Die junge Frau Also – zuerst meine Frage.
Der Gatte gefügig Nun?
Die junge Frau War... eine verheiratete Frau – unter ihnen?
Der Gatte Wieso? – Wie meinst du das?
Die junge Frau Du weißt schon.
Der Gatte leicht beunruhigt Wie kommst du auf diese Frage?
Die junge Frau Ich möchte wissen, ob es... das heißt – es gibt solche Frauen... das weiß ich. Aber ob du...
Der Gatte ernst Kennst du eine solche Frau?
Die junge Frau Ja, ich weiß das selber nicht.
Der Gatte Ist unter deinen Freundinnen vielleicht eine solche Frau?
Die junge Frau Ja, wie kann ich das mit Bestimmtheit behaupten – oder verneinen?
Der Gatte Hat dir vielleicht einmal eine deiner Freundinnen... Man spricht über gar manches, wenn man so – die Frauen unter sich – hat dir eine gestanden –?
Die junge Frau unsicher Nein.
Der Gatte Hast du bei irgendeiner deiner Freundinnen den Verdacht, daß sie...
Die junge Frau Verdacht... oh... Verdacht.
Der Gatte Es scheint.
Die junge Frau Gewiß nicht Karl, sicher nicht. Wenn ich mir's so überlege – ich trau' es doch keiner zu.
Der Gatte Keiner? Die junge Frau Von meinen Freundinnen keiner.
Der Gatte Versprich mir etwas, Emma.
Die junge Frau Nun.
Der Gatte Daß du nie mit einer Frau verkehren wirst, bei der du auch den leisesten Verdacht hast, daß sie... kein ganz tadelloses Leben führt.
Die junge Frau Das muß ich dir erst versprechen?
Der Gatte Ich weiß ja, daß du den Verkehr mit solchen Frauen nicht suchen wirst. Aber der Zufall könnte es fügen, daß du... Ja, es ist sogar sehr häufig, daß gerade solche Frauen, deren Ruf nicht der beste ist, die Gesellschaft von anständigen Frauen suchen, teils um sich ein Relief zu geben, teils aus einem gewissen... wie soll ich sagen... aus einem gewissen Heimweh nach der Tugend.
Die junge Frau So.
Der Gatte Ja. Ich glaube, daß das sehr richtig ist, was ich da gesagt habe. Heimweh nach der Tugend. Denn daß diese Frauen alle eigentlich sehr unglücklich sind, das kannst du mir glauben.
Die junge Frau Warum?
Der Gatte Du fragst, Emma? – Wie kannst du denn nur fragen? – Stell dir doch vor, was diese Frauen für eine Existenz führen! Voll Lüge, Tücke, Gemeinheit und voll Gefahren.
Die junge Frau Ja freilich. Da hast du schon recht.
Der Gatte Wahrhaftig – sie bezahlen das bißchen Glück... das bißchen...
Die junge Frau Vergnügen.
Der Gatte Warum Vergnügen? Wie kommst du darauf, das Vergnügen zu nennen?
Die junge Frau Nun – etwas muß es doch sein –! Sonst täten sie's ja nicht.
Der Gatte Nichts ist es... ein Rausch.
Die junge Frau nachdenklich Ein Rausch.
Der Gatte Nein, es ist nicht einmal ein Rausch. Wie immer teuer bezahlt, das ist gewiß!
Die junge Frau Also... du hast das einmal mitgemacht – nicht wahr?
Der Gatte Ja, Emma. – Es ist meine traurigste Erinnerung.
Die junge Frau Wer ist's? Sag! Kenn' ich sie?
Der Gatte Was fällt dir denn ein?
Die junge Frau Ist's lange her? War es sehr lang, bevor du mich geheiratet hast?
Der Gatte Frag nicht. Ich bitt' dich, frag nicht.
Die junge Frau Aber Karl!
Der Gatte Sie ist tot.
Die junge Frau Im Ernst?
Der Gatte Ja... es klingt fast lächerlich, aber ich habe die Empfindung, daß alle diese Frauen jung sterben.
Die junge Frau Hast du sie sehr geliebt?
Der Gatte Lügnerinnen liebt man nicht.
Die junge Frau Also warum...
Der Gatte Ein Rausch...
Die junge Frau Also doch?
Der Gatte Sprich nicht mehr davon, ich bitt' dich. Alles das ist lang vorbei. Geliebt hab' ich nur eine – das bist du. Man liebt nur, wo Reinheit und Wahrheit ist.
Die junge Frau Karl!
Der Gatte Oh, wie sicher, wie wohl fühlt man sich in solchen Armen. Warum hab' ich dich nicht schon als Kind gekannt? Ich glaube, dann hätt' ich andere Frauen überhaupt nicht angesehen.
Die junge Frau Karl!
Der Gatte Und schön bist du!... Schön!... O komm... Er löscht das Licht aus
Die junge Frau Weißt du, woran ich heute denken muß?
Der Gatte Woran, mein Schatz?
Die junge Frau An... an... an Venedig.
Der Gatte Die erste Nacht...
Die junge Frau Ja... so...
Der Gatte Was denn –? So sag's doch!
Die junge Frau So lieb hast du mich heut.
Der Gatte Ja, so lieb.
Die junge Frau Ah... Wenn du immer...
Der Gatte in ihren Armen Wie?
Die junge Frau Mein Karl!
Der Gatte Was meintest du? Wenn ich immer...
Die junge Frau Nun ja.
Der Gatte Nun, was wär' denn, wenn ich immer...?
Die junge Frau Dann wüßt' ich eben immer, daß du mich lieb hast.
Der Gatte Ja. Du mußt es aber auch so wissen. Man ist nicht immer der liebende Mann, man muß auch zuweilen hinaus ins feindliche Leben, muß kämpfen und streben! Das vergiß nie, mein Kind! Alles hat seine Zeit in der Ehe – das ist eben das Schöne. Es gibt nicht viele, die sich noch nach fünf Jahren an – ihr Venedig erinnern.
Die junge Frau Freilich!
Der Gatte Und jetzt... gute Nacht, mein Kind.
Die junge Frau Gute Nacht!
(aus dem "Reigen"
von Arthur Schnitzler)
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