Leseprobe:
Kollegin
Fink geht über die kleine Steintreppe zum Wasser. Das Donauwasser, olivfarben
und weich, bringt keine Kühlung. Man mißt ungeheuerliche 26 Grad im Entlastungsgerinne.
Astrid Fink läßt sich hineinfallen, macht ein paar Schwimmstöße, taucht unter
und findet die diffuse Welt unter Wasser grauenhaft und furchterregend. Sie
taucht auf und merkt, daß in der Nähe ihrer Handtücher ein Obdachloser herumstreicht.
Sie beschließt eben, wachsam zu sein, als offenbar ein weiterer
Obdachloser,
der hier, hinter ihr im Wasser, sein muß, sie mit dem Arm kraftvoll und entschlossen
um die sportliche Taille faßt.
Aaaah, macht es erleichtert
in der Kollegin Fink.
Sie ist eine hervorragende Nahkämpferin,
und dieser Anlaß, ihre ganze Wut in einen solchen Kampf zu stecken, tut ihr gut.
Diese Drecksau, die sich traut ... na ja, selber schuld. Die
Fink wird zu einer Stahlsprungfeder und schnellt sich aus dem Griff, um dem Sandler
- oder wem immer - ins Gesicht schauen zu können.
Und das,
was ihr den Arm um die Taille gelegt hat, nimmt den Kampf auf, denn um die neue
Kriegerin zu testen, ist es ja gekommen.
Das sind zehn Sandler,
denkt die Fink, oder hundert. So stark sind die. Sie wehrt sich noch
ein bißchen und gibt dann auf.
Und als wie immer am frühen
Abend die Sonne vor ihrem Untergang klar zur Erde kommt, da liegt Inspektor Astrid
Fink zweihundert Meter stromabwärts an einer Bucht auf der anderen Seite auf dem
Rücken im Sand. Ihr Beachsuit ist zerrissen, ihre Haut bebt vor Glück.
Sie
öffnet die Augen, und da ist sie wieder, ihre Bezwingerin: Sie ist blond und wunderschön.
Sie hat diese blütenartigen, großen Lippen und diese glühenden Sommersprossen.
Und die herrlich kalten grünen Augen.
"Schlaf noch
einmal mit mir", haucht Astrid Fink.
Sie spürt ein
wohliges Ziehen an der Innenseite ihrer harten Schenkel, das sich entlang ihrer
Leisten fortpflanzt. Ihr ganzer Unterleib ist von innen warm, er pulsiert.
"Bitte, noch einmal", wiederholt sie und bemerkt dabei
verwundert, daß aus ihrem rechten Mundwinkel eine lange Alge herauskommt. Sie
zieht daran und holt sicher vierzig, fünfzig Zentimeter davon aus ihrer Luftröhre.
Sie ist erstaunt, aber sie erinnert sich eben nicht mehr daran, daß sie gerade
zwanzig Minuten am Grunde des Entlastungsgerinnes verbracht hat und längst tot
sein sollte.
Astrid Fink ist geil wie nie. Sie will diese
Frau wiederhaben, diese Frau, die sie jetzt lächelnd anschaut und ihr hinter dem
Ohr eine weitere kleine, grüne Alge fortnimmt.
"Noch einmal."
(Aus Ernst Moldens Roman: "Austreiben"; Deuticke)