Leseprobe:
Und
da! Egon sieht das Schönste in seinem Leben.
Eine Frau,
eine nackte Frau, liegt vor ihm und schläft in der Morgensonne.
Noch
nie hat der Egon eine nackte Frau betrachtet. Zwei-, dreimal ist er Mädchen in
die Nähe gekommen, meistens solchen, die sich eher zum Spaß auf Praterbesäufnissen
mit Egon, dem Noan, zum Schmusen eingelassen haben. Mehr war nie. Und gar,
daß sich eine ausgezogen hätte, nein.
Bei der Frau, die
da liegt, ist der Egon jedoch davon überzeugt, daß sie sich für ihn und nur für
ihn ausgezogen hat.
Ihre Kleider hat sie versteckt, denkt
der Egon, als ob sie ihn gar nicht daran erinnern wollte, daß es sie, die
märchenhaft
Schöne, auch in angezogenem Zustand gibt.
Sie
liegt am Sand, die Zehen des rechten Beins reichen ins Wasser. Hie und da bewegen
sich diese Zehen im Schlaf und verspritzen ein paar Tropfen. Das linke Bein, das
Egon näher ist, liegt leicht angewinkelt, ein blondes Haarbüschel schaut an seinem
Ansatz hervor. Der Busen der Frau ist wunderschön regelmäßig und sieht hart aus.
Der Mund der Schlafenden ist groß und im Schlaf ein bißchen aufgegangen, ihre
hellbraunen Haare sind nicht kurz und nicht lang. Die Arme liegen hinter dem Kopf,
wie ein Polster aus weichem Fleisch.
Eine häßliche
Fliege
setzt sich auf den Bauch der Frau, und Egon, viel zu weit entfernt, spitzt die
Lippen und bläst, als wolle er sie verscheuchen. Tatsächlich fliegt sie weg.
Egon lächelt verzückt. Er macht die Augen zu und läßt sie eine Weile geschlossen.
Dann macht er sie wieder auf, um zu sehen, ob alles nur ein Traum war.
Aber
die Frau liegt noch immer da, im Schlaf hat sie den Kopf auf die andere Seite
rollen lassen. Würde sie jetzt erwachen, dann würde sie ihn sehen.
Egon,
flach atmend, wiederholt das Spiel. Er schließt die Augen und läßt sie diesmal
eine Weile geschlossen. Er genießt das sündige Labsal, das dieses schöne Bild
in seinem Inneren angerichtet hat.
Er öffnet die Augen und
stirbt fast vor Schreck. Das Gesicht der Frau ist zehn Zentimeter vor seinem,
sie muß sich ganz lautlos auf ihn zubewegt haben, ihre Augen sehen ihn ganz unvorstellbar
an. Sie hockt auf allen Vieren vor ihm wie ein sprungbereites Tier einer unbekannten
Art.
"Ich bin der Egon, und ich hab gar nix gemacht",
sagt der Egon und verspürt zugleich ein Gefühl, wie er es noch nicht kennt,
eine glühende Gier, ein schmerzhaftes
Begehren.
"... gar nix gemacht", wiederholt er leise.
"Hast du auch nicht", sagt die Frau
mit einer Stimme, so schön und glatt, wie Wasser an den Seiten eines frischlackierten
Bootes entlanggleitet.
Und dann gibt die Frau dem Egon einen
kleinen Stoß. Er fällt flach auf den Rücken in feuchtes Gras.
"Jetzt
mußt du werden wie ich", sagt die Frau.
"Der Egon
...", beginnt der Egon.
"Nein", macht die
Frau, "pscht."
Sie öffnet die Knöpfe im Schritt
von Egons blauer Hose, und als es ihr beim zweiten Knopf nicht gelingen will,
huscht kurzer Zorn über ihr Gesicht, und schon eine halbe Sekunde darauf bemerkt
der Egon ängstlich, wie die von seiner Hose übriggebliebenen Hosenbeine um seine
Knöchel schlottern.
Was zwischen seinen Beinen lebt, grüßt
die fremde Frau.
Egon macht die Augen zu. Er merkt, wie die Haare der Fremden
die weiße Haut an seinen Beinen kitzeln. Als er wenig später den lautesten Schrei
seines Lebens ausstößt, fliegen alle Vögel
auf den Bäumen rund um das Wasser wie auf einen geheimen Befehl hin auf, (...).
(Aus Ernst Moldens Roman "Austreiben"; Deuticke)