Drittes Kapitel
Von dem Umgange unter Eheleuten

1.

Eine weise und gute Wahl bei Knüpfung des wichtigsten Bandes im menschlichen Leben, die ist freilich das sicherste Mittel, um in der Folge sich Freude und Glück in dem Umgange unter Eheleuten versprechen zu können. Wenn hingegen Menschen, die nicht gegenseitig dazu beitragen, sich das Leben süß und leicht zu machen, sondern die vielmehr widersprechende, sich durchkreuzende Neigungen und Wünsche und verschiedenes Interesse hegen, unglücklicherweise sich nun auf ewig aneinandergekettet sehen; so ist das in der Tat eine höchst traurige Lage, eine Existenz voll immerwährender herber Aufopferung, ein Stand der schwersten Sklaverei, ein Seufzen unter den eisernen Fesseln der Notwendigkeit, ohne Hoffnung einer andern Erlösung, als wenn der dürre Knochenmann mit seiner Sense dem Unwesen ein Ende macht. Nicht weniger unglücklich ist dies Band, wenn auch nur von einer Seite Unzufriedenheit und Abneigung die Ehe verbittern, wenn nicht freie Wahl, sondern politische, ökonomische Rücksichten, Zwang, Verzweiflung, Not, Dankbarkeit, dépit amoureux, ein Ungefähr, eine Grille oder nur körperliches Bedürfnis, wobei das Herz nicht war, dieselbe geknüpft hat, wenn der eine Teil immer nur empfangen, nie geben will, unaufhörlich fordert, Befriedigung aller Bedürfnisse, Hilfe, Rat, Aufmerksamkeit, Unterhaltung, Vergnügen, Trost im Leiden - und dagegen nichts leistet. Wähle also mit Vorsicht die Gefährtin Deines Lebens, wenn Deine künftige häusliche Glückseligkeit nicht ein Spiel des Zufalls sein soll.

2.

Überlegt man aber, daß gewöhnlich auch diejenigen Ehen, welche auf eigener Wahl beruhen, in einem Alter und unter Umständen geschlossen werden, wo weniger reife Überlegung und Vernunft als blinde Leidenschaft und Naturtrieb diese Wahl bestimmen, obgleich man in dieser Verblendung wohl sehr viel von Sympathie und Herzenshange träumt und schwätzt, so sollte man sich beinahe verwundern darüber, daß es noch so viele glückliche Ehen in der Welt gibt. Aber die weise Vorsehung hat alles so herrlich geordnet, daß eben das, was diesem Glücke im Wege zu stehn scheint, dasselbe vielmehr befördert. Ist man in den Jahren der Jugend weniger geschickt zu weiser Wahl, so ist man dagegen von der andern Seite auch noch geschmeidiger, leichter zu leiten, zu bilden und nachgiebiger, als in dem reifern Alter. Die Ecken - möchten sie auch noch so scharf sein - schleifen sich leichter ab aneinander und fügen sich, wenn der Stoff noch weich ist. Man nimmt die Sachen nicht so genau als nachher, wenn Erfahrung und Schicksale uns ekel, vorsichtig gemacht, und große Forderungen in uns erweckt haben; wenn die kältere Vernunft alles abwägt, jeden Diebstahl an Genuß sehr hoch anrechnet, kalkuliert, wie wenig Jahre man vielleicht noch zu leben hat und wie geizig man mit Zeit und Vergnügen sein muß. Entstehen unter jungen Eheleuten gern Zwistigkeiten, so ist auch die Versöhnung desto leichter gestiftet. Widerwillen und Zorn fassen nicht so feste Wurzel, und wenn der Körper mitspricht, wird oft der heftigste Streit durch eine einzige eheliche Umarmung wieder geschlichtet. Dazu kommen dann nach und nach Gewohnheit, Bedürfnis, miteinander zu leben, gemeinschaftliches Interesse, häusliche Geschäfte, die uns nicht viel Zeit zu müßigen Grillen lassen, Freude an Kindern, geteilte Sorgfalt über derselben Erziehung und Versorgung - welches alles, statt die Last des Ehestandes zu erschweren, in den Jahren, wo Jugend, Kräfte und Munterkeit mitwirken, dies Joch sehr süß machen und mannigfaltig abwechselnde Freuden gewähren, die durch Teilung mit einer Gattin doppelt schmackhaft werden. Nicht also im männlichen Alter. Da fordert man mehr für sich, will ernten, genießen, nicht neue Bürden übernehmen; man will gepflegt sein; der Charakter hat Festigkeit, mag sich nicht mehr umformen lassen; die Begierden dringen nicht so laut auf Befriedigung. Nur wenig Ausnahmen möchten hier stattfinden, und diese nur unter den edelsten Menschen, die bei zunehmenden Jahren nachsichtiger, sanfter werden, und, fest überzeugt von der allgemeinen Schwäche der menschlichen Natur, wenig fordern und gern geben; aber immer ist dies eine Art von Heroismus, eine Aufopferung, und hier ist ja von wechselseitiger Glückseligkeits-Beförderung die Rede - kurz, ich würde anraten, in diesem Alter langsamer bei der Wahl einer Gattin zu Werke zu gehn, wenn ein solcher Rat nicht überflüssig wäre. Das gibt sich von selbst; wer sich aber in männlichen Jahren auf diese Weise übereilt, der mag dann die Folgen von den Torheiten tragen, zu welchen ein Jünglingskopf auf Mannesschultern verfährt.

3.

