Leseprobe:
Konrád
hört ihm regungslos zu. Die erloschene Zigarre hat er auf den
Rand des gläsernen Aschenbechers gelegt, er sitzt mit
verschränkten Armen, unbewegt, in steifer und korrekter
Haltung, ganz der Offizier, der sich mit einem Ranghöheren
freundschaftlich unterhält.
"Sie macht die Tür auf, bleibt auf der Schwelle stehen", sagt
der General. "Sie ist ohne Hut, sie kommt von zu Hause und hat den
leichten
Einspänner selbst gelenkt. 'Ist er weg?' fragt
sie. Ihre Stimme ist seltsam heiser. Ich nicke, ja, er ist weg.
Krisztina steht aufgerichtet und schlank in der Tür,
vielleicht war sie nie so schön wie in diesem Augenblick. Sie
ist blass wie die Verwundeten, die viel Blut verloren haben, nur ihre
Augen leuchten fiebrig, wie am Vorabend, als ich zu ihr trät,
während sie das Tropenbuch las. 'Er ist geflohen', sagt sie
dann und erwartet keine Antwort; sie sagt es zu sich selbst, es ist
eine Aussage, eine Feststellung. 'Der Feigling', fügt sie noch
leise und ruhig hinzu."
"Das hat sie gesagt?" fragt der Gast und gibt seine statuenhafte
Haltung auf, räuspert sich.
"Ja", sagt der General. "Das ist alles. Ich frage sie auch gar nichts.
Wir stehen wortlos im Zimmer. Dann beginnt Krisztina, sich umzublicken,
sie nimmt die Möbel, die
Bilder, die Kunstgegenstände einzeln in Augenschein. Ich
beobachte sie. Sie schaut im Zimmer umher, als verabschiede sie sich.
Sie betrachtet es, als hätte sie das alles schon gesehen und
wolle sich jetzt von jedem einzelnen Gegenstand verabschieden. Du
weißt ja, man kann Gegenstände, ein Zimmer auf
zweierlei Arten anschauen: wie bei einer Entdeckung und wie bei einem
Abschied. In Krisztinas Blick ist nichts von Entdeckerneugier. Er
schweift so ruhig, so vertraut durch dieses Zimmer, wie man sich zu
Hause vergewissert, ob jeder Gegenstand an seinem Platz ist. Ihre Augen
glänzen krankhaft, sind aber zugleich seltsam verschleiert.
Sie ist wortlos und beherrscht, aber ich spüre, dass diese
Frau aus der sicheren Bahn ihres Lebens geworfen wurde, dass sie dabei
ist, sich und auch dich und mich zu verlieren. Ein Blick, eine
unerwartete Bewegung, und Krisztina tut oder sagt etwas, das nie
wiedergutzumachen ist ... Sie schaut sich die Bilder an, ohne Neugier,
ruhig, wie um sich zum Abschied noch einmal einzuprägen, was
sie schon oft gesehen hat. Sie schaut sich die breite
französische Liege an, mit einem hochmütigen und
kurzsichtig zwinkernden Blick; sie kneift einen Moment die Augen
zusammen. Dann dreht sie sich um, und wortlos, wie sie gekommen ist,
verlässt sie den Raum. Ich bleibe im Zimmer. Durch das offene
Fenster sehe ich sie durch den Garten gehen,
zwischen den Rosenbäumen, die in diesen Tagen zu
blühen begonnen haben. Sie setzt sich in den leichten Wagen,
der hinter dem Zaun auf sie wartet, nimmt die Zügel auf und
fährt los. Einen Augenblick später ist der Wagen
hinter der Straßenbiegung verschwunden.
Er verstummt, schaut zum Gast hinüber.
"Ermüde ich dich nicht?" fragt er höflich.
"Nein", sagt Konrád heiser. Überhaupt nicht.
Erzähl weiter."
Aus dem Roman "Die Glut" von Sándor Márai. ... mehr über dieses Buch ...