Marlen Haushofer (1920-1970) |
Niedergeschriebene
Selbstgespräche als Refugien mit doppelten Böden
Marlen Haushofer
wurde am 11. April 1920 als Marie Helene
Frauendorfer, Tochter des Revierförsters am Fuße des Sensengebirges, Heinrich, und der Kammerzofe Maria
im
oberösterreichischen Frauenstein geboren. Als sie zehn Jahre alt war, schickten
die Eltern das sensible, wissensdurstige Mädchen in das Linzer
Mädchenrealgymnasium, ins Internat zu den
Ursulinen nach Steyr. Nach Abschluss der
Schule leistete sie ihren Arbeitsdienst in Ostpreußen ab. Von 1940 an studierte
sie (mit Unterbrechungen) Germanistik in Wien, ab 1943 in
Graz.
Marlen verliebte sich, wurde ungewollt schwanger, trennte sich noch während der
Schwangerschaft vom Kindesvater und heiratete 1941 den Medizinstudenten und
späteren Zahnarzt Manfred Haushofer. Das Paar zog nach Steyr, wo bald nach dem
ersten Sohn Christian (1941) der zweite, Manfred (1943), diesmal war der Ehemann
auch der biologische Vater, das Licht der Welt erblickte. Im Alter von 23 Jahren
war Marlene Haushofer also bereits zweifache Mutter und musste das Studium sowie
sämtliche beruflichen Zukunftshoffnungen zu Gunsten des Hausfrauendaseins an
den Nagel hängen. So hatte sich die literaturbegeisterte, aufgeweckte Frau ihr
Leben keineswegs vorgestellt - sie vermisste das Flair der Großstadt Wien, das
freie Studentenleben und fügte sich wohl nur oberflächlich in die
Beschränkungen.
Vorerst legten
lediglich ihre Tagebücher beredtes Zeugnis von ihrer Gespaltenheit ("... dauernd in mehreren
Welten leben, die durch Abgründe getrennt sind") und beklemmenden
Unzufriedenheit mit der als gefängnisähnlich empfundenen Umgebung ab. Diese
Gemütslage war wohl der Entstehungsort der späteren Romanfiguren Haushofers. Die
Seiten, die sie zeitig in der Früh oder spätnachts am Küchentisch füllte,
schilderten die Schicksale von Leidensgenossinnen, die sich gleichfalls
eingekerkert fühlten, gewissermaßen ein Doppelleben führen mussten, hin und
her gerissen zwischen realen gesellschaftlichen bzw. familiären Anforderungen
und ihren Ausbruchsfantasien. Es waren traurige, ernsthafte Darstellungen der Rolle der Frau in der Männergesellschaft,
was dem feinsinnigen Werk in den 1980er-Jahren prompt das Etikett "präfeministische
Literatur" bescherte, womit es - wie später erkannt - weit unter seinem
Wert gehandelt wurde.
1946 verfasste
Marlen Haushofer erste Kurzgeschichten, die in Zeitungen und Zeitschriften
abgedruckt wurden. 1952 wurde die Novelle "Das fünfte Jahr"
publiziert, für die sie im folgenden Jahr den staatlichen Förderpreis
für Literatur erhielt. Sodann schrieb Marlen Haushofer Kinder- und
Jugendbücher, die auf Anhieb auf großes Interesse der Leserschaft stießen,
wie auch Hörspiele, die von verschiedenen Radiostationen gesendet wurden.
1956 ließen
sich Manfred und Marlen scheiden, allerdings heirateten sie 1958 abermals.
