(...)
Sophie sammelt sich mühsam
Demütigen und recht bedenken:
die Sünde, die
Schuld, die Niedrigkeit,
die Verlassenheit, die Anfechtung!
Die Mutter ist tot und ich bin ganz allein.
Für mich selber steh' ich ein.
Aber die Ehe ist ein heiliger Stand.
Marianne wie oben
Er kommt, er kommt in zwei Karossen.
Die erste ist vierspännig, die ist leer. In der zweiten,
sechsspännigen,
sitzt er selber, der Herr Rosenkavalier.
Sophie wie oben
Ich will mich niemals meines neuen Standes überheben –
Die Stimmen der Lauffer zu dreien vor Octavians Wagen unten auf der Gasse:
Rofrano! Rofrano!
– mich überheben.
Sie hält es nicht aus.
Was rufen denn die?
Marianne
Den Namen vom Rosenkavalier und alle Namen
von deiner neuen, fürstlich'n und gräflich'n Verwandtschaft rufens aus.
Jetzt rangieren sich die Bedienten.
Die Lakaien springen rückwärts ab!
Die Stimmen der Lauffer zu dreien näher: Rofrano! Rofrano!
Sophie
Werden sie mein' Bräutigam sein' Namen
auch so ausrufen, wenn er angefahren kommt!?
Die Stimmen der Lauffer dicht unter dem Fenster: Rofrano! Rofrano! Rofrano!
Marianne
Sie reißen den Schlag auf! Er steigt aus!
Ganz in Silberstück' ist er ang'legt, von Kopf zu Fuß.
Wie ein heiliger Erzengel schaut er aus.
Sie schließt eilig das Fenster
Sophie
Herrgott im Himmel, ja,
ich weiß, der Stolz ist eine schwere Sünd',
aber jetzt kann ich mich nicht demütigen.
Jetzt geht's halt nicht!
Denn das ist ja so schön, so schön!
Lakaien haben schnell
die Mitteltüre aufgetan. Herein tritt Octavian, ganz in Weiß und Silber, mit
bloßem Kopf, die silberne Rose in der Hand. Hinter ihm seine Dienerschaft in
seinen Farben: Weiß mit Blaßgrün. Die Lakaien, die Haiducken, mit krummen, ungarischen
Säbeln an der Seite, die Lauffer in weißem, sämischem Leder mit grünen Straußenfedern.
Dicht hinter Octavian ein Neger, der Octavians Hut, und ein anderer Lakai, der
das Saffianfutteral für die silberne Rose in beiden Händen trägt.
Dahinter die Faninalsche Livree.
Octavian, die Rose in der Rechten, geht mit adeligem Anstand auf sie zu, aber
sein Knabengesicht ist von seiner Schüchternheit gespannt und gerötet.
Sophie ist vor Aufregung über seine Erscheinung und die Zeremonie leichenblaß.
Sie stehen einander gegenüber.
Octavian
nach einem kleinen Stocken, indem sie einander wechselweise durch ihre Verlegenheit
und Schönheit noch verwirrter machen
Mir ist die Ehre widerfahren,
daß ich der hoch- und wohlgeborenen Jungfer Braut,
in meines Herrn Vetters,
dessen zu Lerchenau Namen,
die Rose seiner Liebe überreichen darf.
Sophie nimmt die Rose
Ich bin Euer Liebden sehr verbunden.
Ich bin Euer Liebden in aller Ewigkeit verbunden. –
Eine Pause der Verwirrung
Sophie indem sie an der
Rose riecht
Hat einen starken Geruch. Wie Rosen, wie lebendige.
Octavian
Ja, ist ein Tropfen persischen Rosenöls darein getan.
Sophie
Wie himmlische, nicht irdische, wie
Rosen
vom hochheiligen Paradies. Ist Ihm nicht auch?
Octavian neigt sich über die Rose, die sie ihm hinhält; dann richtet er sich wie betäubt auf und sieht auf ihren Mund.
Sophie
Ist wie ein Gruß vom
Himmel. Ist bereits zu stark!
Zieht einen nach, als lägen Stricke um das Herz.
Wo war ich schon einmal
und war so selig!
Octavian Zugleich mit ihr
wie unbewußt und leiser als sie
Wo war ich schon einmal und war so selig?
Sophie
Dahin muß ich zurück! und wär's mein Tod.
Wo soll ich hin,
daß ich so selig werd'?
Dort muß ich hin und müßt' ich sterben auf dem Weg.
Octavian die ersten Worte
zugleich mit ihren letzten, dann allein
Ich war ein Bub,
war's gestern oder war's vor einer Ewigkeit.
Da hab' ich die noch nicht gekannt.
Die hab' ich nicht gekannt?
Wer ist denn die? Wie kommt sie denn zu mir?
Wer bin denn ich? Wie komm' ich denn zu ihr?
Wär' ich kein Mann, die Sinne möchten mir vergeh'n.
Aber ich halt' sie fest, ich halt' sie fest.
Das ist ein seliger, seliger Augenblick,
den will ich nie vergessen bis an meinen Tod.
