(...)
Die Phantasie schwebt mit ausgespreiteten irisfarbigen Flügeln auf rosigem Nebel nieder.)

Die Phantasie
Ich bin ein Wesen leichter Art,
Ein Kind mit tausend Launen,
Das Niedres mit dem Höchsten paart,
's ist wirklich zum Erstaunen.
Kurzum, ich bin ein Kraftgenie,
Sie sehn in mir die Phantasie.

(Ans Publikum)

Wenn rauhe Wirklichkeit auch gleich
Verwundet Ihre Herzen,
So flüchten Sie sich in mein Reich,
Ich lindre Ihre Schmerzen.
Denn alles Glück, man glaubt es nie,
Am End ists doch nur Phantasie.

In dichterischem Übermut
Durchschweb ich weite Fernen.
Ich steck die Sonne auf den Hut
Und würfle mit den Sternen,
Doch vor des Beifalls Melodie
Verbeugt sich tief die Phantasie.

(Sich tief verneigend)

Es ist doch wahrlich eine Schande, daß die Phantasie, die von oben kommt, als Unterhändlerin in einem Liebesroman erscheint. Apollo selbst will dieses Pärchen einen, denn unter uns gesagt, er ist ein eitler Mann, wie viele Dichter sind, und Hermiones Schwur, nur einen Dichter zu erwählen, hat ihn so entzückt, daß er mir befahl, ihr Amphio zum Dichter und artigen Gemahl zu bilden, zu bilden! - wohlgemerkt, weil gewöhnlich die gebildetsten Dichter die ungebildetsten Ehmänner sind. Hier kömmt mein Kandidat, Ich will ihn doch ein wenig aufziehen.

 

Zwölfter Auftritt

Amphio. Die Phantasie.

Phantasie
Nun mein dichterischer Freund, wie haben wir uns aufgeführt? Hat unser gestriges Sonett Cytherens Bande fester geknüpft?

Amphio
Auf ewig sie zu binden, steht in deiner Macht.

Phantasie (weint kindisch)
Ich armes Kind soll andere vermählen, und für mich selbst wird Hymens Fackel niemals leuchten. (Verbirgt das Gesicht)

Amphio (besorgt)
Wer würde deine Hand verschmähen?

Phantasie (lacht laut auf)
Meinst du, ich sprech im Ernste so? Was kümmern mich die Männer dieser irdschen Welt, was gilt mir selbst ein menschlicher Apoll! Ich bin die Phantasie, der höchsten Schönheit Bild kann ich durch eigne Macht erschaffen, denn nach Adonis reizender Gestalt form ich aus rosgem Äther mir den Bräutigam, in sein Gehirn leg ich Minervens Weisheit ihm, der Zunge schenk ich die Beredsamkeit der Polyhymnia, in seine Brust gieß ich Latonas Sanftmut aus. So bild aus Götterkräften ich mein Ideal und flieh mit ihm nach einer Himmelswelt in unbekannte Sphären. Dort bau ich Amors Tempel auf von glänzendem Rubin und laß von tausend Sonnen ihn bestrahlen. Dann raub ich dem Saturn die Sichel seiner Zeit und breche sie ob unserer Lieb entzwei, damit mir jeder Kuß zur ewgen Wonne wird.

Amphio
Ach, du scherzest noch, du weißt nicht, wie poetisch wichtig diese Stunde ist.

Phantasie
Beleidige mich nicht, ich selbst habe heute Hermione zu dem Entschluß begeistert, ein Preisgedicht zu fordern, damit nur einmal dieser langweilige Liebeshandel sein Ende erreicht.

Amphio
Oh, dann wirst du mir auch deine Hülfe nicht versagen. Der heutge Tag entscheidet.

Phantasie
Du bist doch noch bescheiden, du nimmst meine Hilfe nur bei Tage in Anspruch, aber manche Dichter sind so wahnsinnig, die ganze Nacht zu schreiben, und wenn die Phantasie nicht gleich auf dem Tintenfaß sitzt, so beschwören sie mich durch Punsch und Champagner, daß ich erscheinen soll, und wer kann der Einladung eines so artigen Franzosen, wie der Champagner ist, widerstehen? Ich nicht.

Amphio
In jenem Tempel schwört die Herrscherin, ich eile, um dir zu berichten, was wir zu besingen haben. Wie freu ich mich, wie bebe ich, ach, wie quälend ist dieser Wechsel von Freude und Furcht.

Phantasie
Ach, wie quält dich dieser kleine Wechsel, und wie gerne würde mancher mit dir tauschen, der heute einen recht großen auszuzahlen hat. Die Freude ist ein Wechselhaus, sie muß wechseln, denn im Wechsel liegt Freude. Doch um dich zu beruhigen, will ich dir einen Wechsel ausstellen an das große Wechselhaus Amor et Compagnie. Nun, der wird dir doch sicher sein, denn wenn die Liebe zu zahlen aufhört, dann macht die Welt Bankerott. So geh denn hin und hole den Stoff. Die Phantasie bleibt hier zurück, und wenn du wiederkehrst, umschling ich deinen Geist, und fertig ist das kindische Gedicht.

Amphio
Und wird es Hermiones Hand erringen?

Phantasie
Ich schwör es dir bei Schillers Haupt, in dem ich stolz gethront.

Amphio
Ich trau auf diesen Schwur. (Sinkt ihr zu Füßen)

Phantasie (hebt ihn auf)
Komm bald, ich harre dein. (Amphio ab, Phantasie allein) Heute habe ich einen fröhlichen Tag. Wie wohl ist der Phantasie, wenn sie vom Versemachen ruhn und in ungezwungner Prosa sprechen kann. (Sie singt eine lustige Rossinische Melodie) Die Phantasie kann alles. (Hüpft herum) Sie ist ein mutwilliges Geschöpf.

 

Dreizehnter Auftritt

Vorige. Vipria und Arrogantia, erstere mit Pfeil, letztere mit Bogen und Pfeil bewaffnet.

Vipria (der Phantasie in den Weg tretend)
Halt an! Qui vive?

Phantasie
Bonne amie, die Phantasie.

Vipria
Nichts passiert, gib dich gefangen, bunter Rabe!

Phantasie
Doch nicht so leicht. (Entreißt ihr den Pfeil und verwundet sie)

Vipria
Verdammte Schlange! (Hält sich den Arm)

Phantasie (eilt auf einen kleinen Hügel und macht Miene zum Auffliegen)
Du Hexe, denk an mich.

Arrogantia (hat den Bogen gespannt und schießt die Phantasie in eine Achsel, an der der Flügel verwundet wird)
Und du an mich!

Phantasie (sinkt)
Weh mir! Das traf!

Arrogantia (schadenfroh)
Jetzt kennst du mein Geschoß!

Vipria
Fort mit ihr.

(Beide fesseln sie)
(...)


(aus "Die gefesselte Phantasie" von Ferdinand Raimund)
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