(...)
Mittags gewährte man uns eine Ruhepause von zwei Stunden, während
derer jede von uns in ihrer Kammer verschnaufte und ihr Essen einnahm. Anschließend
wurden wir von neuem angekettet und mußten bis in die Nacht hinein das
Rad drehen. Das Schloß
zu betreten war uns streng verboten. Daß man uns fünf Monate des
Jahres nackt arbeiten ließ, geschah deshalb, weil es uns bei unserer überaus
anstrengenden Verrichtung unerträglich heiß wurde - und darüber
hinaus, wie mir meine Gefährtinnen versicherten, weil wir so den
Hieben,
welche uns unser gestrenger Meister von Zeit zu Zeit verabreichte, schutzloser
preisgegeben waren. Im Winter gab man uns eine Hose und eine enganliegende Jacke,
also eine am ganzen Körper straff sitzende Kleidung, welche unsere armen
Leiber den Schlägen unseres Henkers nicht minder aussetzte.
Dalville ließ sichwährend des ersten Tages nicht ein einziges Mal
blicken. Doch gegen Mitternacht tat er dasselbe wie am Abend zuvor. Ich nahm
die Gelegenheit wahr und bat ihn flehentlich, mein Los zu lindern.
"Warum sollte ich das?" erwiderte der Unmensch. "Etwa deshalb,
weil ich mir mit dir ein angenehmes Stündchen mache? Soll ich dich auf den Knien
um eine Gunst bitten für deren Gewährung du deinerseits von mir irgendeine Gegenleistung
verlangen könntest? Ich bitte dich um nichts ... ich nehme es mir einfach. Auch
sehe ich nicht ein, warum aus der Tatsache, dass ich von einem Recht über dich
Gebrauch mache, folgen sollte, dass ich mir einen weiteren Anspruch versagen
müsste. Mein Handeln hat mit Liebe nichts zu tun; das ist ein Gefühl, welches
meinem Herzen stets fremd war. Ich bediene mich einer Frau nur auf Grund eines
Bedürfnisses, so wie man im Falle eines anderen ein Nachtgeschirr benutzt. Wertschätzung
oder gar Zärtlichkeit bringe ich dem Wesen, welches ich kraft
meines Geldes oder meines Ansehens meinen Begierden gefügig
mache, niemals entgegen. Das, was ich mir nehme, verdanke ich nur mir selbst,
und von der Frau verlange ich lediglich ihre Unterwerfung. Also sehe ich keine
Veranlassung, ihr irgendwelche Gefühle der Dankbarkeit entgegenzubringen. Denn
das würde heißen, dass ein Dieb, der einem Mann im Wald den Geldbeutel entreißt,
weil er der Stärkere ist, dem Beraubten wegen der ihm zugefügten Unbill Dankbarkeit
schuldete. Nicht anders verhält es sich, wenn man sich an einer Frau vergeht.
Das berechtigt bestenfalls dazu, ihr noch ein zweites Mal
Gewalt
anzutun, aber es ist keinesfalls ein hinreichender Grund, ihr eine Entschädigung
zu gewähren."
(...)
(aus "Justine oder Vom Missgeschick der Tugend" vom Marquis de Sade)