Marie-Luise Kaschnitz (1901 - 1974)

"Alle meine Gedichte waren eigentlich nur der Ausdruck des Heimwehs nach einer alten Unschuld."

(Marie Luise Kaschnitz in ihrer Dankesrede
anlässlich des Erhalts des Büchner-Preises 1955)

Marie Luise Kaschnitz (Freifrau von Kaschnitz-Weinberg) wurde am 31.1.1901 als "unerwünschte" Tochter in Karlsruhe (im Haus Waldstraße 66) geboren. Sie entstammte einem elsässischen Adelsgeschlecht; ihre Mutter war Elsa geborene Freifrau von Seldeneck, und ihr Vater, Adolf Max Freiherr von Holzing-Berstett, war Offizier der kaiserlichen Armee. Sie hatte zwei ältere Schwestern, Karola und Helene, und einen jüngeren Bruder namens Peter. Die Familie verlegte ihren Wohnsitz nach der Geburt von Marie Luise zunächst nach Potsdam, 1902 nach Berlin, wo Marie Luise das Lyzeum besuchte. Nach dem Ersten Weltkrieg zog die Familie - (ohne den Vater; die kühlen Eltern hatten sich auseinander gelebt) - nach Breisgau. 1917/18 besuchte Marie Luise die Abschlussklasse des Viktoria-Pensionats in der Karl-Wilhelm-Straße 1 in Karlsruhe.

Ab dem Jahr 1917 arbeitete Marie Luise als Buchhändler-Lehrling in Weimar und München. Im Rahmen ihrer nachfolgenden Tätigkeit als Sekretärin am Archäologischen Institut in Rom lernte sie den österreichischen Archäologen Guido Freiherr von Kaschnitz-Weinberg kennen, den sie 1925 heiratete. 1928 wurde die gemeinsame Tochter Iris Constanza, (seit 1970 mit dem Komponisten Dieter Schnebel verheiratet), geboren. Vorerst bestimmten familiäre und eheliche Pflichten das Leben der Dichterin, doch in ihrer knappen Freizeit verfasste sie erste Texte.
Nachdem bereits einige ihrer frühen Gedichte 1926 in der Frankfurter Zeitung veröffentlicht worden waren, folgten die  Publikationen der autobiografisch gefärbten, und von der Autorin später nicht sonderlich geschätzten Romane "Liebe beginnt" (1933) und "Elissa" (1937).

Marie Luise Kaschnitz unternahm mit ihrem Mann zahlreiche Studienreisen, die sie u. a. nach Italien, Griechenland, Nordafrika und in die Türkei führten; auch lebte das Ehepaar für längere Zeit in Königsberg und Marburg, Frankfurt und Rom (wo Guido Freiherr von Kaschnitz-Weinberg jeweils lehrte), was den literarischen Werdegang der Autorin entscheidend beeinflusste. ("Griechische Mythen", 1941, "Die Umgebung von Rom", 1960). " Rückblickend erst sah ich, dass alle diese Götter, Halbgötter, Heroen und Fabelwesen etwas gemeinsam hatten. Es war ihr Weg aus dem dunklen Urgrund des Elementaren in das lichtere Reich der homerischen Götterwelt, aus dem unbewussten Walten der zeugerischen und vernichtenden Naturkräfte in den Machtbereich des vom Schicksal bedrohten, aber nach eigenem Willen handelnden Menschengeistes hinein. Solches Streben vom Dunkeln ins Helle ist befreiend, aber auch gefährlich", "Fahrtwinde spüren, fahren, egal wohin".

Ab 1945 arbeitete Marie Luise Kaschnitz an der 1946 erschienenen zeitkritischen Essaysammlung "Menschen und Dinge", die einiges Aufsehen erregte, 1947 folgten die beiden vielbeachteten Lyrikbände "Gedichte und Totentanz" sowie "Gedichte zur Zeit". 1952 erschien der erste Erzählband "Das dicke Kind" - (Marie Luise Kaschnitz war selbst ein solches, von Minderwertigkeitsgefühlen belastetes, weinerliches Geschöpf gewesen, und sie bezeichnete die Erzählung später als "kühn und grausam").

Guido Freiherr von Kaschnitz-Weinberg starb nach langer schwerer Krankheit 1958. 1960 wurde "Lange Schatten", eine Sammlung von 21 Erzählungen, publiziert. Der Band "Dein Schweigen - Meine Stimme", 1962 erschienen, ist die literarische Verarbeitung des elementaren Schmerzes und der Trauer infolge des Verlusts des Ehemannes, doch geht die Bedeutung über die Trauerarbeit bzw. Bewältigung eines Einzelschicksals hinaus. ("Dein Schweigen / Meine Stimme / Deine Ruhe / Mein Gehen / Dein Allesvorüber / Mein Immernochda.")

Marie Luise Kaschnitz wohnte nach dem Tod ihres Ehemannes vorwiegend in Frankfurt. Sie war Mitglied des PEN (ab 1949), der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz, der Bayerischen Akademie der Schönen Künste wie der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Im Jahr 1960 hielt sie Poetik-Vorlesungen als Gastdozentin an der Universität Frankfurt.

Die Autorin erhielt viele Ehrungen, darunter 1955 den Georg-Büchner-Preis, 1957 den Immermann-Preis und 1970 den Hebel-Preis. Sie wurde 1967 mit der Friedensklasse des Ordens Pour le Mérite ausgezeichnet, 1968 wurde ihr die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Frankfurt verliehen.

Marie Luise Kaschnitz war für das literarische Leben in Deutschland prägend, wie auch ihre Freunde Paul Celan, Ingeborg Bachmann, Max Frisch, Stefan Andres, Günter Eich, Peter Huchel, Peter Härtling, Hans Magnus Enzensberger und Theodor W. Adorno. Das Werk der Schriftstellerin umfasst Romane, Essays, Gedichte und Hörspiele. Ihren Stil mag man deutlich, sparsam, knapp, komprimiert, von präziser Beobachtung getragen, formal klassisch, nennen. Wie Else Lasker-Schüler meinte sie, "es dichte in ihr".

Marie Luise Freifrau von Kaschnitz-Weinberg starb am 10. Oktober 1974 in Rom und wurde in Bollschweil im Breisgau auf dem Familiensitz des Vaters beigesetzt. In Karlsruhe wurde 1996 eine Straße nach ihr benannt.

 

Am 14.10.1984 wurde der Marie Luise Kaschnitz-Preis erstmals verliehen. Seither wird er alle zwei Jahre vergeben. Ausgezeichnet werden deutschsprachige Autorinnen und Autoren für ihr erzählerisches, lyrisches oder dichterisches Werk. Zu den bisherigen Preisträgern zählen u.a. Ilse Aichinger, Paul Nizon und Gerhard Roth.


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zum 100. Geburtstag von Marie Luise Kaschnitz