschelnd stürzten sie sich
in die Elbe, und über den Wogen, wo sie verschwunden, knisterte ein grünes Feuer
empor, das in schiefer Richtung nach der Stadt zu leuchtend verdampfte. (....)