In "Die Tapetentür",
einem 1957 erschienenen Roman, spielen mehr oder weniger fiktive Tagebuchnotizen
als Stilmittel eine wichtige Rolle, wenngleich durch die Zwischenschaltung einer
erzählenden, eigentlich schreibenden, Person die Distanz zur Autorin
vergrößert werden sollte. Der Roman handelt von Liebe und Traurigkeit, der Einsamkeit und dem
Bekenntnis zum Leid. Ein unheilvolles, wenn auch unbewusstes Wissen klingt in
jeder Zeile dieses faszinierenden Psychogramms einer Frau um die Dreißig an:
Die nach einer kurzen, bedeutungslosen Ehe wieder allein lebende Annette lässt
sich wiederholt mit Männern ein: "Immer fing
es so an, zuerst die Langeweile, dann der Ärger und schließlich ein zufälliges
Ende." Sie widmet sich ganz ihrem Beruf als Bibliothekarin und grübelt im
Geiste großer Philosophen über die Ungerechtigkeiten des Lebens nach. Als sie
sich Hals über Kopf in den Juristen Gregor Xanther verknallt (der dem Leser
allerdings als unsympathischer, schlichtgeistiger Klotz beschrieben wird), mit
dem sie eine Familie gründen will, scheint erstmals Hoffnung auf Sicherheit und seelische Geborgenheit
aufzukeimen, doch kommt das Kind tot zur Welt, und die alles in allem
schreckliche Beziehung ist zum Scheitern verurteilt. Ein nach wie vor
brandaktueller Roman, der Geschlechterrollen, damit verbundene Vorurteile und
das Hadern mit dem Frauenschicksal auf beklemmende Weise konserviert.
Es gelang
Marlen Haushofer, sich im Alltag als Zahnarztgattin, Hausfrau und Mutter die
Zeit zum Schreiben zu nehmen, sodass ihr Werk neben vier Kinderbüchern
(darunter die Klassiker "Brav sein ist schwer" sowie "Schlimm
sein ist auch kein Vergnügen") insgesamt sechs Romane sowie einige
Erzählbände umfasst. Hans Weigel war übrigens ihr wichtigster Mentor und auch
ihr Lektor (er tat Haushofers Kinderbuchprojekte als
"Zeitverschwendung" ab), dennoch ignorierte die zeitgenössische
Literaturkritik Haushofers Schaffen weitgehend oder vermochte es nicht
entsprechend zu bewerten.
1963 schrieb Marlen Haushofer "Die Wand":
"'Verdutzt streckte ich die Hand aus und berührte
etwas Glattes und Kühles: einen glatten kühlen Widerstand an einer Stelle, an
der doch gar nichts sein konnte als Luft. Dann hörte ich lautes Pochen und sah
um mich, ehe ich begriff, dass es mein eigener Herzschlag war, der mir in den
Ohren dröhnte.'"
Eine Frau folgt einer Einladung in eine Jagdhütte, die einem
befreundeten
Ehepaar gehört. Nachdem sie angekommen ist, machen sich die
Gastgeber auf den
Weg in den
benachbarten Ort, von wo sie jedoch nicht, wie vereinbart,
zurückkehren. So
geht die junge Frau nachsehen, wo das Ehepaar geblieben ist. Dabei
nimmt sie das
idyllische Tal, die Bäume, die Bergwiesen völlig
unverändert wahr;
Kindheitserinnerungen Marlen Haushofers. Bevor die Frau aber das Dorf
erreicht, stößt sie gegen eine unsichtbare,
unüberwindliche
Wand, jenseits derer es keine Menschen mehr zu geben scheint.
Abgeschottet von der übrigen Welt,
allein mit ein paar Tieren, versucht die Frau, zu überleben, wobei
sie ihr Verhältnis
zur Natur wie auch zu sich selbst und zum "Rivalen Mann" überdenkt
und ihre Existenz in dieser Extremsituation aktiv und zuweilen
aggressiv neu
gestaltet - ein Ausweg, welcher der Schriftstellerin versagt bleiben
sollte.
1969 erschien
Marlen Haushofers letzter Roman, "Die Mansarde":
"Ich habe einen bürgerlichen Mann geheiratet, führe einen bürgerlichen
Haushalt und muss mich entsprechend benehmen. Der Abend in der Mansarde genügt
für meine unbürgerlichen Ausschweifungen."
Die Mansarde ihres Hauses ist der einzige Ort, der ihr ganz allein gehört.