Ich glaube nicht, daß eine völlige Gleichheit in Temperamenten, Neigungen, Denkungsart, Fähigkeiten und Geschmack durchaus erfordert werde, um eine frohe Ehe zu stiften; vielmehr mag wohl zuweilen grade das Gegenteil (nur nicht in zu hohem Grade, noch in Hauptgrundsätzen, noch ein zu beträchtlicher Unterschied von Jahren) mehr Glück gewähren. Bei einem Bande, das auf gemeinschaftlichem Interesse beruht, und wo alle Ungemächlichkeit des einen Teils zugleich mit auf den andern fällt, ist es zur Vermeidung übereilter Schritte und deren schädlicher Folgen oft sehr gut, wenn die zu große Lebhaftigkeit, das rasche Feuer des Mannes durch Sanftmut oder ein wenig Phlegma von seiten des Weibes gedämpft wird, und umgekehrt. So würde auch mancher Haushalt zugrunde gehn, wenn beide Eheleute gleichviel Lust an Aufwand, Pracht, Üppigkeit, einerlei Liebhabereien oder gleichviel Hang zu einer nicht immer wohlgeordneten Wohltätigkeit und Geselligkeit hätten; und da unsre jungen Romanleser und -leserinnen gemeiniglich die Ideale zu ihren künftigen Lebensgefährten nach ihrem eigenen werten Ich schnitzeln, so ist es doch so übel nicht, wenn zuweilen ein alter grämlicher Vater oder Vormund einen Querstrich durch dergleichen Verbindungspläne macht. - So viel nur von der Wahl des Gatten, und das ist beinahe schon mehr, als eigentlich hierhergehört.

4.

Wichtig ist die Sorgfalt, welche Eheleute anwenden müssen, wenn sie sich so täglich sehen und sehn müssen und also Muße und Gelegenheit genug haben, einer mit des andern Fehlern und Launen bekannt zu werden und, selbst durch die kleinsten derselben, manche Ungemächlichkeit zu leiden; wichtig ist es, Mittel zu erfinden, sich dann nicht gegenseitig lästig, langweilig, nicht kalt, gleichgültig gegeneinander zu werden oder gar Ekel und Abneigung zu empfinden. Hier ist also weise Vorsicht im Umgange nötig. Verstellung fällt in allem Betrachte weg; aber einer gewissen Achtsamkeit auf sich selbst und der möglichsten Entfernung alles dessen, was sicher widrige Eindrücke machen muß, soll man sich befleißigen. Man setze daher nie gegeneinander jene Höflichkeit aus den Augen, die sehr wohl mit Vertraulichkeit bestehn mag und die den Mann von feiner Erziehung bezeichnet. Ohne sich fremd zu werden, sorge man doch dafür, daß man durch oft wiederholte Gespräche über dieselben Gegenstände nicht langweilig sei, daß man sich nicht so auswendig lerne, daß jedes Gespräch der Eheleute unter vier Augen lästig scheint und man sich nach fremder Unterhaltung sehnt. Ich kenne einen Mann, der eine Anzahl Anekdötchen und Einfälle besitzt, die er nun schon so oft seiner Frau, und in deren Gegenwart fremden Leuten ausgekramt hat, daß man dem guten Weibe jedesmal Ekel und Überdruß ansieht, so oft er mit einem dergleichen Stückchen angezogen kommt. Wer gute Bücher liest, Gesellschaften besucht und nachdenkt, der wird ja leicht täglich neuen Stoff zu interessanten Gesprächen finden; aber freilich reicht dieser nicht zu, wenn man den ganzen Tag müßig einander gegenübersitzt, und man darf sich daher nicht wundern, wenn man solche Eheleute antrifft, die, um dieser tötenden Langeweile auszuweichen, wenn grade keine andre Gesellschaft aufzutreiben ist, miteinander halbe Tage lang Piquet spielen oder sich zusammen an einer Flasche Wein ergötzen. Sehr gut ist es desfalls, wenn der Mann bestimmte Berufsarbeiten hat, die ihn wenigstens einige Stunden täglich an seinen Schreibtisch fesseln oder außer Hause rufen, wenn zuweilen kleine Abwesenheiten, Reisen in Geschäften und dergleichen seiner Gegenwart neuen Reiz geben. Ihn erwartet dann sehnsuchtsvoll die treue Gattin, die indes ihrem Hauswesen vorgestanden. Sie empfängt ihn liebreich und freundlich; die Abendstunden gehen unter frohen Gesprächen, bei Verabredungen, die das Wohl ihrer Familie zum Gegenstand haben, im häuslichen Zirkel vorüber, und man wird sich einander nie überdrüssig. Es gibt eine feine, bescheidne Art sich rar zu machen, zu veranlassen, daß man sich nach uns sehne; diese soll man studieren. Auch im Äußern soll man alles entfernen, was zurückscheuchen könnte. Man soll sich seinem Gatten, seiner Gattin nicht in einer ekelhaften, schmutzigen Kleidung zeigen, sich zu Hause nicht zuviel Unmanierlichkeiten erlauben - das ist man ja schon sich selber schuldig - und vor allen Dingen, wenn man auf dem Lande lebt, nicht verbauern, nicht pöbelhafte Sitten noch niedrige, plumpe Ausdrücke im Reden annehmen noch unreinlich, nachlässig an seinem Körper werden. Denn wie ist es möglich, daß eine Frau, die immer an ihrem Manne unter allen übrigen Menschen, mit welchen sie umgeht, am mehrsten Fehler und Unanständigkeiten wahrnimmt, denselben vor allen andern gern sehn, schätzen und lieben soll? - Noch einmal, wenn die Ehe ein Stand der Aufopferung wird, wenn ihre Pflichten als ein schweres Gewicht auf uns liegen, o wie kann dann wahres Glück ihr Teil sein?

(...)


(aus "Über den Umgang mit Menschen" von Adolph Freiherr von Knigge)
Adolph Freiherr von Knigge: "Über den Umgang mit Menschen"
Insel 2001; 453 Seiten
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