Indessen hat sich die Livree Octavians links rückwärts rangiert, die Faninalschen Bedienten mit dem Haushofmeister rechts. Der Lakai Octavians übergibt das Futteral an Marianne. Sophie schüttelt ihre Versunkenheit ab und reicht die Rose der Marianne, die sie ins Futteral schließt. Der Lakai mit dem Hut tritt von rückwärts an Octavian heran und reicht ihm den Hut. Die Livree Octavians tritt ab, während gleichzeitig die Faninalschen Bediensteten drei Stühle in die Mitte tragen, zwei für Octavian und Sophie, einen rück- und seitwärts für die Duenna. Zugleich trägt der Faninalsche Haushofmeister das Futteral mit der Rose durch die Mitteltüre ab. Sophie und Octavian stehen einander gegenüber, einigermaßen zur gemeinen Welt zurückgekehrt, aber befangen. Auf eine Handbewegung Sophies nehmen sie beide Platz, desgleichen die Duenna.
Sophie
Ich kenn' Ihn schon recht wohl.
Octavian
Sie kennt mich, ma cousine?
Sophie
Ja, aus dem Buch, wo die Stammbäumer drin sind, mon cousin.
Dem Ehrenspiegel Österreichs.
Das nehm' ich immer abends mit ins Bett
und such' mir meine künftige Verwandtschaft d'rin zusammen.
Octavian
Tut Sie das, ma cousine?
Sophie
Ich weiß, wie alt Euer Liebden sind:
Siebzehn Jahr' und zwei Monat'.
Ich weiß alle Ihre Taufnamen: Octavian Maria Ehrenreich
Bonaventura Fernand Hyazinth.
Octavian
So gut weiß ich sie selber nicht einmal.
Sophie
Ich weiß noch was.
Errötet.
Octavian
Was weiß Sie noch, sag' Sie mir's, ma cousine.
Sophie ohne ihn anzusehen
Quin-quin.
Octavian lacht
Weiß Sie den Namen auch?
Sophie
So nennen Ihn halt Seine guten Freund'
und schöne Damen denk' ich mir,
mit denen Er recht gut ist.
Kleine Pause.
Sophie mit Naivität
Ich freu' mich aufs
Heiraten!
Freut Er sich auch darauf?
Oder hat Er leicht noch gar nicht drauf gedacht, mon cousin?
Denk' Er: Ist doch was anders als der ledige Stand.
Octavian leise, während
sie spricht
Wie schön sie ist.
Sophie
Freilich, Er ist ein Mann, da ist Er, was Er bleibt.
Ich aber brauch' erst einen Mann, daß ich was bin.
Dafür bin ich dem Mann dann auch gar sehr verschuldet.
Octavian wie oben
Mein Gott, wie schön und gut sie ist.
Sie macht mich ganz verwirrt.
Sophie
Und werd' ihm keine Schand' nicht machen –
und meinem Rang und Vortritt.
Tät eine, die sich besser dünkt als ich,
ihn mir bestreiten
bei einer Kindstauf' oder
Leich',
so will ich, meiner Seel, ihr schon beweisen,
daß ich die vornehmere bin
und lieber alles hinnehmen
wie Kränkung oder Ungebühr.
Octavian lebhaft
Wie kann Sie denn nur denken,
daß man Ihr mit Ungebühr begegnen wird,
da Sie doch immerdar die Schönste sein wird,
daß es keinen Vergleich wird leiden.
Sophie
Lacht Er mich aus, mon cousin?
Octavian
Wie, glaubt Sie das
von mir?
Sophie
Er darf mich auch auslachen, wenn Er will.
Von Ihm will ich mir alles gerne geschehen lassen,
weil mir noch nie ein junger Kavalier . . . . . . .
Jetzt aber kommt mein Herr Zukünftiger.
Die Tür rückwärts geht auf. Alle drei stehen auf und traten nach rechts. Faninal führt den Baron zeremoniös über die Schwelle und auf Sophie zu, indem er ihm den Vortritt läßt. Die Lerchenausche Livree folgt auf Schritt und Tritt: zuerst der Almosenier mit dem Sohn und Leibkammerdiener. Dann folgt der Leibjäger mit einem ähnlichen Lümmel, der ein Pflaster über der eingeschlagenen Nase trägt, und noch zwei von der gleichen Sorte, vom Rübenacker her in die Livree gesteckt. Alle tragen, wie ihr Herr, Myrtensträußchen. Die Faninalschen Bedienten bleiben im Hintergrund.
Faninal
Ich präsentier' Euer Gnaden Dero Zukünftige.
Baron macht die Reverenz,
dann zu Faninal
Deliziös! Mach' Ihm mein Kompliment.
Er küßt Sophie die Hand, langsam, gleichsam prüfend
Ein feines Handgelenk. Darauf halt' ich gar viel.
Ist unter Bürgerlichen eine seltene Distinktion.
Octavian halblaut
Es wird mir heiß und kalt.
(...)
(aus "Der Rosenkavalier"
von Hugo von Hofmannsthal)
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