Hierher zieht sich die Frau eines Rechtsanwalts und Mutter zweier fast
erwachsener Kinder zurück, um zu malen und ihrem ganz banalen Alltag zu
entfliehen. Und hier setzt sie sich mit ihrer Vergangenheit auseinander, als sie
eines Tages Briefe bekommt, die nichts weiter enthalten als Blätter aus einem
Tagebuch, das sie viele Jahre zuvor selbst geschrieben hat in einer Zeit, an die
sie sich nur ungern erinnert ...
Marlen Haushofer wurde mit zahlreichen Literaturpreisen
geehrt:
1953 erhielt sie den "Förderungspreis des österreichischen
Staatspreises", 1956 den "Preis des Theodor-Körner-Stiftungsfonds", 1963 den
"Arthur-Schnitzler-Preis",
1965 und 1967 den "Kinderbuchpreis der Stadt Wien" und 1968 den "Österreichischen Staatspreis für
Literatur".
Mitte der
1960er-Jahre erkrankte Marlen Haushofer an Knochenkrebs. Sie starb am 21. März
1970 nach einer Operation in Wien und wurde am Stadtfriedhof in Steyr
begraben. Ein Weg am Steyrer Stadtrand (in wenig rühmlicher Lage) wurde
nach der Schriftstellerin benannt.
Auch wenn Du mit einer Seele
behaftet wärest, sie wünscht sich nichts als tiefen, traumlosen Schlaf. Der
ungeliebte Körper wird nicht mehr schmerzen, Blut, Fleisch, Knochen und Haut,
alles wird ein Häufchen Asche sein und auch das
Gehirn wird
endlich aufhören
zu denken. Dafür sei Gott bedankt, den es nicht gibt. Mach Dir keine Sorgen -
alles wird vergebens gewesen sein - wie bei allen Menschen vor Dir. Eine völlig
normale Geschichte."
Diese Zeilen schrieb Marlen Haushofer wenige Wochen vor ihrem Tod in ihr
Tagebuch.
(Red.)
Buchtipp:
"Marlen Haushofer. Die Biografie" von Daniela Strigl
Marlen Haushofer, deren Romane und Erzählungen, vor allem "Die Wand", mit
ihrer kraftvollen Sprache und den fantasievollen Bildern auch heute noch viele
begeistern, ist bisher für ihre Leser ein Geheimnis geblieben. Wie war diese
Frau wirklich, deren Werke in den 1950er Jahren schon die Aufmerksamkeit der
Kritiker erregten? Woher nahm die mit großen Preisen ausgezeichnete Autorin den
Mut, in ihrem Schreiben den tragischen Sog der Wirklichkeit in Worte zu fassen?
Wie passen ihre die Grenzen der Realität sprengenden Werke zu ihrem Leben?
Warum wagen ihre Heldinnen ein Aufbegehren - sei es auch nur in ihrer Fantasie -,
und warum müssen sie so oft an ihrer Umwelt scheitern? Daniela Strigl hat sich
intensiv mit Marlen Haushofers Leben und Werk auseinandergesetzt und für diese
Biografie nicht nur mit zahlreichen Zeitgenossen gesprochen, sondern auch den -
zuvor weitgehend unzugänglichen Nachlass - ausgewertet. Auf ebenso fundierte
wie sensible Weise zeichnet sie den Lebensweg der als Maria Helene Frauendorfer
geborenen Autorin nach: Ihre Kindheit in der Enge einer Kleinstadt, in der sie
auch nach ihrer Ehe mit dem Zahnarzt Manfred Haushofer leben sollte. Ihre
Zerrissenheit zwischen ihrer Berufung als Literatin und dem Dasein einer
Hausfrau und Mutter von zwei Söhnen, deren einziger Ausweg die Kontakte zu
Schriftstellerkreisen in Wien darstellten, auch als ihre Ehe unrettbar schien.
Und ihr bewusstes Schweigen über das, was ihr persönliches Leben ausmachte.
Entstanden ist daraus die detailreiche wie auch spannende Biografie einer der
faszinierendsten Frauenfiguren der Nachkriegszeit.
Daniela Strigl wurde 1964
in Wien geboren. Sie hat sich während und nach ihrem
Studium der Germanistik intensiv mit der österreichischen Literatur
auseinandergesetzt. (Claassen)
Buch
bei amazon.de bestellen