(...)
So in Gedanken schritt er noch lange fort, als er unerwartet bei einem großen,
von hohen Bäumen rings umgebenen Weiher anlangte. Der Mond, der eben über die
Wipfel trat, beleuchtete scharf ein marmornes Venusbild, das dort dicht am Ufer
auf einem Steine stand, als wäre die Göttin soeben erst aus den Wellen aufgetaucht
und betrachte nun, selber verzaubert, das Bild der eigenen Schönheit, das der
trunkene Wasserspiegel zwischen den leise aus dem Grunde aufblühenden Sternen
widerstrahlte. Einige
Schwäne
beschrieben still ihre einförmigen Kreise um das Bild, ein leises Rauschen ging
durch die Bäume ringsumher.
Florio stand wie eingewurzelt
im Schauen, denn ihm kam jenes Bild wie eine langgesuchte, nun plötzlich erkannte
Geliebte vor, wie eine
Wunderblume,
aus der Frühlingsdämmerung und träumerischen Stille seiner frühesten Jugend
heraufgewachsen. Je länger er hinsah, je mehr schien es ihm, als schlüge es
die seelenvollen Augen langsam auf, als wollten sich die Lippen bewegen zum
Gruße, als blühe Leben wie ein lieblicher Gesang erwärmend durch die schönen
Glieder herauf. Er hielt die Augen lange geschlossen vor Blendung, Wehmut und
Entzücken.
Als er wieder aufblickte, schien
auf einmal alles wie verwandelt. Der Mond sah seltsam zwischen Wolken hervor,
ein stärkerer Wind kräuselte den Weiher in trübe Wellen, das Venusbild, so fürchterlich
weiß und regungslos, sah ihn fast schreckhaft mit den steinernen Augenhöhlen
aus der grenzenlosen Stille an. Ein nie gefühltes Grausen überfiel da den Jüngling.
Er verließ schnell den Ort, und immer schneller und ohne auszuruhen eilte er
durch die Gärten und Weinberge wieder fort, der ruhigen Stadt zu; denn auch
das Rauschen der Bäume kam ihm nun wie ein verständliches, vernehmliches Geflüster
vor, und die langen, gespenstischen Pappeln
schienen mit ihren weitgestreckten Schatten hinter ihm dreinzulangen.
(...)
(aus "Das Marmorbild"
von Josef von Eichendorff)
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