(...)
Marguerite: Wie? In deinem Alter solltest du noch nicht wissen, was
eine Frau ist?
Jacques: Ich bitte um Verzeihung, Dame Marguerite.
Marguerite: Und was ist denn eine Frau?
Jacques: Eine Frau?
Marguerite: Ja, eine Frau.
Jacques: Warten Sie ... Eine Frau ist ein Mann, der einen Rock, eine
Haube und dicke Brüste hat.
Der Herr: O du Schurke!
Jacques: Die andere hatte sich nicht täuschen lassen; und ich
wollte, daß diese sich täuschen ließ. Auf
meine Antwort hin brach Dame Marguerite in schallendes
Gelächter aus; es wollte nicht enden; und ich bin ganz
verblüfft und frage sie, was es denn zu lachen gebe? Dame
Marguerite sagt, sie lache über meine Einfalt. "Was? So
groß, wie du bist, solltest du nicht mehr davon wissen?"
"Nein, Dame Marguerite."
Daraufhin verfiel Dame Marguerite in Schweigen, und ich ebenfalls.
"Aber Dame Marguerite", habe ich nochmals zu ihr gesagt, "wir haben uns
zusammengesetzt, weil wir miteinander schwatzen wollten, und nun sagen
Sie kein Wort, und wir schwatzen nicht miteinander. Dame Marguerite,
was ist Ihnen? Sie sind so nachdenklich."
Marguerite: Ja, ich überlege ... ich überlege ... ich
überlege ...
Als sie dies mehrmalige "Ich überlege" aussprach, hob sich
ihre Brust, ihre Stimme wurde schwächer, ihre Glieder
zitterten, ihre Augen hatten sich geschlossen, ihr Mund war halb offen;
sie stieß einen tiefen Seufzer aus; die Sinne schwanden ihr,
und ich tat, als glaubte ich, sie sei tot und fing voller Schrecken an
zu schreien: "Dame Marguerite! Dame Marguerite! Sagen Sie doch was;
Dame Maguerite, ist Ihnen etwa nicht wohl?"
Marguerite: Nein, lieber Junge; laß mich einen Augenblick in
Ruhe ... ich weiß nicht, was mich überkommen hat ...
Es geschah so plötzlich.
Der Herr: Da hat sie gelogen.
Jacques: Freilich, sie hat gelogen.
Marguerite: Mir war wie im Traum ...
Jacques: Träumen Sie auch so, wenn Sie nachts neben ihrem Mann
liegen?
Marguerite: Bisweilen.
Jacques: Das muß ihn erschrecken.
Marguerite: er ist es gewohnt ...
Marguerite kam nach und nach wieder zu sich und sagte: "Mir hat
geträumt, daß bei der
Hochzeit vor acht
Tagen mein Mann und Suzannes Mann sich über dich lustig
gemacht hätten; das hat mir leid getan, und da ist mir, ich
weiß nicht wie, geworden."
Jacques: Sie sind zu gut.
Marguerite:
Ich mag es nicht, wenn jemand verspottet wird. Mir hat
geträumt, daß sie es bei der erstbesten Gelegenheit
noch übler treiben würden und daß mich das
noch mehr ärgern würde.
Jacques: Aber es würde doch nur von Ihnen abhängen,
daß das nicht wieder geschähe.
Marguerite: Und auf welche Weise?
Jacques: Indem Sie mich lehrten ...
Marguerite: Was denn?
Jacques: Das, was ich nicht weiß und worüber Ihr
Mann und Suzannes Mann so sehr gelacht haben; sie würden dann
nicht wieder lachen.
Marguerite: O nein, nein. Ich weiß zwar, daß du ein
guter Junge bist, und daß du es niemandem erzählen
würdest; aber ich würde mich nicht getrauen.
Jacques: Und warum nicht?
Marguerite: Eben weil ich mich nicht getrauen würde.
Jacques: Ach, Dame Marguerite,
bitte lehren Sie es mich,
ich würde Ihnen deswegen aufs tiefste verpflichtet sein,
lehren Sie es mich ... Als ich sie so anflehte, drückte ich
ihre Hände, und sie drückt mir die meinen ebenfalls;
ich küßte sie auf die Augen, und sie
küßte mich auf den Mund. Inzwischen war es
gänzlich dunkel geworden. Also sagte ich zu ihr: "Ich sehe
ein, Dame Marguerite, daß Sie mir nicht wohl genug wollen, um
es mich zu lehren; das schmerzt mich ganz ungemein. Kommen Sie, wir
wollen aufstehen und heimgehen ..."
Dame Marguerite schwieg in sich hinein; dann ergriff sie nochmals eine
meiner Hände; ich weiß nicht, wohin sie sie leitete;
Tatsache ist jedoch, daß ich ausrief: "Da ist ja nichts! Da
ist ja nichts!"
Der Herr: Du Schuft, du zweifacher Schuft!
Jacques: Fest steht jedenfalls, daß sie nur sehr wenig
anhatte, und mir ging es genauso. Fest steht, daß ich nach
wie vor die Hand dort hatte, wo bei
ihr nichts war, und daß sie ihre Hand dort hatte, wo bei mir
ganz und gar nicht dasselbe der Fall war. Fest steht, daß ich
mich unter ihr befand und folglich sie sich auf mir. Fest steht,
daß sie, da ich ihr auf keine Weise behilflich war, wohl oder
übel die ganze Mühe auf sich nehmen mußte.
Fest steht, daß sie sich meiner Belehrung so
übereifrig hingab, daß ein Augenblick eintrat, wo
ich glaubte, sie stürbe dabei. Fest steht, daß ich,
der ich ebenso verwirrt war wie sie und nicht wußte, was ich
sagte, ausrief: "Ach; Dame Suzanne, wie tun Sie mir gut!"
Der Herr: Du meinst: Dame Marguerite.
Jacques: Nein, nein. Es steht fest, daß ich die beiden Namen
verwechselte; und daß ich, anstatt Dame Marguerite zu sagen,
Dame Suzanne gesagt habe. Fest steht, daß ich der Dame
Marguerite eingestand, daß das, was sie mich an jenem Tag zu
lehren glaubte, die Dame Suzanne mich schon vor drei Tagen gelehrt
hatte, wenngleich ein bißchen anders. Fest steht,
daß sie zu mir sagte: "Was? Suzanne war es, und nicht ich
...?" Fest steht, daß ich ihr erwiderte: "Keine von Ihnen
beiden." Fest steht, daß sie, während sie sich
über sich selber, über Suzanne und die beiden
Ehemänner lustig machte und mich mit kleinen Scheltworten
bedachte, ich mich auf ihr befand und folglich sie sich unter mir, und
daß sie, während sie mir gestand, das habe ihr
große Lust verschafft, wenn auch nicht so große wie
auf die andere Weise, sich wieder auf mir befand und ich mich folglich
unter ihr. Fest steht, daß nach einer Frist des Ausruhens und
des Stillschweigens weder sie sich unter mir noch ich mich auf ihr,
weder sie sich auf mir noch ich mich unter ihr befand; denn wir lagen
beide auf der Seite; daß sie den Kopf nach vorn geneigt hielt
und die beiden Hinterbacken gegen meine Schenkel gepreßt.
Fest steht, daß, wäre ich weniger erfahren gewesen,
die gute Dame Marguerite mich alles gelehrt haben würde, was
man lernen kann.
(....)
(aus "Jacques der
Fatalist und sein Herr" von Denis Diderot;
aus dem Französischen von Ernst
Sander; Reclam Verlag)