Melissa und Bacchis

Melissa: Liebe Bacchis, wenn du irgendeine von den alten Weibern kennst, dergleichen es in Thessalien viele geben soll, die sich darauf verstehen, durch Zaubermittel eine verhaßte Person liebenswürdig zu machen, so beschwöre ich dich, führe sie mir zu. Und sollt' es mich meine ganze Garderobe, und meine Juwelen dazu, kosten, wenn ich nur die Freude hätte, den Charinus wieder zu mir zurückkehren und diese verwünschte Simmiche, in die er so vernarrt ist, ebenso herzlich hassen zu sehen, wie er jetzt mich haßt!

Bacchis: Wie, meine Melissa? Er lebt nicht mehr mit dir, sondern mit der Simmiche? Dieser Charinus, der sich deinetwegen mit seiner ganzen Familie überwarf, als er die reiche Person nicht heiraten wollte, die ihm, wie es hieß, fünf Talente zur Mitgift zubringen sollte? Denn ich erinnere mich noch recht gut, diese Umstände von dir selbst gehört zu haben.

Melissa: Diese Zeiten sind vorbei, Bacchis; es ist heute schon der fünfte Tag, seitdem ich ihn mit keinem Auge mehr gesehen habe, während er und Simmiche sich alle Abende bei seinem Freunde Pammenes wohl sein lassen.

Bacchis: Das ist abscheulich! Aber was hat euch denn entzweien können? Es muß doch wahrlich keine Kleinigkeit gewesen sein!

Melissa: Alles kann ich dir selbst nicht recht sagen. Genug, er kam neulich aus dem Piräus, wo er, denk' ich, eine Schuld für seinen Vater einkassieren mußte, hierher; ich eile ihm, wie gewöhnlich, mit offenen Armen entgegen; aber er stößt mich zurück und sagt, ohne mich nur ansehen zu wollen: »Packe dich zu dem Schiffsherrn Hermotimus oder lies, was im Ceramikus an allen Wänden angeschrieben ist, wo eure Namen sogar auf einem öffentlichen Denkmale Parade zusammen machen.« Ich konnte gar nicht begreifen, was er damit wollte, und sagte es ihm; aber ich brachte kein Wort mehr aus ihm heraus; er wollte nicht zu Nacht essen, und auf dem Sofa kehrte er mir den Rücken zu. Du kannst dir vorstellen, daß ich nichts unversucht ließ, um ihn zu gewinnen und in eine bessere Stimmung zu setzen; aber er, ohne sich im geringsten erweichen zu lassen, drohte mir, wenn ich ihn nicht ungeplagt ließe, so gehe er mir, wiewohl es schon um Mitternacht war, auf der Stelle aus dem Hause.

Bacchis: Du kennst also doch wohl diesen Hermotimus?

Melissa: Möchtest du mich noch unglücklicher sehen, als ich es schon bin, wenn ich einen Schiffsherrn kenne, der Hermotimus heißt! Daß ich's kurz mache: sobald der Hahn krähte, stand mein Charinus auf und ging davon. Da mir's noch im Sinne lag, daß mein Name, wie er sagte, im Ceramikus an einer Mauer geschrieben stehen sollte, schickte ich sogleich mein Mädchen hin, um zu sehen, was an der Sache sei. Sie fand aber nichts, als daß an der Doppelpforte, rechter Hand im Hineingehen, geschrieben war: Melissa liebt den Hermotimus, und besser unten: Hermotimus, der Schiffsherr, liebt Melissen.

Bacchis: Nun versteh' ich den ganzen Handel! Es ist ein loser Streich von einem unserer jungen Herren, die nichts Besseres zu tun haben. Ganz gewiß hat es einer geschrieben, der den Charinus necken wollte, weil er wußte, wie eifersüchtig er ist, und der Kindskopf hat es ohne weitere Untersuchung geglaubt. Sobald ich ihn sehe, will ich ihm ein Wort darüber ins Ohr sagen. Er ist noch unerfahren und milchbärtig.

Melissa: Aber wie willst du ihn zu sprechen bekommen, da er sich – wer weiß wohin? – mit der Simmiche eingeschlossen hat, wiewohl ihn seine Eltern noch immer bei mir suchen. Das beste wäre, liebste Bacchis, wenn du mir so eine alte Frau, wie ich dir sagte, schaffen könntest. Die würde mir in einem Augenblick geholfen haben!

Bacchis: Ich kenne eine geschickte Zauberin aus dem Syrerlande, ein noch ziemlich derbes, rüstiges Weib, die mir den Phanias, der aus ebenso schlechten Ursachen mit mir zürnte, wie jetzt Charinus mit dir, nach vier ganzen Monaten, da ich schon alle Hoffnung aufgab, durch ihre Beschwörungen wieder zurückgebracht hat.

Melissa: Erinnerst du dich noch, wie sie es machte?

Bacchis: Sie fordert keinen großen Lohn, liebe Melissa; sie ist mit vier Groschen und einem Laib Brot zufrieden. Außerdem muß eine Portion Salz, sieben Obolen, etwas Weihrauch und eine Fackel hingelegt werden. Das alles nimmt die Frau zu ihren Händen, und es muß auch ein Becher mit Honigwein bereitstehen, den sie rein austrinken muß. Von der Mannsperson müssen einige Kleidungsstücke oder Schuhe oder wenigstens einige Haare oder so etwas bei der Hand sein.

Melissa: Ich habe Pantoffeln von ihm.

Bacchis: Diese hängt sie an einen Nagel, beräuchert sie mit dem Weihrauch, wirft auch etwas Salz in die Glut und spricht euren Namen, den deinigen und den seinigen, dazu aus. Hernach zieht sie eine Garnwinde aus dem Busen hervor und dreht sie herum, indem sie mit entsetzlicher Geschwindigkeit allerlei fürchterliche Worte in einer unbekannten Sprache herausmurmelt. Nicht lange, nachdem sie das gemacht hatte, kam Phanias wieder zu mir, ungeachtet seine Kameraden und Phöbis, mit der er inzwischen lebte, alles anwandten, um ihn zurückzuhalten; so unwiderstehlich zog ihn der Zauberspruch zu mir. Daneben empfahl sie mir auch, besonders als ein treffliches Mittel, ihm die Phöbis zu verleiden, ich sollte auf ihre Fußstapfen achtgeben, und sowie Phöbis den Fuß zurückgezogen hätte, sollte ich den Stapfen mit dem meinigen auslöschen, so daß mein rechter Fuß auf den Stapfen ihres linken, und umgekehrt mein linker auf ihren rechten zu stehen käme, und dazu sagen:

Nun bin ich über dir,
und du bist unter mir!

Und ich tat, wie sie mir befohlen hatte.

Melissa: Keinen Augenblick versäumt, liebste Bacchis! Hole mir die Syrerin auf der Stelle! Und du, Acis, schaffe gleich das Brot, den Weihrauch und alles andere herbei, was zu dem Zauberwerk nötig ist!


(aus "Hetärengespräche" von Lukian
aus dem Griechischen von Martin Wieland)

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